Freitag, 2. November 2012

VI-2 Vulkane, Schafe&Kühe


Direkter Zugang zur Hölle / Maoriland / Regentag / Neuseeländisches Ballenberg und englischer Tee / Coromandel / Goldgräber / Stadt auf dem Vulkan / Dampfdorf / Ein schönes Geschenk / Der dressierte Geysir / Durch ein Ausbruchsgebiet / Buchten und Strände / Und wieder ist die Welt ein Dorf / Ostend / Zeitverschobenes Art Deco / Gibt es ein Ende der Welt? / Der längste Ortsname / Weideland / Seehunde / In die Hauptstadt / Ein Museum – ein Tag / Nach Süden

Direkter Zugang zur Hölle

Jetzt bereisen wir die Mitte und den Süden der Nordinsel. Neuseeland liegt auf der Gebirgsfalte, die sich aus dem Zusammenprall der pazifischen Erdplatte mit der australisch-indischen gebildet hat. Die pazifische Platte schiebt sich jedes Jahr rund 5 Zentimeter nach Westen, was zu Spannungen, Erdbeben (wenn sich die Spannungen lösen) und vulkanischer Aktivität führt, da hier der Erdmantel offen ist. Der Zugang zur Hölle ist recht direkt.

Die Neuseeländer tanzen also quasi immer auf dem Vulkan, die kürzlichen starken Erdbeben von Christchurch auf der Südinsel zeigen das deutlich. Die Hauptstadt Wellington, die an der Cook Strait zwischen den Inseln liegt, kennt praktisch wöchentlich Erdstösse, und pro Jahr werden hier 15'000 (!) Beben registriert, davon 100 bis 150 so stark, dass sie gespürt und als Bedrohung empfunden werden.

Die Landschaft vor allem der Nordinsel ist stark vom Vulkanismus gekennzeichnet. Die Küsten sind stark gegliedert, meist steil, mit vielen Kaps. Im Inland gibt es ausser wenigen Flusstälern so gut wie keine ebene Stelle, immer rauf und runter, eine Kurve nach der anderen. Die Hügel sind praktisch alle vulkanisch entstanden. Ueberall gibt es heisse Quellen, oft mit Bademöglichkeit.

Quer durch die Nordinsel zieht sich das Vulkangebiet von Taupo (Taupo Vulcanic Zone), in dem es viele Seen gibt. Der grösste ist der Lake Taupo, ein weiterer der Lake Rotorua, an den wir fahren.

Maoriland

 
Die Ortsnamen auf der Nordinsel sind meist Maori, in der Sprache der Ureinwohner also. Hier leben viel mehr Menschen als auf der Südinsel (3/4 der Bevölkerung von rund 4 Millionen) und hier leben auch viel mehr Maori, die insgesamt 15% der Bevölkerung ausmachen. Im Alltag fallen sie ausser durch ihre Hautfarbe und ihren Gesichtsschnitt wenig auf. Sie kleiden sich wie die weissen Neuseeländer (Pakeha genannt), gehen ihren Geschäften nach, geniessen ihre Freizeit, sind Busfahrer, Lehrer oder Strassenarbeiter – kurz ein integrierter Teil des Landes.

Protest gegen küstennahes Bohren nach Öl oder Gas

Allerdings soll es durchaus Probleme entlang der rassischen Kontaktlinie geben. So soll die Arbeitslosigkeit unter den Maori höher sein. Und die vielen ungeklärten Besitzverhältnisse aus der unterschiedlichen Auslegung alter Verträge sorgen immer wieder für Gesprächsstoff. Aber die Maoris sind im Parlament vertreten, haben ihre Sprecherinnen und Sprecher, melden sich zu Wort. Typisch scheint mir die Aussage einer jungen Fremdenführerin in einem Maoridorf: „Ich bin gerne Teil des modernen Neuseelands“.

Regentag

Der Süden der Nordinsel ist eben so schön, wie das Nordland. Allerdings könnte das Wetter schon etwas besser sein. Eine Mischung zwischen Irland, England und Schottland, scheint es uns (weshalb es den Briten hier auch so gut gefällt), und von den Subtropen, in denen wir uns befinden, merken wir wenig. Ein Strassenschild, das auf hier mögliches Glatteis hinweist, irritiert uns leicht.

