Freitag, 21. Oktober 2011

2-VI Nanking und Kanton

(((Ich habe bei Sommerset Maugham eine schöne Stelle gefunden, die meine Motivation, zu schreiben, gut trifft: Nachdem er sich Gedanken über die Mühe der Schreibenden gemacht hat, zufälligen Lesern einige Stunden der Erholung zu ermöglichen, ohne den erhofften Lohn zu finden, stellt er fest: „Daraus ziehe ich die Lehre, dass der Schriftsteller seine Belohnung in der Freude an seinem Tun und in der Befreiung von der Last seiner Gedanken suchen soll; ungeachtet alles Anderen, ohne sich um Lob oder Zensur, Scheitern oder Erfolg zu kümmern.“ (Uebersetzung JB., Original: „The moral I draw is that the writer should seek his reward in the pleasure of his work and in release from the burden of his thought; and indifferent to aught else, care nothing for praise or censure, failure or success.“) Moon and Sixpence (Silbermond und Kupfermünze auf Deutsch), ein sehr lesenswertes Buch, das das Leben Gaugins (verklausuliert) zum Inhalt hat.Ich schreibe also auch weiterhin – abgesehen davon, dass ich meine Mutter und meine Familie und meine Freunde auf dem Laufenden halten will – vor allem für mich, um die Eindrücke zu verarbeiten, damit sie nicht durch die vielen neuen Eindrücke quasi überschrieben werden. Ich lasse die, die das möchten, via Blog gerne daran teilhaben. Die Bilder sind integraler Bestandteil dieses Prozesses.)))

Brissago
Elo hatte die Idee, ein Bild meines genialen Brissagoetuis mit den entsprechenden Erläuterungen an die Brissagofabrik (Manufaktur?) in Brissago zu senden. Im Internet fand ich heraus, dass die tessiner Glimmstengel (Zigarren, nota bene) jetzt nicht mehr der Familie Burger sondern Dannemann gehören. Die Direktorin Frau Pippert freute sich über meinen Bericht und die Bilder so sehr, dass sie mir ins Hotel in Peking ein Kistchen Zigarren schickte! Angeschrieben mit einer Messingplakette „Jürg Baumberger“; die Zigarren handgedreht! Jetzt haben die Brissagi Pause.

Abschied von Peking
Morgen fahren wir mit dem Schnellzug nach Nanjing. Wir nehmen mit etwas wehem Herzen Abschied von Peking. Die Stadt hat uns nach so vielen Jahren – das letzte Mal waren wir vor fünf Jahren hier, bald 40 sind es seit unserer ersten Ankunft – sofort wieder in Beschlag genommen. Und dann all unsere Freundinnen und Freunde. All die vielen Gespräche mit den kultivierten und intellektuell anspruchsvollen Arbeitskollegen, in denen wir über den Graben der doch so unterschiedlichen Kulturen hinweg immer wieder die Brücken des Herzens bauen konnten, die die Grundlage des Verständnisses bilden. Es war schön hier, und wir wollen wieder kommen. Wir werden älter, und das Leben wird Lücken reissen. Peking aber wird uns weiter fesseln, anregen und erfreuen.

Schnellzug chinesisch

Nach Nanjing sind es etwa 1000 Kilometer durch 5 Provinzen. Das macht der Schnellzug in 4 Stunden und 5 Minuten. Mit drei Zwischenhalten. Sehr bequem, perfekt organisiert. Die Strecke ist neu gebaut, nach Shanghai wäre es eine Stunde mehr. Auch die Bahnhöfe wurden neu gebaut, in Peking in der Südstadt, oft aber ganz ausserhalb. Es sind Riesenmaschinen mit Rolltreppen und allen Schikanen. Da wurde ein ganzes Quartier südlich der alten Stadtmauer geopfert, und es ist vom Zentrum nur eine halbe Stunde mit dem Taxi oder 50 Yuan (sieben Franken).

