I Sirnach-Vladivostok
Motto
Uf Auschtralie flüüge cha jede Tubel
oder (für des Schweizerdeutschen nicht Mächtige)
Warum eigentlich mit dem Flugzeug auf den 5. Kontinent?
1. Vorlauf oder Etappe 0
Der Anlass
In 60 Stunden bin ich pensioniert. Ledig all meiner doch nicht wenigen Jobs und Ämtli. Stück für Stück sind in den vergangenen Wochen und Monaten die Verantwortlichkeiten wie übereinandergelegte Umhänge von den Schultern gefallen, haben Nachfolgerinnen und Nachfolger die Arbeit übernommen, wurde der Kopf mehr und mehr frei für Neues.
Voraussetzung dafür war unser Reiseprojekt. Nicht, dass ich mich vor einem Pensionierungsloch gefürchtet hätte – ich hätte da schon noch einige Ideen, was ich machen könnte –, aber die Ankündigung, dass ich dann halt ab Sommer 11 physisch nicht mehr verfügbar sei, war nötig, damit sich alle meine Mitstreiter ernsthaft überlegen mussten, wie es ohne den Baumberger weitergehen könnte. Sie werden das dann im Nachhinein schon noch als Chance wahrnehmen.
Der Zeitpunkt war günstig. Elo ist – obwohl sie weiter kräftig im Tagblatt geschrieben hat – seit Ende 2009 in Pension. Mitte Mai wurde ich 65 und Ende Mai ist meine zweite Legislatur im Gemeinderat Sirnach abgelaufen, eine Dritte hatte ich nie geplant.
Die Idee
Wir hatten schon lange vor, nach der Pensionierung noch ein, zwei grössere, längere Reisen zu machen, ohne Zeitdruck und übertriebene Planung. Das erste Projekt, das war klar, war Australien, Neuseeland und die Südsee.
Wir diskutierten über die Anreise. Das Flugzeug ist ein praktisches Ding, aber Langstreckenflüge sind eigentlich, da sind wir uns einig, eine barbarische Reisemethode. Eine Stunde mehr oder weniger sind 1000 Kilometer mehr oder weniger, mit all dem was auf diesen 1000 Kilometern kreucht und fleucht, an Menschen, Tieren, Pflanzen und Landschaften. Nichts siehst du, erlebst du, erfährst du. Und die Seele kommt nicht nach, sie hat immer Verspätung.
Wenn wir schon zu den Antipoden und zurück reisen wollten, rund um den Globus gleichsam, dann möglichst viel auf dessen Oberfläche. Zunächst einmal die Anreise. Das Schiff wäre sicher eine Möglichkeit, aber Elo hatte die Idee, die Transsibirische Eisenbahn bis Vladivostok zu nehmen, denn als wir mit Ihr nach Peking fuhren, sind wir in Ulan Ude hinter dem Baikalsee nach Süden abgebogen, durch die Mongolei. Das führte mich dann zum Gedanken, dass wir da ja quasi im Vorbeigehen einen alten Traum von mir erfüllen könnten, die alten Städte der Seidenstrasse in Zentralasien – in China haben wir einen Teil davon besucht – Buchara, Samarkand, das Aktionsgebiet von Alexander dem Grossen, Dschingis Kahn, Timur Lan etc. Allerdings müssten wir das dann mit dem Auto machen.
Elo war sofort einverstanden.
Die UmsetzungEs war klar, dass wir ein Gefährt brauchten, das robust, zuverlässig, nicht klau-attraktiv, beschlafbar, einigermassen geländegängig war – kurz eine weisse Maus mit schwarzem Schwanz. Und die haben wir gefunden.