Und so ziehen wir denn zuerst auch einen regelrechten Regentag ein, mit Wind und Sturm und Regen zwischen Niesel und Platz, aber immer schön anhaltend. Auch ist es kalt, so um 15 Grad (dass wir dann im zentralen Hochland südlich von Rotorua bald auch noch in den einstelligen Bereich abrutschen würden, wussten wir noch nicht).

Wir fahren auf die Halbinsel Coromandel, die über dem Hauraki Gulf im Osten gegenüber Auckland liegt. Abends suchen wir ein Hotel, damit wir zum Essen nicht wieder in den Sturm raus müssen. Und wir finden mit dem Junction Hotel in Thames ein einfaches, aber gutes, ein altes erneut, und erst noch mit ausgezeichneter Küche. Die Miesmuscheln sind Spitze!

Neuseeländisches Ballenberg und englischer Tee

An solchen Tagen ist Museum angesagt. Wir fanden per Zufall eines, wir folgten in Howick, einem Vorort Aucklands, einem der braunen Schilder, die auf Sehenswürdigkeiten hinweisen. Dass es ein Freilichtmuseum ist, macht die Sache zwar etwas feuchter, aber in den einzelnen Häusern können wir schön unterstehen. Heute ist Sonntag, und einmal im Monat werden die alten Bauten „bespielt“. Mitglieder der Historischen Gesellschaft von Howick, sind in alten Kleidern in den Stuben, den Schmieden, den Verkaufsläden. Es ergeben sich interessante Gespräche über die Geschichte des Landes und der Einwanderer.

Im Café, das heute von Chinesen – ausgezeichnet – geführt wird, erfahren wir an der Wand noch einiges über Namen. Der Ort Howick wurde nach dem schottischen Dorf genannt, in dem das Schloss der Earl Grey liegt. Der junge Lord war damals Staatssekretär für die Kolonien und hat wesentlich zur Entwicklung Neuseelands beigetragen: Er hat ausgemusterte Soldaten exportiert, die mit Wehrdörfern eine Art Militärkolonie aufgebaut haben.

Earl Grey hat aber noch eine andere Beziehung: eine der bekanntesten Teesorten heisst so. Und das kam dann so: Der alte Lord war Aussenminister und allerhand sonst in Britannien. Ein Gesandter nach China schenkte ihm ein Teerezept. Da er natürlich für die Niederungen des Geschäftslebens zu vornehm war, schenkte er es einem Freund, der es zu einem Riesenerfolg machte: Er mischte chinesischen und ceylonesischen Tee und versetzte ihn leicht mit Bergamottegeschmack. Das trinken wir bis heute. Uebrigens hiess dieser Freund John Twinnings – und das war der Beginn der Twinnings-Erfolgsgeschichte, die als Teemarke bis heute andauert.

(Die Geschichte des verschenkten Rezepts erinnerte uns an das Geburtstagesgeschenk, das Königin Victoria Ende des 19. Jahrhunderts ihrem deutschen Enkel Willi (Wilhelm II, der mit dem fürchterlichen Schnauz) machte: Sie schenkte ihm den Kilimandscharo, den höchsten Berg Afrikas. Grosse Leute, grosse Gesten.)

Coromandel

Coromandel ist eine der beiden Halbinseln an der Ostküste der Nordinsel. Die Küsten sind gebirgig, die Strasse windet sich entweder direkt dem Meer entlang von Bucht zu Bucht, oder sie schneidet Kaps über kleinere und mittlere Pässe von bis zu 100 bis 200 Höhenmetern durch das Hinterland ab. Kaum sind wir weg vom Meer, können wir uns kaum mehr vorstellen, dass hinter den steilen, felsigen Hügeln der Südpazifik bis nach Amerika sich ausdehnt.

Oft ist der vulkanische Fels bewaldet, mit Palmbäumen, Sträuchern und Gebüsch. Aber immer wieder kommen kleine Inseln der Landwirtschaft. Wenig Aecker, viel Weiden für Kühe und Schafe, alles in sattem Grün. Die Schafzäune sind hoch, die Pfähle stehen dicht an dicht und sind eng mit starkem Draht bespannt. Das „Hagen“, d.h. das Einzäunen der recht kleinen Abschnitte, in denen die Herden wechseln können, muss eine Heidenarbeit sein.

Wenn es dann in einem Flusstal einmal eine grössere Fläche gibt, sind die Rinderherden riesig. Hunderte von Kühen für die Milchwirtschaft vor allem.