Ganz allgemein sind die Taxis in China heute sehr billig. Vom Flughafen kostet es nur 100 Yuan, eine Stunde Fahrt. Wenn keine Staus sind, und das ist halt meistens der Fall. Da ist, wenn du kein Gepäck hast, die Metro besser. Mit Gepäck nicht, da viel Weg zu laufen ist, und oft auch nur Treppen zur Verfügung stehen.

Wir sind zweite Klasse gefahren, das kostet gut 400 Yuan oder 60 Franken. Fazit: die chinesischen Superschnellzüge sind etwas schneller als die japanischen, und viel billiger. Dafür wohl auch etwas unsicherer. Sie mussten eben 40 Kompositionen zur Revision aus dem Verkehr ziehen. Aber über die Strasse gehen ist in China – und bei uns – sicher viel gefährlicher.


Im Abteil war es sehr lebhaft. Da wurde geredet (laut), telefoniert (lauter), gerufen (sehr laut), gegessen (etwas leiser) und geschlafen (noch etwas leiser, meistens). Aber es war eine gute Stimmung, und wir haben einiges gesehen. So den heiligsten aller Berge Chinas, das viele heilige Berge hat: den Taishan in der Provinz Shandong. Der ist so heilig, weil das Grab des Konfuzius unweit liegt und daher alle wichtigen Kaiser schon mal dort waren. Und wir auch!

Vororte von Peking







Städte auf dem Land







Der Yangtse aus dem Zug








Nach Kanton werden wir fliegen (für je 130 Franken!), denn der Zug hätte rund 24 Stunden, und chinesischen Schlafwagen haben es oft in sich. Elo hat früher einmal einem Quadratschnarchli seinen Schuh an den Kopf gworfen, was ihn aber nicht störte. Am Morrgen habe ich ihn dann beobachtet. Er war doch sehr erstaunt, als er seinen Schuh endlich fand – in seinem  Bett. Elo würde so was heute selbstverständlich nicht mehr tun. Sie würde, sagt sie eben, ihn aus dem Bett schmeissen.

Grüne Stadt mit zwei Mausoleen
Nanjing am Yangtse, gleichsam in der Mitte zwischen dem kargen Norden und dem üppigen Süden,  ist eine grüne Stadt. Viele Parks, Alleen überall, Flüsse und Kanäle und Wassergräben in der ganzen Stadt. Und einen wunderschönen riesigen uralten Park an einem Berg, in dem wir heute den ganzen Tag rumgelaufen sind. Dort sind zwei berühmte Mausoleen, das des ersten Ming-Kaisers Zhu Yuanzhang (Hongwu), 1368 – 1398, und das von Sun Yatsen, dem Führer der Kuomintang in der Revolution von 1911.

Ruhe für den Kaiser
Beim Kaiser kostete es Eintritt, und es waren wenig Leute da. Die Ende des 14. Jahrhunderts gebaute Anlage ist wunderschön und harmonisch. Sie diente als Vorlage für die Kaisergräber bis ins 19. Jahrhundert und war auch formgebend für den Kaiserpalast und seine Hallen. Sie lehnt sich selbstverständlich an frühere Vorbilder an, entwickelte diese aber weiter und gab ihnen eine Form, an der nicht mehr viel verändert wurde.

In den Parks und Alleen war es recht ruhig, es hatte ein schönes Café, in dem wir zweimal einkehrten. Das zweite Mal nachdem wir den Sun besucht hatten. Eigentlich war der Eintritt abgelaufen, aber ich habe der Kontrolleuse die Billets so selbstverständlich nochmals hingehalten, dass ihr wohl die Auseinandersetzung mit diesen Ausländern zu beschwerlich erschien und sie uns reinliess. Wir waren übrigens zum halben Preis reingekommen, da über 60. Elo hat’s gemerkt.



