Dienstag, 2. August 2011

VII Von Astrachan nach Buchara


23.7.
Heute sind wir in Kasachstan eingereist. Zuerst hatten wir Mühe, aus der Stadt rauszukommen, denn das GPS ist beendet und die Signalisation war so nach dem Motto, wir wissen ja, wo’s lang geht, ist doch klar. Oder? Viel fragen half. Dann passierten wir noch eine Pontonbrücke über einen Wolgaarm – der Fischer im Gummiboot und ich waren auf Augenhöhe. Dann wieder suchen und schon waren wir an der Grenze. Russland ging schnell, Kasachstan, nachdem das Autochaos aufgelöst war, unbürokratisch. Keine Versicherung, keine Zolldeklaration, kein Carnet de Passage für das Auto (der Grenzer wollte nur Nummer, Marke und Farbe wissen). Geldwechsler haben an der Grenze einen guten Kurs gegeben: 200 Tenge für einen Euro.

„Strasse“, sagen sie dem
Aber dann die Strasse. Eine bare Katastrophe. Wellen, Gräben, Löcher, unsichtbare Schläge etc. pp. Die Spurrinnen der Laster waren bis zu 20 Zentimeter tief, wenn ein Laster kreuzte gab es kein Ausweichen. Schläge zum Fürchten. Das Büssli hat dann auch prompt vorne links zu klappern, „chlefele“, begonnen, nicht dauernd, aber auf dem Wellblech. Etwas beunruhigend.

Zum Glück haben wir eine neue Bekanntschaft gemacht. Am Zoll beim Warten hielt einer den Kopf rein und statt einer russischen Frage, die wir jeweils ratend beantworten, kam ein „hoi zäme“. Es ist ein Hinwiler der mit dem Töff via China nach Thailand unterwegs ist. Später holte er uns ein und schlug vor, in einer Beiz an der Strasse etwas zu essen. Das taten wir, und es war eine ausgezeichnete Nudelsuppe mit Fleisch und Gemüse.

Michael
Michael führt mit seiner Freundin, einer best ausgewiesenen thailändischen Köchin, die im Marriot in Zürich eine Spitzenbeiz aufgezogen hatte, in Hinwil ein Thairestaurant, das „Thai Country“. Michael hatte erwähnt, er sei auch etwas wie Automechaniker, und ich fragte ihn wegen des „Chelfeles“. Er schaute nach, und er hat sofort gesehen, was es war. Eine befestigungschraube des Stossdämpfers hat sich gelöst. Sie ist aber auch etwas verbogen, weswegen wir sie nicht auf der Strasse festziehen konnten. Sie ist auch so verklemmt, dass der Zugang schwierig ist. Das hat aber den Vorteil, dass ich ruhig, so Michael, noch einige Tausend Kilometer fahren kann, bis ich es machen lasse: Es braucht Zeit und einen zuverlässigen Mechaniker. Ich werde das in Khiwa in Usbekistan machen. Quietschen tut das Büssli wie auch schon, das lasse ich vorher beheben.

Michaels Töff ist jeweils die grosse Attraktion. Da können wir nicht mithalten.

Paradies und Hölle
Die Vorstellung von Paradies und Hölle könnte durchaus in der Landschaft entstanden sein, die wir durchfuhren. Der Wechsel war brutal: Das wunderschöne Wolgadelta in den Sommerfarben, mit mäandrierenden Flüssen und satten Matten auf denen sich die Kühe sichtbar wohl fühlten, mit Wasservögeln, Falken, Bauerndörfern, Schwalbengezwitscher, und dann ohne jeglichen Uebergang eine baumlose Steppe, die immer mehr zur Wüste wurde, Wohnansiedlungen zum Verzweifeln, Kamelen und Kühen, die die karge Vegetation vertilgen, Staub und Wind. Die Reiter, die aus dem Osten ins Delta kamen, mussten sich im Himmel fühlen.

Grenzfluss Ural
Jetzt sind wir in Atyrau, einer grossen Stadt (>150'000 Einwohner) am Ural. Der Fluss bildet die Grenze zwischen den Erdteilen Europa und Asien. Wir wohnen in Europa, essen werden wir voraussichtlich in Asien. In den Hotels, die nur auf Bisnismän im Erdölbezirk am Kaspischen Meer ausgerichtet sind, gibt es grundsätzlich nur Einzelzimmer. Zweierbelegung ist bei Ehefrauen möglich! Wir sind hier unter dem Meeresspiegel (wissenschaftlich gesprochen in einer Depression, und auch dieser Begriff könnte angesichts der Landschaft hier erfunden worden sein), der Spiegel des Kaspischen Meers ist 28 Meter unter Null.

Der Charme der Stadt hält sich in engen Grenzen. Er liegt, wie alles rund rum auf dem flachen Land, viele Hütten in der Steppe als Aussenbezirke, Industrie, im Zentrum einige Hochhäuser, breite Strassen, die nur zum Autofahren einladen.

24.-28.7.
Wir sind in Chiwa, in Usbekistan, nahe der turkmenischen Grenze in der Oasenzone des Amudarja, dem Oxus der alten Griechen. Und ich fühle mich weit weg von aller mir verständlichen Zivilisation, wie selten zuvor, wenn überhaupt je. Hinter uns eine schwierige Strecke, vor uns eine unmögliche und ein Land mit wirtschaftlichen Sitten und Gebräuchen, die sich uns im 21. Jahrhundert kaum erschliessen und uns das Leben erschweren. Aber inmitten von freundlichen Menschen und ohne irgendwelche Probleme der persönlichen Sicherheit.

Aber der Reihe nach:

24.7.
Am 24.7. fuhren wir frühmorgens aus Atyrau ab in Richtung Usbekistan, um die nordöstliche Ecke des Kaspischen Meeres – das wir nie gesehen haben – herum. Weiterhin Wüste aus Kiesel, keine modulierte Landschaft, aber gute Strassen. Rund 80 Kilometer vor der Grenze beschliessen wir, noch weiter nach Usbekistan zu fahren, wir sind gut in der Zeit.