Wir übernachten in einem schönen Motel mit grossem Zimmer mit Küche usw.. Das Leben ist hier deutlich günstiger als in Australien. Für einen schönen Bungalow bezahlen wir 120 NZL$, das sind etwa 80 Franken – für zwei Personen, aber ohne Frühstück. Später haben wir für den gleichen Preis zwar keinen Bungalow, aber ein Zimmer mit Ausblick aufs Meer und Waschmaschine und Tumbler inbegriffen. Es lohnt sich, ausserhalb der Saison zu reisen.

Goldgräber

Südlich von Coromandel besichtigen wir in der Karangahake-Schlucht eine alte Goldgräberstadt, die von ca. 1890 bis 1935 aktiv war. Die Stollen lagen auf den Bergen, in Seitenschluchten, das gebrochene Erz wurde mit Seilbahnen und kleinen Eisenbahnen runter und nach vorn gebracht, dort noch am Hang zerkleinert und dann mit Hilfe von Zyanid in Edelmetall und Abfall gespalten. Was mit dem Abfall und dem Gift geschah, ist vorstellbar.
 Eine echte Godlgrube (Waihi)

Wir wandern einen Rundweg, dessen oberster Teil auf einem Bahntrassee verläuft. Die Tunnels sind gewunden und unbeleuchtet. Es ist so dunkel, dass wir umkehren müssen. Hätten die unten was geschrieben, wir hätten Taschenlampen gehabt. Ausserdem war es immer noch regnerisch, und wir hatten alle Mühe, die Schuhe einigermassen trocken zu halten. Also zurück und ab nach Rotorua, der

Stadt auf dem Vulkan

Wenn man in die Stadt einfährt, dampft es überall. Das sind die vulkanischen Fumarolen, bei denen der schweflige Wasserdampf aus der Erde austritt, Tag und Nacht, Jahr für Jahr. Rotorua liegt am gleichnamigen See, einem der vielen, die ihren Ursprung dem Vulkanismus verdanken. Irgendwann hat es hier mächtig gerumst, das unter der Oberfläche eingeschlossene heisse Gas und die kochende Lava wurden empor geschleudert, die Kaverne unter der Erde hat sich so geleert und ist dann eingestürzt, der Krater war perfekt und der See hat sich gefüllt.

Heute ist Rotorua ein Zentrum des Tourismus, dessen Kombination von Vulkanismus und Maorikultur Leute aus aller Welt in grossen Scharen anzieht. Elo hat auf einer kurzen Strecke an der Hauptverbindung vom Stadtzentrum zu den wichtigsten Attraktionen nicht weniger als 45 Motels gezählt. Aber wir sind, wie gesagt, in der Nebensaison, wodurch wir auch hier ein gutes Motel finden, preiswert, sehr freundlich, mit allem Drum und Dran: Zeitung am Morgen, eigener Whirlpool im geschlossenen Hinterhof und freier Transport zum Abendessen in die Stadt und Abholen auf Telefonanruf danach! Karen und Terry sind geniale Gastgeber, wir verstehen uns gut.

Das Museum von Rotorua hat eine ausgezeichnete Abteilung über Geschichte und Kultur der Maori.

Dampfdorf

Whakarewarewa ist wohl das berühmteste Maori-Dorf der Welt. Es liegt am Südrand der Stadt und ist seit hunderten von Jahren bewohnt. In allen Strassen qualmt und raucht es. In den Boden eingelassene Rohre lassen den Druck ab, damit nicht plötzlich alles entweder hochfliegt oder zusammenfällt. Kochen tun die Familien in Gruben über dem Dampf, indem sie die Töpfe einfach auf ein Gitter stellen, Deckel drauf und dann irgendwann das Essen gegart holen. Es kann nicht verkochen, es ist die Vorwegnahme des zur Zeit hier und in Australien populären Langsamgarers (Slowcooker).

Auf Steinplatten läuft das zu heisse Wasser in ein System von Badebecken, und bis es in diesen ist, stimmt die Temperatur für ein heisses Bad der Einwohner. Spezielle Becken sind für die Wäsche vorgesehen. Die Kinder baden im warmen Fluss. Um Gemüse zu züchten, müssen die Beete auf Kästen gelegt werden, die unten Luftzug haben, da die Erde zu warm wäre. Und nahe Geysire sorgen für eine Art Unterhaltung.