Und geheiratet wurde im Park am Laufmeter, wobei hier vor allem Erinnerungsfotos an historischer Stätte entstanden. Wir haben die Geschichte gehört, dass Ehen auch schon geschieden wurden, bevor diese Bilder entwickelt waren. Modernes China auch hier. Was wir zum ersten Mal gesehen haben, war, dass die Picknicker, die sich in dem Park niederliessen, kleine Zelte dabei hatten. Wohl für den Schlaf danach.





Rämidämi für den Präsidenten
Bei Sun Yat-sen war es gratis, und da war was los. Es war Sonntag und neben den vielen Gruppen waren auch die Städter und ihre Familien im Park. Sun ist zur Zeit Mode, da die Revolution gegen das Kaiserreich vor 100 Jahren stattfand. In den Zeitungen und anderen Medien wird viel Historisches berichtet, da sich auch die Kommunisten auf Sun berufen, allerdings mit anderen Akzenten als die Kuomintang in Taiwan.


Die Anlage ist imposant, sie steht sehr gut in der Landschaft, und der von ganz oben ist sehr schön, wobei auch der Smog sich deutlich zeigt. Wir haben uns an die Hauptachse gesetzt und eine halbe Stunde lang die Prozession in beiden Richtungen an uns vorbeiziehen lassen. Wir wurden dabei auch fotografiert. Was da nicht alles daherkam: Alte, weniger alte, junge und ganz junge. Gut zu Fuss und weniger gut. Mit gefärbten Haaren oder naturgrau oder –schwarz. Traditionell angezogen, modern oder verrückt. Die Grossmutter mit dem Enkel, der Vater mit dem Sohn, die Jungen jeweils fast doppelt so gross. Behinderte (wurden früher versteckt!), Alte im Rollstuhl, Kinder auf den Platten Hüpfspiele machend. Es war hochinteressant.

Dann viele, sehr Gruppen, riesige oder kleine, mit oder ohne rosarote Mützen zur Erkennung, aber immer mit Führerinnen und Führern, die ein Kopfmikrophon aufhatten (head set heisst das modern, ich weiss) und einen mobilen Lautsprecher. Sie erklärten ununterbrochen und nicht alle hatten die Gnade, das Ding in vertretbarer Lautstärke laufen zu lassen, auch wenn es besser war, als in Peking, wo es – nicht nur beim Autofahren – Vollgas gibt.

Der Eingang war gesäumt von Beizen und Verkaufsständen, wie es sich gehört. Das wichtigste an einem chinesischen Museum ist sowieso die Beiz. In einem Geschäft erstand ich eine Doppel-CD mit alten Film-Aufnahmen von Mao, auf denen auch all die Figuren drauf sind, die heute von der Geschichtsschreibung verdammt sind: Lin Biao, Maos Gattin Jiang Qing etc. Hoffentlich läuft dann die Scheibe in der Schweiz, aber die 10 Franken waren mir das Risiko wert.

Fehler
Wir haben Würfel gekauft, unsere haben wir zuhause vergessen. Der Kauf war ein Fehler. Eindeutig. Ich habe 100% der bisherigen Spiele verloren. Alle beide. (PS. Das hat sich korrigiert, das Score ist wieder offen: die zweiten hundert Prozent habe ich gewonnen, es steht 2:2. PPS. Wieder verloren: 4:2!)

Yangste, Stadtmauer, Kanäle und Konfuziusrummel
Nanjing ist wirklich schön. Es liegt südlich des Flusses. Die Altstadt war sehr gross. Sie misst heut von Nord nach Süd über 10 Kilometer, von Ost nach West über 7. Luftlinie.