Elo macht 100’000 Kilometer

Das Büssli hat unterwegs 100'000 Kilometer gemacht. Elo fuhr auf dieser Strecke, sie war gut, und es war wichtig, dass sie sich ans Fahren gewöhnt Die 100'000 hatten wir inmitten von Kamelen, damit waren wir nicht die einzigen dieser Spezies!

Dem Zeitplan voraus
Durch unser forciertes Marschtempo sind wir der Ursprungsplanung 5 Tage voraus. Da wir aber in Tadjikistan erst am 8.8. einreisen können, werden wir 14 statt 10 Tage in Usbekistan bleiben, es gibt ja viel zu sehen. Dass wir auch Ruhetage dringend nötig haben werden, wussten wir noch nicht.

Einen ersten Eindruck von dem, was uns streckentechnisch erwarten würde, erhielten wir bis zur Grenze: Naturstrasse, Wellblech, Staub und Löcher. Ich bretterte über die Querrillen, es ging ganz gut, nur das Büssli klapperte nachher stärker.

Unproblematische Grenze
Der Grenzügbergang war mit gut eineinhalb Stunden unproblematisch. Die Kasachen liessen uns schnell raus. Ein Grenzoffizier, der etwas Englisch konnte, wollte wissen, wie hoch unsere Pension sei. Ich stapelte etwas tief mit 5000 Dollar, aber er war beeindruckt. Als ich ihm dann sagte, ein Kaffee koste aber 5 Dollar, ging ihm ein Lichtlein auf.

An der Usbekischen Grenze war vor dem Eingangstor, durch das sie die Wagen einzeln in den Zollbereich lassen, ein Riesendurcheinander mit quer stehenden Wagen usw. Ich ging mal zu dem Soldaten mit der Kalaschnikow (!), und als der unser Schweizer Kreuz sah, winkte er uns an allen vorbei und durch.

Bis dann alles vorbei war, war es Abend, und wir sagten uns, wir wollten doch in einem Dorf übernachten. Das kam nach etwa 20 Kilometern – und mit fast 600 Kilometern Tagesleistung hat das auch gereicht. Im Dorf wussten wir nicht wohin, aber Elo meinte, der Bahnhofplatz sei doch etwas wie öffentlich. Und da blieben wir auch. Und der oberste Dorfpolizist – es hatte mehrere Tschugger – fand das dann auch i.O. Ein Fernzug kam, es war etwas Betrieb, in der Nähe dröhnte eine Musikanlage, wir nahmen die Stühle raus und lasen noch etwas, und dann ab in die Heija!

25.7.
Brunis Apotheke in Gebrauch
Als wir am frühen Morgen nach einer guten Nacht abfuhren, hatte Elo Durchfall, und wie. Zum Glück haben wir bei Dr. Bruni in Wil uns eine gute Reiseapotheke geben lassen, aber so schnell geht das dann doch nicht weg, und sie ist immer noch etwas geschwächt.
Dann ging es endlos durch die endlose Wüste. Es ist ein Plateau und es ist wirklich platt. Die einzige Abwechslung sind Kamele, die von nirgendher nach nirgendwo die Strasse überqueren. Fast kein Verkehr. Heiss. Anstrengend. Auffallend viele Laster der Firma Willi Betz begegnen uns auf der ganzen Strecke. Hat der ein Monopol hier?






Unser Ziel  Nukus will und will nicht kommen, und ausserdem wäre Sprit nicht schlecht, ich bin auf einem Viertel unten. Endlich an dem Uebergang vom Plateau zur Oasenwirtschaft des Amurdarja sieht Elo ein Schild, eine abenteuerliche Pumpe, und wir haben wieder Saft. Nach zum Teil unbeschreiblichen Strassen kommt plötzlich ein Stück, das auch bei uns als erstklassig bezeichnet würde. Das ist dann aber bald wieder vorbei und wir fahren neben fast fertigen Klassefahrbahnen auf der alten Strasse, immer ein Rad möglichst weit rechts, weil es dort besser ist, aber halt auch Löcher hat. Es staubt, rüttelt….. Nukus unser Ziel will nicht kommen, Strassenschilder gibt es prinzipiell nicht, man kennt sich ja aus.

Nach einem kleinen Umweg (wir wollen ja nach Nukus, und als endlich etwas angeschrieben ist, ist das Nokis, und wir wissen nicht, dass dies in der lokalen Sprache….Nukus ist!) sind wir in der Stadt, fahren über den Fluss nach Transoxanien und nehmen das beste Hotel. Es ist in Ordnung, aber die 200$ niemals wert. Sei’s drum, wir sind durch.

Bankgeschäfte I
Bezahlen müssen wir in Som, der Landeswährung: 2000 Som für einen Franken und die grösste Note 1000er! Das gibt Bündel! Und dann, wo wechseln? Nur auf zugelassenen Banken. Bankomaten gibt es nicht, kann es bei solchen Papierhaufen nicht geben, auch wenn wir nicht im Land der letzten Sowjetwirtschaft wären. Was wir allerdings können, ist mit der Kreditkarte Dollar beziehen, gegen Gebühr, versteht sich, aber immerhin. Gefragt ist allerdings in Nukus Visa, und meiner Karte wird auf der Bank, zu der ich mit dem Taxi fuhr, der Zugang verweigert, obwohl ich sicher bin, dass der Sicherheitscode stimmt.

Mastercard macht nur eine Bank in der Stadt, und die hat dann morgen auf! Also plünderte ich den Geldgurt, wechselte 200£ und 250€ und es kam fast eine Million Som zusammen.