Die Einwohner haben sich an den unruhigen Untergrund gewöhnt, auch wenn einmal eine Kaverne einbricht. Sie haben die Häuser an den Hang gestellt, wo es sicherer ist, auch wenn es auch dort immer qualmt.

Ein schönes Geschenk

In einem Schmuckladen im Dampfdorf kamen wir mit dem Kunsthandwerker Ralph Hamon ins Gespräch, der vor allem Anhänger aus Steinen und Knochen herstellt. Er erzählte uns von seinem Leben in Australien, wo er der einzige Nicht-Aborigine gewesen sei, der jemals die Erlaubnis erhielt, Rauchopfer für Verstorbene durchzuführen, damit deren Seelen ihren Friede fanden. Ralphs Vater war Franzose, seine Mutter Maori. Auch weitere seiner spirituellen Erfahrungen erzählte er uns in einer leisen, unaufdringlichen Art, die eindrücklich war.

Eine Geschichte war die über ein dreijähriges Aborigine-Mädchen, dessen Geist ihm durch eine schwere Erkrankung geholfen hatte, und das auch heute noch immer bei ihm ist. Vor kurzem war eine Französin in seinem Laden, die das Gesicht hat, also Dinge sieht, die wir nicht sehen. Sie sagte spontan, ob er wisse, dass ein dreijähriges Mädchen in seinem Laden sei…. Wie heisst es im Hamlet: „There are more things between heaven and earth Horatio, than you might have dreamt of in your philosophy“. Es gibt eben mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als unsere Schulweisheit sich träumen lässt.

Nach dem langen Gespräch auch über Unterschiede zwischen den Aborigines in Australien und den Maoris hier suchte er zwei schöne Steine heraus, die er uns schenkte. Es sind jadeartige grüne Steine, sogenannte Greenstones, die erst durch das Tragen auf der Haut die richtige Geschmeidigkeit, ihre sanfte Textur bekommen, die sie auszeichnet, sagt Ralph. Sein Geschenk soll uns Glück bringen. Mir gefiel mein Stein so gut, dass ich mir von Ralph ein Loch hinein bohren liess, und ihn seither an einer von ihm geflochtenen Schnur am Hals trage. Ob er das versprochene Glück bringen wird, muss sich zeigen. Aber er ist einfach schön.

Der dressierte Geysir

Es raucht aber nicht nur in Rotorua, es raucht in der ganzen Gegend. Wir besuchen zwei südlich gelegene Thermalgebiete. Das eine heisst Wai-O-Tapu, was Heiliges Wasser bedeute. Die Hauptattraktion ist der Geysir Lady Knox, der jeden Tag pünktlich um Vormittags viertel nach Zehn zum Wassersprühen gebracht wird. Dafür wird er mit Seife gefüttert, der Schaum bringt ihn dann zum Ausbruch, zum schäumen quasi. Hunderte von Zuschauern bestaunen die über 10 Meter hohe Fontäne. Das ist zwar etwas wie Geysir-Zirkus, aber auch die dressierten Löwen im Zirkus sind ja durchaus sehenswert. Und Lady Knox ist schön.

 
Daneben gibt es dann einen Rundgang über einige Kilometer durch die verschiedensten thermalen Teiche und Seen, an dampfenden Schlammlöchern und blubbernden Quellen vorbei, über Platten, unter denen das heisse Wasser fliesst. Es ist unwahrscheinlich, welch schöne Farbspiele die vom heissen Wasser gelösten Stoffe hervorbringen: Blau, rot, violett, grün, gelb – die ganze Palette. Und überall raucht und dampft es, aus Ritzen und Löchern, aus Spalten oder ganz einfach aus der Erde und den Abhängen, was immer wieder neue Stimmungen hervorzaubert. Wir fühlen uns nah am Erdinneren.

Durch ein Ausbruchsgebiet

Am 10. Juni 1886 ist nahe von Rotorua in Waimangu ein sehr starker Vulkanausbruch erfolgt. Ausgehend vom Mount Tarawera brachen in West-südwestlicher Richtung ein Vulkan nach dem anderen aus dem Boden. Wie wenn eine Lavarakete nach der anderen gezündet worden wäre. Viele Krater zeugen davon, oft mit senkrechten Wänden und recht grossem Durchmesser. Ein mehrere Kilometer langer Wanderweg mit guten Erläuterungen führt über mehr als hundert Höhenmeter hinunter in das Tal und dann entlang der vielen Eruptionen.