Wir sind zuerst an den Yangtse gefahren, d.h. zu einem grossen Hügel in der Kette an denen der Fluss den Kopf anschlägt und einen Bogen machen muss. Die Stadt liegt gleichsam hinter den Hügeln, geschützt und doch an der Verkehrsader. Auf dem Hügel, um den die Stadtmauer, die wir erwandern, gezogen ist, auf dem Hügel steht ein grosser Turm aus der Ming-Dynastie, also etwa 600 Jahre alt. Wir klettern die vielen Stufen hoch, stehen vor dem Turm und dann geht es nochmals 6 oder 7 Stockwerke hoch. Die Aussicht ist umwerfend, oder wäre es, wenn nicht der Smog alles in einen recht dichten Schleier hüllen würde. Wir erahnen den riesigen Fluss, auf dem wir vor Jahren schon an der Stadt vorbeigefahren sind – das von uns benutzte Schiff vom Typ „local boat“  wäre eine Geschichte für sich –, wir erahnen die Stadt ein Stück weit und wir sehen nicht mal den Berg mit den Mausoleen.








Aber wir trinken im sechsten Stock einen Tee, über Mittag, und sind daher fast allein. Es ist schön, geruhsam, erholsam nach all der Kraxelei.






Dann geht es per Taxi an das Südende der Altstadt, ans Zhonghuamen, das Chinator, wenn man so will. Dort erfahren wir, dass die Inschrift über dem Tor verfasst wurde von Jiang Kaishek persönlich („himself“). Hoppla, aber er war ja Präsident, als Naking die Hauptstadt Chinas war vor dem Krieg. Die Stadtmauer soll die grösste der Welt sein, und sie ist gross, sie war ursprünglich 33 Kilometer lang. Die Zitadelle selbst war die grösste der Ming-Dynastie. 




Von hier machen wir eine Bootsfahrt durch einen der vielen Flüsse und einige Kanäle. Die Stadt hat viel Wasser und viele Bäume daran. Wir haben ein Schiff für uns, es ist sehr idyllisch, allerdings stinkt es oft. Die Kläranlagen der Altstadt existieren wohl noch nicht überall. Am Abend wird das Ganze dann mit vielen Laternen beleuchtet, schön.






 
 
Kitischig ist das ganze um den Konfuziustempel, mit vielen Girlanden, Blinklichtern, Werbungen usw. Hier ist sowieso ein Riesenrummel mit Markt, Bühne mit Musik und Gesang (chinesischer!). Die Chinesen lieben in der Mehrheit dieses. Wir weniger. Wir verziehen uns einige Schritte und finden über dem Wasser eine Caféterrasse, auf der wir bei Wein und Zigarre (ich, nicht wir) die Sonne untergehen lassen.


Fehler einmal mehr
Depp ist depp und bleibt depp: Morgen gehen wir nach Kanton, wie gesagt. Eben habe ich bemerkt, dass ich zwar ein sehr günstiges 5-Stern-Hotel gebucht habe. Aber ich habe bei der Auswahl geschielt, respektive die Karte nicht richtig gelesen im Internet. Wir sind etwa 20 Kilometer vom Zentrum entfernt! Entweder wir sehen die Stadt, und das Hotel sieht uns wenig, oder wir sehen das Hotel, und die Stadt sieht uns nicht. Ich denke ersteres, zumal das Wetter auch weiterhin gut sein soll.

Der Yangtse aus der Luft








Kanton
City am Perlfluss

Wir sind gut in Kanton gelandet, das Wetter ist schön warm, auch am Abend. Zuerst mussten wir uns um die Fahrkarten nach Hong Kong kümmern. Dabei hat sich die Lage des Hotels als ganz gut erwiesen, denn nach einigen Missverständnissen sprachlicher Art – deren Englisch entspricht etwa meinem Chinesisch – fand ich heraus, dass im nahe gelegenen Stadtteil Huadu ein Bus nach Hong Kong fährt, für gerade mal 100 Yuan oder 14 Franken pro Nase.

Also nichts wie hin, die Karten besorgen. Wir mussten zuerst lästige Privattaxis mit masslos überhöhten Preisen abwehren, dann ging es gut. Huadu ist eine eigene grosse Stadt (Fläche wie Kanton Thurgau und über eine halbe Million Einwohner) mit einer sehr gut ausgestatteten Einkaufsmeile. Wir haben auch dort gegessen.