26.7.
In der Nacht überlege ich, dass Nukus eine grosse Stadt und Chiwa ein relatives Kaff ist. Vielleicht ist es besser, wenn ich das Büssli hier ansehen lasse. Ein Ruhetag ist sowieso gut. Raschid, der Manager des Hotels, erweist sich als Goldstück. Nachdem ich mit ihm einen Preis von 100$ für die zweite Nacht ausgehandelt habe, fragte ich ihn nach den Autowerkstätten. Er kam mit, zuerst aber gingen wir zur Bank. Dort war die Kartenmaschine ausgefallen, der Ersatz käme am Nachmittag. Also ab zur Werkstatt.

„Kaputt“


Die Mechaniker besahen sich die Sache, und das Wort „kaputt“ kannten sie und verstand ich. Die Befestigung des rechten vorderen Stossdämpfers war gebrochen. Ausserdem, stellte sich dann während der Demontage heraus, war auch die Radaufhängung durch. Das erstere konnten sie ersetzen, sie nahmen ein Teil von einem alten russischen Wagen. Das zweite aber nicht. Es stellte sich heraus, dass die Regierung eine völlig protektionistische Autopolitik betreibt: Chevrolet und Daewo fabrizieren gasbetriebene Autos, denn Uzbekistan hat vor allem Gas, wenig Erdöl. Das hat zur Folge, dass die anderen Marken unterdrückt und mit exorbitanten Luxuszöllen belegt werden.

Aber die äusserst kompetenten Mechaniker versicherten mir, dass sie das Büssli soweit auf Vordermann bringen würden, dass ich bis Tadjikistan kommen würde – wenn ich sehr vorsichtig und schonend fahre. Bei den Strassen, und bei denen, die noch auf uns zukommen! Sie arbeiteten genial, auch wenn sie nicht verhindern konnten, dass zwei Schrauben brachen. Denn das Büssli ist im Fahrgestell sehr rostig! Die Gemeinde Trin Moulin hat es wohl als Salzfahrzeug eingesetzt. Das zusehen war nervenzerfetzend! Die eine Schraube konnte ersetzt werden, der Mann hat von Hand ein neues Gewinde gebohrt, die andere nicht, und deshalb eben: Vorsicht! Gekostet hat das Ganze 250'000 Som oder 100€.

Bankgeschäfte II

Dann ging es zur Bank. Die Maschine war da, aber ich durfte nicht 5000$ abheben, sondern pro Tag nur 500, das würde zentral registriert. Das habe ich gemacht, dann noch, beim Kurs von 1740 Som pro Dollar gewechselt – und schon waren wir mit dem Rest vom Vortag wieder Millionäre! Aber ich würde morgen wiederkommen. Kein Problem.

Oben auf dem Stapel liegt sozusagen das Muenz.





Willi Betz
Ueber Willi Betz hat mich Raschid auch noch aufgeklärt. Das ist kein Deutscher, sondern Pole oder so. Die Fahrzeuge, die im ganzen Osteuropa, nicht aber in Deutschland zugelassen sind, machen den Nachschub für Afghanistan, für die Nato. Sie transportieren Kleider, Nahrungsmittel usw., nicht aber Waffen. Und der Transporteur ist Betz.






Sensationelles Savitzky-Museum
Zum Abschluss des Nachmittags gingen dann Elo – die im Zimmer geblieben war – und ich noch ins Museum Savitzky. Das wurde gelobt, und es war ausserordentlich, unwahrscheinlich, so etwas in dieser Ecke der Welt zu finden.

Savitzky war selbst Maler, und er hat in der Zeit des stalinistischen Kulturdrucks die russischen Avantgardisten, die ja in der ersten 30 Jahren des vergangenen Jahrhunderts Weltspitze waren, gesammelt und der Nachwelt erhalten. Die Sammlung ist immens, es können jeweils nur wenige Prozent gezeigt werden, die dann immer wieder ausgewechselt werden. Es hat uns schier erschlagen, wir waren beeindruckt.

Für Kunstspezialisten ist das Museum eigentlich ein Muss, und das Verdienst Savitzkys ist gross, zumal er für viele Künstler auch ihre Entwicklung dokumentierte, Volkov als Beispiel.

Hier also ein weiteres Beispiel eines Erlebnisses, das wir nicht erwartet hätten.

27.7.
Bankgeschäfte III
Am Morgen fuhren wir zunächst mit Raschid hinten im Büssli zur Bank. Dort kam ich auf die Idee, zu fragen, ob nicht auch noch Elo mit ihrer Karte Geld beziehen könne. Vermutlich wird ja die Karte registriert, nicht der Halter. Selbstverständlich, war die Auskunft. Und dann: ich hätte noch drei weitere Karten (Deutschland, andere Schweizer Bank), ob das auch ginge? Natürlich ginge das. so bezogen wir 2500 Dollar in bar, und haben wieder etwas Spielraum.

Sprit
Dann wollten wir abfahren, aber ich musste noch tanken. Und zwar Diesel, nicht Gas (unproblematisch) oder Benzin. Es gibt viele Tankstellen, alte (sehr viele) und neue (wenige), aber praktisch alle sind geschlossen. Und Benzintankstellen (eine in Nukus haben wir offen gefunden) haben kein Diesel. Wir sind rumgefahren wie blöd, haben Sprit verbraucht, ohne Resultat. Da ich genug bis Chiwa hatte, sind wir dann los. Unterwegs gab es keinen Sprit. Wir sind über eine Pontonbrücke wieder über den Amudarja, und haben uns im nächsten Kaff wieder einmal verfahren: Die Hauptsrasse führte nicht in die grosse Stadt Urgench bei Chiwa, sondern an die turkmenische Grenze. Wieder 30 Kilometer für die Katz.

Langsam war ich unsicher, und ich kaufte einem Strassenhändler, der Flaschen an der Strasse hatte, 20 Liter Diesel ab. Es war ein halbwüchsiger Bub, der völlig erstaunt war, als ich mehr als 5 Liter wollte. Er ging in eine wohl verschlossenes Lager hinter dem Haus, in dem er einen Kanister hatte. Den schüttete er mir rein, der Preis hat für ihn gestimmt.