Nach dem Ausbruch war zunächst alles Leben zerstört. Es bildeten sich Seen, und nach einiger Zeit war dann wieder genug thermische Energie und genug Wasser da, um viele Thermalquellen und Dampfaustritte zu bilden. Heute ist alles überwachsen, es sei denn, das Gestein werde direkt vom kochend heissen Wasser überflutet. Unter dem Boden ist das Wasser weit über 100 Grad warm, es verdampft aus allen Ritzen und aus den Berghängen.









Das Wasser hat je nach gelöstem Mineral eine andere Farbe. Und auf den Sintersteinen bilden sich mit Moosen und Mineralablagerungen prächtige Farbspiele. Die schönste Platte heisst Vogelnestterrasse: Ein kleiner Geysir sprudelt stetig heisses Wasser schräg empor wie ein Springbrunnen; das heisse Wasser bildet eine helle Strasse in dem es umgebenden Gelb des Steins und Grün der Moose und Algen. Kein Gartenarchitekt hätte das so hinbekommen.

 
Anschliessend machen wir noch eine Fahrt auf dem angrenzenden Lake Rotomahana, der durch den Ausbruch von 1886 auf ein vielfaches seiner vorherigen Fläche aufgestaut wurde. Zur Zeit hat er Hochwasser, es hat viel geregnet. Am Ufer sehen wir von nah einen Geysir, der nicht auf Seifenpulver angewiesen ist und pünktlich alle fünf bis siebeneinhalb Minuten ausbricht. Rund herum sprudelt und zischt es, die Bergflanken geben Dampf ab. Eindrücklich auch hier.

 






Buchten und Strände

Von Rotorua geht unsere Fahrt durch die Hügel und entlang von weiteren Seen hinab ans Meer. Wenn nicht statt Tannen Farnpalmen an den Hügeln stünden und Schaf- statt Kuhzäune die Wiesen säumten, wir könnten meinen, wir seien im Appenzellerland oder im Schwarzwald. Reich gegliederte enge Täler, Wiesen mit Kuhweglein, kleine Vieherden, alles satt grün. Aber wir wissen: gleich um die Ecke ist das Meer.


Wir fahren um das Ostkap, an dessen Spitze der östlichste Punkt Neuseelands liegt. Es ist eine herrliche Fahrt. Eine Bucht ist schöner als die andere; der Picknickplatz, auf dem wir den geräucherten Seeaal und die Krevetten essen, die wir in Opotiki gekauft haben, ist einmalig, und das Wetter ist schön, kühl aber schön.

Wir sehen ein schön gelegenes Motel, nichts wie hin, das Restaurant hat sicher einen schönen Blick. Hat es. Und für den Preis, zu dem wir in Sirnach keine Uebernachtung bekommen würden, haben wir neben der voll eingerichteten Küche noch eine private Waschmaschine und einen Tumbler, die wir nutzen. (Der Architekt hat nicht mit so grossen Waschmaschinen gerechnet: Der Platz auf dem Lokus ist etwas beengt…)

Und wieder ist die Welt ein Dorf

Der Sonnenuntergang, den wir beim sehr guten Abendessen geniessen - die Köchin ist Russin! –, bringt ein Licht in die Bucht, dessen Spiel auf dem Wasser zuerst an Bilder von Monet erinnert, und dessen Verglühen in den Wolken und im Wasser dann an die Genferseebilder von Hodler.

Nach dem Essen komme ich mit Peter, dem Besitzer des Motels, einem Maori, ins Gespräch. Wir schauen uns am grossen Fernsehschirm zusammen ein Rugbyspiel an, dessen Höhepunkte ihn jeweils ganz plötzlich in Hurrarufe explodieren lässt: sein Team aus Auckland gewinnt. Peter ist ein offensichtlich erfolgreicher Immobilienhändler in Auckland, der das Hotel hier vor einem Jahr gekauft und in Schwung gebracht hat.

Ich erzähle ihm, ich hätte vor 15 Jahren einmal einen Job in Auckland gehabt, für die Vereinigung der neuseeländischen Aerztegruppen und insbesondere für deren Präsidenten, Tom. „Du meinst Tom Marshall?“, fragt Peter. Der ist es, und auch hier ist die Welt ein Dorf, in dem irgendwie jeder jeden kennt. Ich habe Toms Adresse gesucht; seine Visitenkarte von damals aber gilt nicht mehr, ich fand ihn nicht. Peter wird mir den Kontakt herstellen.