Taxis und Metro
Das mit der Lage des Hotels ist nicht ganz so schlimm. Eine Viertelstunde mit dem Taxi und dann sind wir in der Metro. Etwas mühsam ist, dass die Taxis wenig sind, dafür die wilden Taxiunternehmer viele. Und die wollen, wie sollte es anders sein, die Ausländer mal kräftig schröpfen. Mittlerweile weiss ich ungefähr, was ein fairer Preis ist, und ich kriege diesen auch durch. Dass aber auch die offiziellen Taxis dieses Spiel treiben wollen und auch die Hotelangestellten dabei sind, ist störend.

Die Metro ist etwas teurer als in Peking, wo – gescheite Verkehrspolitik – jede Fahrt wohin auch immer 2 Yuan oder 30 Rappen. Hier sind es für die fast 30 Kilometer in die Stadt 7 Yuan oder 2 Franken, was für uns immer noch sehr billig ist. In Kanton ist die Metro moderner, die langen Fusswege unter dem Boden wie in Peking gibt es nicht.

Hier kannst du alles kaufen
Den Tag verbringen wir in den Strassen des alten Zentrums, in den Gassen mit den grossen und kleinen Läden. Ein Gewirr von Strassen, Gassen, Lauben, Gässchen und Querverbindungen. Und alles wird für Verkauf und Kauf genutzt. Hier gibt es alles. Eine lange Gasse nur mit Gürteln. Kleider und Schuhe aller Art, oft sehr modisch und dann noch in Grössen, die auch der schlanken Elo passen würden. (Sie meinte, wir hätten die Reise verkehrt rum gemacht: Wären wir jetzt auf der Heimreise, würden wir wohl in einen richtigen Kaufrausch verfallen.)

Ein Strassenzug mit Glückwunschplakaten für alle Jahreszeiten, Feste und Anlässe, mit Fahnen und Bannern und mit schönen roten Umschlägen für Prüfungszertifikate. Ein Geschäft für die kitschigsten Weihnachtsartikel, die sich das erfindungsreiche chinesische Gehirn ausdenken kann. Strassenweise getrockneten Fisch von Seegurken über Haifischflossen bis zu allerhand undefinierbarem aber umso kräftiger riechendem Wasservolk. Gewürze und Pilze aller Art auf hunderten von Metern.


"Let it snow"






Haifischflossen werden verpackt







Das alles in Gassen und Gässchen, rund um die katholische Kirche von 1860, die nach dem 2. Opiumkrieg von 1860 auf dem enteigneten Gelände des Vizekönigs gebaut wurde, unter Lauben und direkt auf der Strasse. Uns ist nicht ganz klar, wo die Grenze zwischen Grossmakrt und Detailhandel liegt; sie muss fliessend sein. Als ich einen Gürtel kaufe und handeln will, sagt die Dame, das sei erst ab grösseren Mengen möglich. Und in allen Läden werden die Produkte in Säcke abgefüllt und dann in Kisten verpackt oder Leinwandumschläge eingenäht.

Transportgewerbe
Ueberall sind Gepäckträger oder besser gesagt Kleintransporteure: auf Velos himmelhoch, auf Dreiradbrückenwagen meterbreit, auf langen oder kurzen Handkarren mit kleinen, einen Riesenkrach veranstaltenden Eisenrollen in alle Himmelsrichtungen. Transportiert wird auf der Strasse, der Fussgängerüberführung, dem Trottoir oder unter den Lauben, in Konkurrenz um die Verkehrsfläche mit anderen Transporteuren, Velofahrern, Autos oder uns Fussgängern. In allen nur erdenklichen Verkehrsrichtungen. Ein Heidenspektakel, aber hochinteressant.