Vor Urgench sah ich eine Tankstelle, an der ein Traktor tankte. Das musste doch Diesel sein. Der Mann sagte mir zuerst mit Zeichensprache, dass er nichts hätte: die Unterarme werden vor der Gurgel gekreuzt. „Diesel“ aber, das hatte er. Die Tankstelle war dann noch sehr praktisch eingerichtet. Es hatte ein Mäuerchen bei der Zapfstelle und so konnte er mir die beiden Kanister auf dem Dach abfüllen, ohne sie runterzunehmen. Jetzt haben wir 40 Liter Reserve!!!

Chiwa
Chiwa ist sehr schön. Es hat eine gut erhaltene, zum Teil restaurierte Altstadt innerhalb einer Ringmauer, alles aus Lehmziegeln. Die Altstadt wird auch noch bewohnt, wir haben unser Hotel in einem Wohnbezirk. Es kostet vierzig Dollar, und hier wollen sie keine Som haben, sondern $. Auf hundert Dollar geben sie dann gerne mit Som heraus, kein Wunder bei einer Inflation von mindestens 40%.






Die Stadt ist voll von Medressen (Koranschulen, ähnlich Klöstern) und Moscheen. Im Abendlicht ist sie wunderbar. Wir gehen nur spazieren und essen, besichtigt wird morgen.









28.7.
Das haben wir heute getan, es war gut. Jetzt ruhen wir aus, schreiben, lesen, schlafen, denn es werden uns ein bis zwei sehr harte Tage erwarten. Die Hauptstrasse, auf die ich mich gefreut hatte (endlich keine Nebenstrassen mehr!) muss auf 150 der 400 Kilometer fürchterlich sein. Und das durch die Wüste, kein Baum, kein Strauch, kein Schatten, keine Klimaanlage. Die neue Seidenstrasse wird gebaut, überall gleichzeitig, die alte wird nicht repariert, und ich muss vorsichtig fahren.

Mal sehen, wir haben auf jeden Fall neben dem Sprit auch noch die Wasservorräte ergänzt.

Abendessen nahmen wir in einem Restaurant in einer Medresse (Koranschule), von denen es viele gibt. Als wir fragten, ob wir statt halb unterirdisch – schön eingerichtet – im freien essen könnten, haben sie uns vor dem Hauptportal einen Tisch mit einer Bank aufgesellt, mit wunderschönem Blick und einmaliger Atmosphäre.






Einschub von Elo

Annäherung
Freundin Ulla fragt nach dem „Menschlichen“. Nun ja, mangels Kenntnissen des Rumänischen, Ukrainischen, Russischen, Kasachischen und Usbekischen ist es nicht einfach, sich mit den Leuten grösser zu unterhalten. In Rumänien sprach der eine oder die andere noch Englisch, Französisch oder gar Deutsch, in den folgenden Ländern konnten wir uns nur noch verständigen.

In der Ukraine und in Russland waren die Leute – wohl nicht nur wegen der Sprache - sehr distanziert, zurückhaltend, manchmal gar misstrauisch. Fragte man nach dem Weg, liefen die meisten davon oder schüttelten abweisend mit dem Kopf. Die Leute vermieden Blickkontakt, ein Gruss wurde nie erwidert, ein Lächeln mit ernstem Gesicht entgegengenommen. In den Hotels sprach man zwar in der Regel an der Rezeption Englisch, behandelte uns korrekt, sogar hilfsbereit, aber nie freundlich. Das – noch systembedingte - Misstrauen zeigt sich im Hotel. In der Regel zahlt man das Zimmer, bevor man es bezieht, und wenn man es am Morgen verlässt, muss erst die Hausdame des Stockwerks kontrollieren, ob man auch nichts gestohlen oder kaputt gemacht hat.

Am freundlichsten begegnete man uns dort, wo wir es am wenigstens erwarteten: an der Grenze. Bei der Einreise von der Ukraine nach Russland waren alle sehr neugierig, jeder wollte uns helfen beim Ausfüllen der Formulare. Ein junger forscher Grenzbeamter kam ans Auto und liess sich unsere Pässe zeigen. „Kommen aus Schweiz?“, fragte er. Auf unsere erfreute Frage: „Sprechen Sie Deutsch?“, antwortete er: „klein“. Seine Deutschkenntnisse entsprachen tatsächlich unseren Russischkenntnissen. Aber er kam immer wieder. „Halle, Sohn Russki Offizier“, erklärte er. Dann fragte er: „Arbeit Schweiz?“  Journalist – ein bisschen gewagt von mir – und Konsultant verstand er. Schliesslich wollte er noch wissen: „Warum Russland?“ Mit unserer Antwort war er zufrieden: „Schön“.

In Kazachstan und Usbekistan nützt selbst Russisch – Spaziba (Danke) , Doswedanje (Auf Wiedersehen) etc. – nichts. Die Länder sind seit zwanzig Jahren unabhängig von der Sowjetunion, und man lernt offensichtlich nicht mehr automatisch Russisch. In diesen Ländern fühlen wir uns in Asien. Das Völkergemisch entspricht dem entlang der chinesischen Seidenstrasse. Die Leute sind neugierig, einige sprechen uns an, rufen „Hallo“, wenn wir vorübergehen. Die Kasachen sind eher grösser, hellhäutig, mit nur wenig geschlitzten Augen. Die Usbeken hingegen sind kleiner und dunkel. Die Frauen tragen bunte (in traditionellen Mustern) halblange Kleider und sehr oft Kopftücher. Aber wir haben bisher nur ein oder zwei massvoll verschleierte Frauen gesehen. In den Cafés allerdings sitzen nur Männer. Obwohl Kasachstan und Usbekistan muslimische Länder sind, sehen wir zwar ab und zu eine Moschee, hören aber nie einen Muezzin. Auch auf offener Strasse Betende, zum Beispiel bei Sonnenuntergang, sind uns noch nicht begegnet. Die Sowjetunion hat ihre Spuren hinterlassen.