Römu, der Schwiegersohn meines Neffen Thomas, meinte, das beste wäre ein Mitsubishi L300, second generation: Minibus, Diesel, 4x4, Untersetzung. Was tut der Mensch im 21. Jahrhundert? Er geht ins Internet. Gesagt, getan: Verkaufsplattform Ricardo, „Mitsubishi L300“, enter – und er war da, Diesel, 2,5 TDI, vorne 2 Sitze! Standort Felsberg, Garage Camenisch, nicht vorgeführt, preiswert, ohne bisherige Angebote. Es war ein Gemeindefahrzeug aus der bündnerischen Gemeinde Trin Moulin, 12 Jahre, 92000 km, beim Vorführen technisch glänzend durchgekommen, aber Rost-Beanstandungen, worauf die Gemeinde ein neues Gefährt kaufte – so sind sie, die Gemeinden.
Als ich Herrn Camenisch bat, mir ein Angebot inclusive Vorführung zu machen, sagte er – es war Herbst im Bündnerland – er habe keine Zeit, er müsse auf die Jagd. Als dann aber doch niemand ausser mir Interesse hatte, fand er einen Kollegen, es gab ein Angebot, wir einigten uns nach einer Viertelstunde Telefon, und das Gefährt gehörte für 5800 Franken mir, vorgeführt. Elo hatte einen Zweitwagen, wie ich ihr telefonisch mitteilte.
Im November haben wir auf der Reise zu einem Wochenende im Edelbad Vals – der Besuch lohnt! – das Büssli abgeholt.
Tiptop, wenn auch mit einer etwas schwachen Batterie: Camenisch musste die Starthilfe holen. Aber wenn wir in kleinen Gängen nach Vals hoch führen, würde das genügen für das Aufladen. Und so war es auch, wir sind ohne Problem wieder angefahren.
Auf der Rückfahrt am Sonntag wollten wir im Glarnerland tanken, ich stellte das Auto ab, um den Tankdeckel und den Öffnungshebel zu suchen, wollte anlassen, und ausser einem blöden klick, klick kam nichts. Batterie schon wieder auf Null. Der Pannendienst kam, hatte keinen Schlüssel, um die Batterieabdeckung unter dem Fahrersitz zu öffnen, fuhr nach Mollis zurück, kam mit dem falschen, und als ich in meiner Verzweiflung wieder am Schlüssel drehte – rumms, lief das Ding. Ich habe dann mit laufendem Motor getankt, und zuhause das Auto so abgestellt, dass ich es anrollen lassen konnte. Und das war nötig, denn nicht die Batterie, sondern ein Relais des Anlassers war kaputt. Die Batterie war auch fertig, die habe ich dann zwei Wochen später ausgewechselt, auswechseln müssen. Mais a part de ça, das Büssli läuft wie ein Örgeli, hat Kraft, ist mechanisch i.O. Und alles Andere werden wir dann sehen.
Jetzt kam das Thema der inneren Ausgestattung. Da habe ich zum glück meinen Pfadifreund Johnny, pensionierte Maler, begabter Handwerker mit guter Werkstatt. Er war sofort Feuer und Flamme.
Zunächst bauten wir im Laderaum einen Zwischenboden ein, unter Nutzung der seitlichen Passagiersitze ohne Kissen. Jetzt können wir auf der ganzen Fläche schlafen, der Teil zwischen den seitlichen Schiebetüren dient als Tisch, den wir, mit kurzen Füssen fest moniert, auf den hinteren Teil stellen können oder mit Beinverlängerungen im Freien als Tisch benutzen.
Jetzt lassen wir den Profi dran. Rouven Sartory mit seiner Firma f-kon (f-kon.ch) in Amriswil. Ein kompetenter Mann, der nicht nur baut und verrechnet, sondern auch noch gut berät. Er baut uns einen Deckenventilator – vor allem für nachts! – ein, ein Modell für Segelschiffe, dann Kanister für Trinkwasser, eine Aufhängung für das Moskitonetz, Schutzgitter für die Scheinwerfer, er besorgt die Ausrüstung des Dachständers mit Kanistern für Treibstoff, das zweite Reserverad und die Sonnenstore. Er montiert auch Abdunklungsfolien, damit nicht jeder und jede reinsehen kann.