Morgen ist unterwegs ein grosser lokaler Rugbymatch, wie uns der Sohn von Peter erzählt, der hier den Geschäftsführer macht. Die ganze Küste soll auf den Beinen sein, ein grosses Volksfest. Nichts wie hin! (Das war aber nichts. Auf der Fahrt am nächsten Tag waren die versprochenen Fahnen und der Kampfplatz nirgends zu finden.)

Ostend

Die Fahrt entlang der Küste war weiterhin atemberaubend. Eine Bucht schöner als die andere. Zuerst zeigte sich das Cape Runaway, das Kap des Fortrennens. Es wurde von Cook so benannt, nachdem er mit einem Musketenschuss ein Kanu der Maori vertrieben hatte: “Upon this I order’d a round shot to be fir’d over their heads, which frightened them to that degree that I believe they did not think themselves safe until they got ashore. This occasen’d our calling the Point of land off which this happend, Cape Runaway“, schreibt er in seinem Tagebuch.

Ganz am Ende fuhren wir noch 20 Kilometer über teilweise Staubstrasse bis ans Kap. Die Strasse wand sich direkt entlang des Ufers, die Brandung rollte von Osten und Norden in Richtung Dünen und Kliffs, die Kühe weideten auf den Wiesen vor und hinter den Zäunen, Pferde grasten friedlich im Mittagslicht.

Am Ostkap (East Cape), dem östlichsten Punkt des „Festlandes“ (Neuseeland ist ja ein Inselland), steht auf einem Felsvorsprung ein Leuchtturm, zu dem wir 700 Stufen (154 Höhenmeter) in einer Viertelstunde hochkrabbelten. Die Aussicht ist umwerfend, und direkt vor uns, wenn auch in einiger Entfernung, liegt Südamerika.




Dann geht es meist im Land, direkt hinter den ersten Bergen und Hügeln am Meer, nach Süden. Für ein Picknick fahren wir ans Meer. In Tikitiki bewundern wir eine interkonfessionelle Kirche der Maori, deren Ausgestaltung eine Renaissance der klassischen Gestaltungskunst in dieser Region einleitete.

Insgesamt ist die Küste des Ostkaps (es sind von Opotiki bis nach Gisborne rund 300 meist gewundene Kilometer) eine der schönsten, wenn nicht die schönste Küstenstrecke, die wir je gefahren sind.

 


Zeitverschobenes Art Deco
 
Napier ist die Stadt des Art Deco. Nach einem sehr starken Erdebeben 1931 wurde die Innenstadt mit vielen Gebäuden im Art Deco-Stil aufgebaut. Das aus dem Jugendstil entwickelte Art Deco kam hier relativ spät an, dem weiten Weg von Wien und dem übrigen Europa angemessen. Aber das Resultat lässt sich sehen.

Die Wirkung im Zentrum ist einheitlich, die Bauten oft sehr schön. Unten auf der Geschäftsebene wurden die Fassaden oft ausgeräumt und sind hässlich, aber es haben sich gute Beispiele erhalten. Insgesamt ist Napier eine sehr schöne Stadt. Die im nahe bei Napier gelegen Hamilton im pseudokolonialen spanischen Stil erbaute Oper wirkt dagegen eher befremdend.
 



Hafen von Napier 


Dafür ist der Ausblick vom Te Mata Peak, südlich von Hamilton, umso beeindruckender. Auf knapp 400 Metern über Meer, nach einer engen und eher halsbrecherischen Anfahrt, liegen Küste und Inland zu unseren Füssen.

 




Gibt es ein Ende der Welt?

In der Südostecke der Nordinsel ist die Bevölkerung spärlich – was die Menschen betrifft. Schafe gibt es dafür umso mehr. Wir sind wieder einmal in einem Kaff gelandet, scheinbar am Ende der Welt. Auf dem Herweg waren wir überrascht, am Horizont Schneereste auf den Bergen zu sehen, die doch nur 1700 Meter hoch sind. Aber der Ausgangspunkt ist halt auch tiefer. Verglichen mit zuhause müssen hier 500 bis 600 Meter hinzugezählt werden. Dann wären die Berge über 2000 Meter, und da hat es auch bei uns im vergleichbaren April oft noch Schneefelder.