Wir wurden von jungen Damen in gutem Englisch übrigens auch gefragt, ob wir etwas zu verschiffen hätten, von Haus zu Haus. Die Containerschiffe auf den dazu gezeigten Bildern schienen uns aber dann doch etwas zu gross. Aber eins ist sicher: Hier hätten wir das Büssli an den Hauweg 6 in Sirnach schicken können!

Ein Tag im Freien
Kanton hat auch richtige Einkaufsstrassen, die sympatisch sind in ihrer Mischung aus Warenhäusern im alten Stil mit Sachen auch für die normalen Menschen und den hochfeinen Designershops. Es gibt Fussgängerzonen mit schönen alten Bäumen. Wir haben überhaupt den ganzen Tag im Freien verbracht. Wir sind wieder in den Sommer gekommen, sehr angenehm, 28 Grad und abends warm.



Zuerst einen frühen Apéro in einem Strassencafé (Cinzano bianco und ein von der Wirtschafts gespendetes Brot mit eingelegten Tomatenstücken für Elo, Cuba Libre, Glacé und Brissago für mich). Dann einen Tee in einer grossen Gartenbeiz in Shamien, der ehemaligen französischen Niederlassung auf einer Insel des Perlfusses mit viel alter, heute gepflegter Bausubstanz. Diesen liessen wir dann direkt in ein schönes Abendessen auf dem gleichen Stuhl übergehen (Hühnernieren gebraten und eingelegt, gerösteter Reis mit Aalstücken, klassische Band-Glasnudeln mit Rindfleisch, Aubergine gebraten mit Knoblauch, Rippenfleisch vom Schwein gegrillt an pikanter Sauce – alles zusammen mit dem Tee für 185 Yuan oder 25 Franken, in einem sehr guten Lokal). Und dann ging es uns wie dem mit dem Portemonnai beim Matter Mani: „…und fahrt vergnüegt im Tram fürs Füfzgi hei“.

Vergnügungen im Park

Wir sind auf unserer Stadtwanderung in den Volkspark geraten. Da war vielleicht was los. Es wurde getanzt, und zwar sowohl nach chinesischer Musik als auch nach klassischen westlichen Tanzmelodien. Dann wurde gesungen. Einmal war es ein Duett im klassischen chinesischen Stil, begleitet von traditionellen Instrumenten. Dann sang eine Gruppen von mittelaltrigen und älteren Menschen unter Anleitung eines Vorsingers mit Mikro und einer energischen Dame, die auf einem Plakat den Text zeigte und auch irgendwas mit Zahlen, was uns unverständlich war. Sie sangen (ihnen) bekannte Leder, teilweise aus der Kulturrevolution, aber wohl auch andere, Gassenhauer. Und sie sangen gut. Dass all diese Musik von Tanz und Gesang mehr oder weniger ineinander über floss, schien keineswegs zu stören. Wichtig war, dass jeweils vor Ort die jeweilige Musik am lautesten war.


"Sanbu-Sibu" = chinesisch für Walzer












Taktgeberin und...



...der Chor







Dann wird im Park auch Sport getrieben: Federball und das sich Zukicken eines Stoffballs mit Federschwanz waren beliebt, aber auch Uebungen zur Körperbeherrschung oder traditionelles Taichi (chinesische Gymnastik, Schattenboxen wird das fälschlicherweise oft genannt). Und schliesslich die Damen und Herren beim Kartenspielen, die Herren beim Schach, jeweils mit oft grossen Gruppen von Zuschauern, die immer Kommentare abgeben. Kiebitzen ist in China normal und akzeptiert.
  
Mahjongg haben wir im Park nicht gesehen, aber dafür in einer kleinen Strasse vor einem Wohnblock, wo 4 alte Damen grossen Spass am Spiel und am Fotografen hatten.

Die vier vergnügten Frauen



  
Ueberhaupt waren die Spaziergänge in den kleinen Gassen eine wahre Freude.