Dann waren wir auch noch in Karapalpakstan. Vor einer Woche wussten wir noch nicht, dass es das gibt, nun sind wir schon seit vier Tagen da. Das ist eine Autonome Republik innerhalb Usbekistans. Die Karapalpaken sehen eher aus wie Mongolen, zum Teil sogar wie Chinesen. Sie haben anscheinend eine eigene Kultur, besondere Sitten und Gebräuche sowie eine spezielle Küche. Da blicken wir natürlich nicht durch.

Ist doch ganz einfach
Auch der Sprache – wir haben ja schliesslich noch einen weiten Weg durch Russland vor uns – nähern wir uns allmählich an. Kyrillische Buchstaben können wir ohne weiteres lesen, nur wissen wir nicht, was es heisst. Allerdings hat man immer wieder Aha-Erlebnisse, wenn man etwas entziffern kann und sich ein unmöglich langes und scheinbar kompliziertes Wort als ganz einfach herausstellt. Sind wir hungrig und durstig gehen wir ins Restoran oder Kafe. Plagt uns das Gegenteil, suchen wir die Tualet auf. Brauchen wir Wasser oder Lebensmittel, gehen wir ins Produkti. Unser Büssli verlangte nach einer Automechanik. Eine Apteka – von denen es hier sehr viele gibt, brauchten wir noch nicht, haben wir doch für alle Fälle allerhand Medikamente dabei. Und Mebeli wollen wir definitiv nicht kaufen, auch nicht bei Ikea. Muzeum und Monumenti finden wir mühelos, und fragt uns ein Grenzer oder Polizist nach Dokumenti, dann verstehen wir sofort.

Frust und Herausforderung
Schwieriger ist es jeweils mit der Speisekarte. Für mich ist eine russische Speisekarte immer ein Frust, für Jürg hingegen eine Herausforderung. Was wir schnell heraus hatten war Minerali gaz, Bivo und Vinho. Die entsprechende Unterscheidung in krasno und bjelo ergab sich auch schnell, denn in Russland ist noch vieles rot, und den Eigennamen von Weissrussland kennt man von Leichtathletik- und Turnkämpfen. Als uns der Kellner mit einem Zuckersäckchen in der Hand fragte, ob wir süssen Wein wollten, und wir entschieden mit dem Kopf schüttelten, war klar: brut.

Ansonsten entziffern wir Salati (aber aus was besteht der ausser Pommodor?). Butterbrod und Chleb, Kartoffeli und Borschtsch entziffern wir weiter – aber davon allein  wird man auch nicht satt. Die Pizza ist gar nicht schlecht, aber bitte nicht jeden Tag. Schaschlik ist immer eine sichere Sache, es dauert aber mindestens eine Stunde.

Natürlich haben wir ein Wörterbuch sowie zwei Büchlein mit russischen Redewendungen. Doch unter der Rubrik „Im Restaurant“ sind Speisen aufgezählt, die es auf unseren realen Speisekarten nicht gibt – oder die ganz anders heissen. Vorgestern aber konnte ich mit der Wirtin schon ein Gespräch führen: „Jest Plov“?, fragte ich sprachgewandt. Und sie antwortete: „Njet“. Pilaw gibt es nicht. (eb)


29.7.
Diesen Tag werden wir so schnell nicht vergessen. In mehrer Hinsicht.

Am Morgen gab es wieder, wie wir später erfuhren für Chiwa keine Ausnahme, im ersten Stock kein Wasser. Also ungewaschen und ungeduscht auf die Piste um sechs Uhr früh.
Das erste Stück ging zwar gegen die aufgehende Sonne, war aber bis Urgench gut. Dort haben wir uns durchgefragt und nur einmal gröber verfahren (+10 km). Dann ging es zum Amurdarja, den wir ein letztes Mal überquerten. Auf einer Pontonbrücke, von der ein Teil eingestürzt war, was aber mit einem Sanddamm gefixt wurde.

Dann fuhren wir über eine Schlaglochpiste auf die Hauptstrasse, die den Westen dieses Landes mit dem Osten verbindet, durch den Südrand der grossen Kizilikum-Wüste. Wir tankten nochmals auf, und wir stellten dabei fest, dass Diesel weniger knapp ist, als Benzin. Der Zapfhahn ist für Laster und Traktoren, kein rückschlafgventil, wenn es voll ist. Du gibst an dem Schalterchen ein bündel Geld ab, sagst, wie viel es etwa sein soll, dann gehst du hin, hältst den Zapfhahn rein, er gibt drinnen frei, und wenn es weniger Platz hat, musst du, sobald es zu überlaufen beginnt wie wild „STOOOPPP!“ schreien und er stellt ab.

Unvorstellbar


Vollgetankt ging es dann Richtung Baustelle, und was wir da an Strasse erlebten, hätten wir uns nicht vorstellen können. Und dabei musste ich noch das rechte Vorderrad schonen! Sie bauen die neue Strasse auf 150 Kilometern Länge, oft ist sie fertig, aber noch nicht freigegeben. Der Präsident wird noch keine Zeit für die Einweihung gehabt haben. Du fährst entweder auf der alten Strasse, die aber seit vier Jahren, so lang bauen sie schon, nicht mehr unterhalten wird. Löcher, Rinnen, Quer- und Längstäler von grauslicher Tiefe. Und das alles in einer glühenden Hitze von sicher über 50 Grad. Der Wind kommt rein, das ist nötig, aber er kommt wie aus einem Haarföhn. Und immer, wenn ein Gefährt entgegenkommt – es hat zum Glück wenig Verkehr – muss das Fenster zu: Staubwolken, die glücklicherweise vom Wind schnell verweht werden.