Wir werden an einem schönen Strand bei Porangahau dann fast weggeblasen. Erst als wir uns auf den Golfplatz hinter den Dünen verziehen, wird es besser, wärmt uns die Sonne. Der Duke of Edinborough (hier hat eine Schottin gewirkt!) ist wieder einmal ein altes, einfaches Hotel, in dem es uns aber gut gefällt. Das Dorf ist mehrheitlich von Maroi besiedelt, die ausserhalb, vor der Brücke ins Dorf einen schönen Friedhof haben, mit eigenwilligen Gräbern. Die wenigen Weissen werden bei der Kirche begraben.

Mit der Gastgeberin (nicht Besitzerin) kommen wir ins Gespräch. Sie ist aufgestellt, und es gefällt ihr hier, wo sie Wurzeln hat, aufgewachsen ist. Für uns ist hier etwas wie das Ende der Welt. Aber gibt es so etwas überhaupt? Die Erde ist rund, und von da her kann es einen Anfang und ein Ende schon aus geometrischen Gründen nicht geben. Und eben auch aus menschlichen nicht: Wo du lebst, wo du herkommst, ist der Mittelpunkt, Anfang und Ende. Für uns ist hier das Ende, für die Gastgeberin der Anfang. Und das scheint mir gut so.

Der längste Ortsname
 Der Berg ist hinten in der Mitte

Hinter Porangahau kommen wir am Berg vorbei, der zwar mit seiner Höhe von 305 Metern
nicht beeindruckend kann, dafür mit seinem Namen. Er heisst „Taumatawhakatangihangakoauauotamateaturipukakapikimanungahoronukupokaiwhenua
kitanatahu“, was so viel heisst wie „Der-Häuptling-und-Krieger-Tamatea-beweint-hier-jeden-Morgen-seinen-Bruder-der-im-Krieg-den-Tamatea-mit-den Nagati-Hina-angezettelt-hatte-unkam-und-er-spielt-für-ihn-auf-der-Flöte“. (Da könnten doch auch beispielsweise Mosang ins Guiness Buch der Rekorde kommen. Sie müssten einfach die Iddaburg etwas umbenennen, in etwa so: „BurgplatzaufdemderGrafvonToggenburgdieheiligeIddaausdemFensterinsMurgtobelgewor
fenhatalsermeintesiehätteihnbetrogenworaufsievoneinemEngelwunderbarerweiseaufgefan
genundsogerettetwurdeunddannjedenMorgenvoneinemHirschmitKerzenaufdemGeweihzur
MesseindieKlosterkircheFischingengeführtwurdebissiestarb“. Da würden die Maori aber Bauklötze staunen. Und die Iddaburg ist mit fast 1000 Metern erst noch viel höher!

Weideland

Hinter der Küste des Südostens breiten sich auf dem ruppigen Hügelland grosse Weiden aus. Aecker sind selten. Hier ist das Land der Kühe und vor allem der Schafe. Die satt grünen Wiesen sind weiss gesprenkelt, die Schafe haben jetzt Junge und es sind schöne Bilder.





Die Tiere sind scheu, wenn wir anhalten oder ihnen auf einem Spaziergang in den Weiden begegnen, rennen sie davon. Oft verirren sie sich auf den Nebenstrassen, deren kurviges auf und ab wir hier befahren, ausserhalb der Zäune, und sie sind dann ganz aufgeregt, wenn wir an ihnen vorbeifahren.

Die Rinder sind da ruhiger. Es gibt entweder Muttertierhaltung oder Munimast. Gemolken scheint wenig zu werden. Meist sind es schwarze Angus oder braunweisse Hereford, ähnlich den Simmentalern. Die Herden sind auch hier oft riesig gross, mehrere Hundert Stück.

Auch dort, wo das Land eben ist, sind Felder selten. In den von den Westwinden durch Gebirgszüge geschützten flachen Mulden des Süsdostens wird Wein angebaut, vor allem rund um Matheson und Martinborough. Hier wachsen feine Weisse und Pinot Noirs.
 
In Martinborough übernachten wir im bisher schönsten Motel: Eine gut und geschmackvoll eingerichtete Einzimmerwohnung mit Küche, Sprudelbad, Stereo- und Videoanlage (mit CDs und DVDs) usw. Dazu ein schöner Garten, in dem wir das endlich etwas wärmere Wetter geniessen. Es wird dann schon wieder kalt (und das wurde es!).