Daheim wird dann mit Johnny noch der Finish gemacht, so der Vorhang zur Fahrerkabine (tagsüber ziehbar), die Mittelkonsole mit Gepäckfach sowie der Wasserflaschen- und Kartenhalter vorn, viele Haken im Schlafraum und was weiss ich. Die Nachbarin von Johnny ist Schneiderin. Sie montiert Laschen an das Moskitonetz, damit es uns nicht auf die Nase fällt, und kürzt den Vorhang. Und zu guter Letzt noch das Schweizerkreuz hinten und vorne. Elos Kommentar: "Jetzt sieht das Ding wirklich aus wie ein Krankenwagen!"
Ganz ohne Pannen nach dem Motto Versuch und Irrtum ging das nicht ab. Als wir, nachdem wir ganz genau darauf geachtet hatten, dass die Motorabdeckung unter dem Beifahrersitz auch nach der Montage der damit verbundenen Armstütze zwischen den Sitzen noch zu öffnen sei, sagte ich bei der Anprobe: "Johnny, da müssen wir nochmals über die Bücher. Bis an die österreichische Grenze komme ich mit den Gängen 1, 3 und 5, aber bis Vladivostok brauche ich vermutlich auch 2,4 und Rückwärtsgang." Das Ding war zu lang, der Schalthebel konnte nicht nach hinten gezogen werden. Gelacht und gekürzt.
Dann haben wir uns natürlich auch überlegt, was wir da alles mitnehmen sollen. Die Ratschläge, die wir rundherum bekamen, waren oft verwirrlich und widersprüchlich. Aber wir haben dann rausgefiltert, was wir wollen. So u.a. zweiter Wagenheber und Kompressor, Schlüsselsätze und Schraubenzieher, Hämmer und Zangen, Tapes, Binder und Draht, Primus-Allesbrenner-Kocher, Pfannen, Geschirr, Besteck und (wichtig!) Gläser, Wassersäcke, Handtücher und Schwamm, Schaufel und Besen, Spaten und Abschleppgerät, selbstaufblasende Luftmatratzen und Kissen, Faltstühle und Zeltheringe, und und und. Mit den Taschenlampen, die wir von rundherum geschenkt bekommen haben – danke villmol, einewäg – könnten wir den halben Globus beleuchten.
Da wir das ja nicht einfach in den Bus werfen können, und da wir gewohnt sind, uns auf Reisen zu organisieren, sind wir dann auch noch Plastikkisten in verschiedene Grössen kaufen gegangen, und haben schon mal, im technischen Bereich, vorgepackt. Es scheint zu klappen. Eine sportliche Herausforderung wird jetzt noch sein, was wir an Kleidern mitnehmen, auch wenn wir eines wissen: das Minimum.
Dazwischen haben wir natürlich die Route geplant (s. Blogbeilagen) und die diversen Visa besorgt. Das hat für uns die Firma AVS Allvisumservice in Kloten (allvisumservice.ch) kompetent erledigt. Auch für das Haus muss gesorgt sein (Putzfrau, Treuhänderin, Gärtner und Heiziger), die Treuhänderin Monika Bommer muss für uns handeln können usw. usf.
Alles ist noch nicht gemacht, und wir werden im kommenden Monat noch ganz schön ranmüssen. Aber es ist ja jetzt auch schön, ran zu müssen.
Und das Büssli ist gut. Wir haben Ende April im „Birg“, in den Hügeln des Hinterthurgau eine Probeübernachtung gemacht, die genial war. Mit brötle, Wein und allen Schikanen. Es hat uns richtig gluschtig gemacht. Am 1.7., dem Tag nach dem 97. Geburtstag meiner Mutter geht es los. Erster Grenzübergang: Diepoldsau.
29.5.11 / JB.
PS. Es ist wunderschön, sich zu pensionieren!
PS. Es ist wunderschön, sich zu pensionieren!