Neben dem Schlagloch gibt es noch eine usbekische Eigenentwicklung der Fahr- und Autozerstörung: der „Usbekische Schlagpilz“. Er entsteht, wenn eine schlechte Fahrbahn einfach mit einer Schicht Teer überdeckt wird, dass die untere Schicht sich weiter auflöst und stelleweise kegelförmige Reste stehen bleiben mit einem Hut des neuen  Belags drauf. Es sieht dann aus wie Erosionen in der amerikanischen Wüste en Miniature, und sie sind von wahrlich durchschlagender Wirkung.

Die Wüste ist endlos, Sand, Sand, kleines Gestrüpp, und sonst nichts als gleissende Sonne. Elo sitzt neben mir. Es geht ihr, es geht uns nicht gut. Zu heiss, zu viel Rütteln, keine Aussicht auf ausruhen. Mit der Zeit fahre ich wie in Trance.

Mittagsrast
Plötzlich, nach 6 Stunden Fahrt (knapp 200 Kilometer, davon hundert im Tempo  20, Stand, 30, 20, 35 usw.), in der Nähe des Amurdarja, der die Grenze zu Turkmenistan bildet und den wir immer wieder mal sehen, ein kleines Dorf und zwei Bäume mit Schatten. Einen belegen wir, neben einem Esel und eingetrocknetem Dung von Kühen und Schafen. Wir essen Schüttelbrot, Trockenfrüchte. Trinken viel Wasser und legen uns im Büssli hin. Es lebe das Büssli!

Elo liest, ich schlafe und döse. Das Büssli ist offen, damit der Wind durch kann. Etwas Staub ist dabei, was soll’s. Der Wind ist aber weiterhin glühend heiss, und wir schwitzen vor uns hin. Um mich geistig abzukühlen, fahre ich im Geist alle mir bekannten Pisten von Gotschna-Parsenn in Klosters (Räto!) mit dem Skiern ab, vom Kreuzweg über die Donauwellen in die alte Schwendi, wo ich einkehre und einen Most mit Käse genehmige. Das tut gut, hilft aber nur zeitweilig.

Nach drei Stunden Pause, die uns sehr gut getan haben, weiter. Wir haben die Klimatisierung verbessert: um den Hals ein nasses Tuch von Agfa (Heinz-Günther!), ein weiteres an der Beifahrertüre als Sonnenschutz eingeklemmt. Und glücklicherweise ist das böseste überstanden. Die Baustelle wird etwas besser, ist dann nach weiteren 70 Kilometern fertig. Elo fährt nun für zwei Stunden. Zuerst ist die Strasse fast gut, dann aber wieder 40 bis 50 Kilometer im obigen Zustand, 20, 35, Stand, 20, 35, Stand…Elo meistert das bravourös.


Kontrollstellen
Jeder Uebergang von einer Provinz in die andere ist mit einem Kontrollposten bestütckt, mitten in der Wüste oder an anderen Orten. Die Ausländer lassen sie durch, in der Regel, Touristen sollen bevorzugt bedient werden. Aber irgendeiner will dann doch wieder was wissen. Als kurz vor Buchara uns einer anhält, meint Elo: „Wenn der jetzt noch den Pass sehen will, flippe ich aus!“ Aber er ist nur gwundrig, will wissen wohin die Reise geht. „Buchara!“ reicht ihm aus, und er grüsst mich, dass ich ihn als Füsilierkorporal grauslich zusammengestaucht hätte: Hemd offen (es ist heiss), Hut auf Durst wie weiland Polizist Wäckerli (es ist wirklich heiss) und dann die Handfläche nach vorn, alle Finger weit gespreizt und den Zeigefinger an das Käppi-Vordach! Aber gestrahlt hat er wie ein Maikäfer.

In Buchara
Ich fahre dann in die Oase Buchara, die Stadt will einfach nicht kommen. Elo hat die gute Idee: Wir beauftragen einen Taxifahrer, uns zur Adresse vorauszufahren. Es ist nicht einfach, und er muss mehrfach telefonieren.

Dafür ist das Hotel ein Bijou. Zwei Französinnen habe es uns empfohlen. Es liegt im alten jüdischen Viertel. Von aussen unscheinbar, mit einem sehr schönen Innenhof, in dem wir auch frühstücken. Das Zimmer ist gross und gut eingerichtet. Wir sind so durch, dass wir nicht einmal Essen gehen, nur schlafen. Es waren 12 Stunden netto.





Scheibenkleister
Und dann noch die bösen Uedberraschungen: Wir haben in unserer Aufregung am Morgen – kein Wasser für Elo, Angst vor der Tagesetappe bei mir – im Hotel liegen gelassen: alle Unterwäsche und das Ladegerät für das Notebook auf dem ich schreibe, solange der Saft noch hält.

Es war ein Tag zum Vergessen, den wir sicher nie vergessen werden!

30.7.
Rahim hilft uns
Heute haben wir versucht, zu reparieren, was wir gestern Morgen verbockt haben. Zuerst sind wir Unterwäsche einkaufen gegangen. Unterhosen für mich, Slips und BHs für Elo. Das ging mit Hilfe von Rahim, einem Studenten, der uns hier hilft, ganz gut. Strümpfe werden gekauft, wenn wir sie brauchen, es war zu heiss, daran zu denken.

Mit dem Ladegerät ist es schwieriger. Sie haben vielleicht eines, aber das hat 4,5A Input, meine Batterie will 2.15A. Wenn ich das mit 4,5A nehme, geht die Batterie etwas schneller kaputt, da sie oft überladen wird. Aber das würde ich in Kauf nehmen – falls der Anschluss passt, was auch noch nicht sicher ist.

Zurzeit versuchen wir (Rahim) aber noch, das richtige Gerät aus Chiwa kommen zu lassen, mit Reisenden von dort nach hier. Die Kommunikation ist schwierig, aber wir haben Zeit, denn wir wollen einige Tage hier bleiben, uns ausruhen. Die Fahrt von Astrachan hierher war hart.

Die Brissago, die Rahim hier unbedingt versuchen wollte, hat er dann doch nicht ganz fertig geraucht!