Haloween in Martinborough

Seehunde

An der Südostecke der Südinsel, am Cape Palliser, beobachten wir eine Seehundkolonie von ganz nah. Die Tiere sonnen sich oder sie lassen sich in der starken Brandung treiben. Wenn wir näher kommen, beäugen sie uns, wie wir sie, und wenn es ihnen zu bunt wird, geben sie etwas ungehalten Laut und verdrücken sich ins Wasser. Ihr schönes Fell glänzt im Sonnenlicht.

 
Zuvor sind wir aber noch zum Leuchtturm hoch, eine Diretissima von 250 Treppenstufen. Ich habe das ohne Halt gemacht, und ich war oben ganz schön ausser Puste. Konditionstraining. Die Aussicht über die Küste mit der starken Brandung hat mich entschädigt.

In die Hauptstadt

Dann geht es über einen respektablen Pass in Richtung der Hauptstadt Wellington. Er ist zwar nur 550 Meter hoch, kommt aber auch hier halt von Meereshöhe. An den Bergflanken blüht es, der Frühling ist deutlich zu sehen. Zu spüren ist er dann in Wellington weniger, der Wind ist wieder einmal saukalt.

Aber die Stadt gefällt uns. Sie liegt an einer von den Wellen – nicht vom Wind! – geschützten Meeresbucht, umgeben von Hügeln, die heute überbaut sind. Wellington rühmt sich, die Stadt mit der besten Lebensqualität auf der Welt zu sein. Das können wir nicht beurteilen, aber sie macht einen sehr guten Eindruck, mit schönen Strassen, Plätzen, Gebäuden, mit einer feinen Umgebung und vielen Freizeitmöglichkeiten in unmittelbarer Nähe.

 

Ein Museum – ein Tag

Das Te Papa-Museum, das Nationalmuseum Neuseelands, ist unsere Rettung. Als wir aus dem Hotel kommen, bläst ein richtiger Sturmwind, der uns in seiner Kälte und Heftigkeit den Atem nimmt. Die Fahrt mit der Standseilbahn auf einen nahe gelegenen Hügel mit anschliessendem Spaziergang durch den botanischen Garten wird vom Programm gestrichen, wir besuchen das Museum.

Und so wie das Museum in Auckland schlecht gestaltet war, so ist dieses gut. Abwechslungsreich, immer wieder interaktiv zum Knöpfe drücken und Filme anlassen, mit vielen verschiedenen Themen, oft witzig, meist eindrücklich. Abteilungen über Erdbeben (in einem Zimmer wurden wir richtig geschüttelt) und Vulkane, über die Ureinwohner, deren Herkunft, Geschichte und Kultur, deren Kampf um die Anerkennung des Vertrags von 1840, der ihnen alle Landrechte gab, die ihnen dann wieder genommen wurden, über die Einwanderer und deren Schicksale, über Alltag und Freizeit, über den (meist brutalen) Umgang der Menschen mit der Natur usw. usf.
 Bug eines Kriegskanus


Corned Beef

 
Wir waren von 10 bis halb sechs im Museum, zweimal haben wir in der schönen Cafeteria Tee/Kaffee getrunken und uns ausgeruht. Es war uns nie langweilig, und am Schluss hatten wir noch zu wenig Zeit. Dieses Museum darf der Tourist hier nicht verpassen.

Am Abend waren wir noch in einem Kleintheater. Auch wenn die Schauspieler gut waren, so hat das Stück das, was es ankündigte, nicht gehalten: Junge Neuseeländer 1974 in Peking, in Maos China. Wir waren aus biografischen Gegebenheiten gespannt. Aber es war dann bei aller Nachsicht doch zu dünn.

Nach Süden
Morgen fahren wir mit der Fähre auf die Südinsel, also ins Kalte, hier unten. Davon haben wir heute nochmals einen guten Schluck genommen. Es brauchte richtig Uebewindung, um aus dem Motel  zu gehen. Regen und Sturm. Wir sind also nochmals ins Museum gegangen, ins Museum of Wellington, das die Geschichte der Stadt dokumentiert. Auch hier wieder ein gutes Beispiel von Museumspädagogik. Interaktiv, kurzweilig. Der Film über den Schiffbruch der Fähre Wahine von 1968 im Hafen vor der Stadt war eindrücklich.

Dann haben wir uns in ein Restaurant am Queens Wharf verdrückt und einige Stunden mit guter Wein- und Speisekarte verbracht.










3.11.2012 / JB.