Wir schlafen denn auch am Nachmittag und gehen erst um fünf raus, in die Stadt. Noch eine Stunde zu früh, denn in den Strassen knallt die Sonne erbarmungslos. Also in ein Hotel und Tee trinken.

Sprachgemisch
Hier können viele Leute viele Sprachen, zum Teil schon ganz kleine Kinder. Deutsch ist – rudimentär versteht sich – neben Englisch und Französisch – gut vertreten. Untereinader sprechen die Leute oft Russisch, denn es gibt eine lokale Sprache, die in Chiwa oder Nukus nicht verstanden wird, Russisch jedoch von allen. Rahim sagt, er könne besser Russisch als Usbekisch.

31.7.
Heute haben wir die Lehre gezogen und sind um halb acht raus in die Stadt. Wir haben einen grossen Spaziergang gemacht und uns einige der Sehenswürdigkeiten angesehen, so ein sehr schönes Mausoleum, das 1000 Jahre alt ist, eines der ältesten erhaltenen Gebäude der Stadt, die immer wieder zerstört wurde, unter anderem von Dschingis Kahn, der sich über den Widerstand der Bucharer ärgerte, ganz analog der Roten Armee 1920.


Die Stadt ist voll von Medressen (Koranschulen), die meisten aus dem 15. und 16. Jahrundert, als die Timuriden herrschten, die Nachfolger Timur-lans. Der Islam wird wenig gepflegt. Der Gruss ist zwar „Salam!“, aber keine Muezzins, wenig offene Moscheen, die Bekleidung frei und mit wenig Kopftüchern (junge Frauen fast gar nicht) und eindrücklichen, selbstbewussten älteren Frauen. Alle sind offen, erwidern jeden Gruss und die Kinder sind äusserst zutraulich. Frauen, Männer und Kinder zeigen ein natürliches Selbstvertrauen ohne Arroganz, sehr angenehm.








Jetzt schreibe ich noch, solange die Batterie hält, dann sichere ich, dann gehe ich in die Stadt auf die Bank, wieder mal Geld zu holen. Hier wird übrigens mehr schwarz getauscht, der Dollar bringt 2200 statt 1750 Som.

Usbekische Grie Soss
Am Nachmittag ausruhen, am Abend essen in der Stadt und noch was ansehen. Wir essen gut im Restaurant, das zum Hotel Minzafa gehört und den gleichen Namen trägt. Auf einer wunderschönen Terrasse mit Sonnenuntergang und sehr gepflegter Tafelmusik. Das Essen ist gut, nur das Lammkotelett klein und hart. Als wir es sagen, gibt es 10% Rabatt! Aber dafür gibt es Joghurt mit frischen Kräutern, super. Entweder ist ein Frankfurter mal nach Usbekistan ausgewandert oder ein Usbeke von einer langen Handelsfahrt nach Frankfurt nicht zurückgekehrt, das Gericht erinnert sehr stark an „Frankforter Grie Soss“.

1. August
Heute ist Nationalfeiertag, und zum Feiertag muss was besonderes passieren, am besten etwas, was einem noch nie passiert ist. Und das ist mir dann auch passiert: Ich wurde von einem Hund gebissen!

Chrrr-wuff-schnapp: Drei Löcher
Zuerst machten wir einen zweistündigen Morgenspaziergang. Dann bin ich mit Rahim zur Bank gefahren, um zu erfahren, dass ich morgen wieder kommen solle, heute werde der Juli bilanziert, was gestern (Sonntag) nicht geschehen konnte. Bei der Rückkehr zum Hotel sind wir in einer kleinen Gasse an einem Hund vorbeigekommen, der ganz friedlich da sass. Ich muss einen Schritt in seine Richtung gemacht haben, denn plötzlich höre ich ein Knurr-Gebell – und schwupp, hat er mich in die rechte Wade gebissen, ganz ordentlich, wie es sich gehört: ein tieferes und zwei kleine Löcher. Es hat sich dann herausgestellt, dass die an sich gutmütige und auch geimpfte Hündin (mit Ausweis) Junge hat und um diese Angst hatte.

Wir sind mit meinem Impfausweis und der Gewissheit, dass ich ja gegen Tollwut geimpft bin (danke, Dr. Bruni!), in ein Krankenhaus, wo sich Jakov Andreievitsch, ein älterer Arzt, gewissenhaft und professionell meiner annahm: Ich bekam, wie Dr. Bruni uns gesagt hatte, eine Auffrischdosis Impfstoff, die Wunden wurden desinfiziert und ich habe einen schönen weissen Verband um das Bein.

Dazu gab es einen Rattenschwanz von Vorschriften: Einen Tag wenig Bewegung, damit die Wunden geschlossen bleiben, und 10 Tage lang alles vermeiden, was allergische Reaktionen auslösen könnte: Alkohol, Schokolade, Eier, Coca, Fanta, Wurst – in dieser Reihenfolge, mehrfach bestätigt. Entweder das ist hier Standard, oder er hat mich durchschaut.

Ausserdem wurde ein Veterinär mobilisiert, der den Hund ansah und meinte, er sei nicht krank. Er werde ihn aber noch 10 Tage jeden Tag beobachten, und wenn doch was wäre, müsste ich einen Monat mich spritzen in der Bauchnabelgegend. Jakov wird mir das aufschreiben, denn ich gehe morgen nochmals hin, und Rahim wird mir mitteilen, wenn ich was machen muss. Unkraut verdirbt nicht.

Ladegerät gerettet
Dafür ist das Ladegerät, und damit der Blog, gerettet. Rahim ist ein Goldstück. Von Chiwa gibt es keine direkte Busverbindung nach Buchara, und nach Urgench die grosse Stadt in der Nähe konnte/wollte das Hotel das Ding nicht bringen lassen. Rahim kam nun auf die Idee, am Taxistandplatz nach Urgench einen Fahrer zu suchen, der dann gegen Taxientgelt für die Zusatzstrecke noch nach Chiwa fuhr. Er hat ihn gefunden und das Ding ist hier. Die beiden Säcke mit der Wäsche, die sie als „Kissen“ bezeichneten, haben sie nicht mitgegeben. Sollen sie mit meiner Unterwäsche glücklich werden!

Warmer 1.8.
Der Nationalfeiertag müsste hier gefeiert werden, denn in dieser Jahrezeit regnet es nie, und es ist schön warm: 45° Celsius. Da fiele kein Fest ins Wasser.

Aber ich darf mir heute auch was wünschen. Rahim meinte, immer wenn einem etwas zu ersten Mal passiert, dürfe man sich was wünschen. Ich wünschte mir ein gutes Gelingen unseres Projekts. Es ist uns auf jeden Fall nicht langweilig.

2.8.
Heute gab es einen kurzen Spaziergang (Arzt!), aber dafür eine sehr schöne Medresse und eine, die an sich noch geschlossen war: Darin lagen die Reste eines Festes von gestern Abend und ein Teil der Teilnehmer, die im Freien übernachtet hatten, noch herum. Sie werden kaum der drei Eidgenossen von 1291 gedacht haben.

Bank zum x. Mal
Heute wollte ich noch Geld holen, nachdem sie gestern gesagt hatten, hier könne man in der Filiale der gleichen Bank wie in Nukus bis 5000 $ abheben. War das eine Uebung! Nur schon die Leute im Raum, die alle warteten. Dann der Mann, der, seine Wichtigkeit unter offensichtlichen Beweis stellend, grad noch eine Arbeit fertig machen musste. „2 Minuten!“, die Null hinter der Zwei hat er unterschlagen.

Als wir dann endlich dran waren, meinte er, die Bancomatkarte Maestro ginge auch. Gesagt getan, aber seine Maschine behauptete, es sei kein Geld auf unserem Konto (Monika und Ruedi?). Aber mit der Mastercard vom gleichen Konto war nur der Betrag zu hoch, 500 $ gingen problemlos. Analog mit anderen Karten. Als ich dann 1500 $ zusammen hatte, gaben die Kartenmaschine und der Angestellte erschöpft den Geist auf.

Aber immerhin, und los zum Chef im ersten Stock für die Unterschrift auf das Riesenformular, das der andere noch ausgefüllt und ich an drei Orten unterschrieben hatte, und dann in die Halle der Auszahlungsschalter. Von 8 Schaltern war einer besetzt, eine Riesenschlange, ein Drängeln und Durcheinander. Nach 10 Minuten hatte ich genug. Ich schickte Rahim zum Bankboss, mit der Botschaft, der Ausländer sei krank, verletz, müsse zum Arzt. In 5 Minuten hatte ich das Geld. Ich mache das nicht gern, aber schliesslich hat mich ja ein usbekischer Hund gebissen.

Jakub Andreievitsch
Der Arzt war wie gestern strahlend, aufgeräumt, kompetent. Er sah sich die Wunde an, die nicht schmerzt und gestern nur ein wenig Muskelspannen verursachte. Er lobte den Fortschritt und meinte alles sei sehr gut. Er hat wieder verbunden, und morgen gehe ich nochmals hin. Ich habe ihm dann 10 $ gegeben, das Doppelte, was die Leute hier mir vorgeschlagen hatten. Aerzte sind, wie schon in Sowjetzeiten, schlecht bezahlt.

Er hatte die Stadtregierung über den Unfall informiert, und Rahim musste anrufen und bestätigen, dass es mir gut geht. Dann wollte ich Jakub fotografieren, aber das wollte er nicht. Er habe mal einem Japaner einen Finger wieder angenäht, und sein Bild sei dann in den USA in der Zeitung gekommen. Darauf hätte ihn die Regierung belästigt und immer wieder wissen wollen, was er mit Amerika zu tun habe. Er hat sich bei der Geschichte gekugelt vor Lachen. Zum Glück habe ich ihn vorher geknipst, als er telefonierte und es nicht merkte.

Ausruhen in Buchara
Buchara ist eine sehr schöne Stadt, in der wir uns fünf Tage ausruhen. Wir fahren übermorgen nach Samarkand. In Buchara können wir alles gut zu Fuss machen, und wir haben mit dem Minzifa ein gutes Hotel mit ausserordentlich freundlichen Menschen.

Die Hauptreisezeit für Buchara ist April/Mai und September/Oktober, wenn es nicht so heiss ist. Aber dafür hat es jetzt fast keine Touristen, nur viele Franzosen, die offensichtlich hitzebeständiger sind als andere Nationen. Wir bekommen überall Zimmer ohne Anmeldung, in den Medressen und Moscheen sind wir oft allein, und wir sehen das Leben der Einheimischen und nicht nur Touristen.

Unser Rhythmus ist: 7 Uhr aufstehen, ungeduscht auf den Morgenspazhiergang ist die Stadt, wo um 8 die ersten Denkmäler (meist aus dem 15. und 16. Jahrhundert) öffnen. Um 9 Frühstück im Innenhof des Hotels vor unserem Zimmer mit frischem Jogurt, Früchten aus der Oase (Trauben und Pfirsiche), gutem Brot und feiner Confi, Schwarztee soviel wir wollen, einer Eierspeise, Käse und Wurst. Dann lesen, schlafen, Business (Bank, Arzt, Internet), schlafen, lesen. Um 1830 Abendspaziergang, Monumente, etwas einkaufen, essen. Wir habe eine Weinprobe mit einer ausgewiesenen Fachfrau gemacht, vorab auf Russich. Es war nicht schlecht. Und wir haben ein schönes Bild gekauft und zwei schöne traditionelle Hemden. Den schwarzen Geldwechsel besorgt in der Zwischenzeit Rahim. Es ist ruhig und gemütlich, es ist schön und das tut uns gut.

So, jetzt ab ins Internetcafe und weg mit dem Blog!

2.8.2011/1330h/Jürg