Perlflussdelta
Die Busreise war sehr instruktiv. Das Perlflussdelta mit den vielen Armen des Flusses ist voll industrialisert. Je näher wir an Shenzhen kommen, umso mehr. Es sind fast immer Komplexe von Fabriken und Wohngebäuden zusammen, das sehen wir an der Architektur und der Farbgebung der Bauten: In der Regel kommt die gleiche Einfärbung des Zements zur Anwendung. Die Fabriken haben grosse Fenster, die Wohnungen kleine und Balkone. Die Wohnungen sind sehr klein, eine Balkontür, ein Fenster. Punktum. Und unten wird auch noch der Laden sein für den Einkauf, damit das Geld nicht weit vom Besitzer weggeht. In gut patronaler Manier einer Frühindustrialisierung. Hier hat es denn in den letzten Jahren auch die ersten Arbeiterrebellionen und Streiks gegeben. Die Lohnarbeit wird hier schon teurer, Abwanderung nach zum Beispiel Vietnam hat begonnen.

Wir sind der Ansicht, dass das Perlflussdelta mit seinen Sweat Jobs, d.h. billiger Textilproduktion für Firmen wie Gucci, die grosse Profite machen, gegenüber anderen Provinzen etwas ins Hintertreffen geraten ist. Die regionale Wertschöpfung ist gering. Die Arbeiter kommen nicht mehr aus dem Hinterland sondern gehen lieber in Provinzen wie Zhejiang, wo mehr originäre Produktion stattfindet und höhere Löhne bezahlt werden.

 

Wir denken daran, wie Shenzhen vor über 20 Jahren ausgesehen hat, als wir es in den Anfängen besuchten. Leere Grundstücke und alte Gebäude. Wir konnten die Visionen der chinesischen Freunde, die hier arbeiteten, nicht nachvollziehen.

Wir hatten Unrecht.

Rüder Uebergang
Ganz im Sinne der einleitenden Bemerkungen zu diesem Blog muss ich noch über ein äusserst unerfreuliches Ereignis berichten, damit ich es los werde: Wir wurden bestohlen, in sehr einfallsreicher Manier zwar, aber das nützt uns nichts. Im Hotel stellten wir fest, dass gut die Hälfte unseres Bargeldes fehlte, über 2000 Franken!

Wie konnte das geschehen? Noch am Grenzübergang nach Hongkong, für den wir den Bus verlassen mussten, war es da, da Elo in ihrer Tasche nach etwas suchte und es sah. Es war in ihrem Rucksack unten, in einer speziellen Tasche. Nach dem Zoll mussten wir den Bus wechseln. Wir kamen im neuen auf Sitze weit vorn und ein freundlicher Mann bestätigte uns, dass der Bus dahin fuhr, wo wir wollten. Dann anerbot er sich, Elos Rucksack in die Ablage über den Köpfen zu tun. Diese war wie im Flugzeug mit Klappen organisiert. Elo wollte erst nicht, aber gab den Rucksack dann doch, der Mann gab ihr noch die Wasserflasche herunter.

Dabei muss er ihn nach hinten geschoben haben. Er hat uns auch abgelenkt, als wir den Abfall unserer Bananen loswerden wollten. In dieser Zeit muss jemand hinten den Rucksack heruntergenommen und dann ausgeräumt haben (es gibt keine Zwischenwände in den Ablagen, nur Deckel nach aussen).

Wir hatten noch Glück im Unglück: Die Pässe waren ausnahmsweise wegen des Zolls bei mir. Und ich muss, als ich etwas fotografieren ging, gestört haben, denn der Mann, so ist uns im Rückblick eingefallen, reagierte nervös, als ich aufstand. So ist nur die Hälfte der Barschaft weg, auch die Kreditkarten sind noch da. Auch im Rückblick ist mir eingefallen, dass ichfand, der Rucksack liege weiter hinten, als er ihn raufgetan hatte, er sein wohl „nach hinten gerutscht“.

Das müssen wir  noch etwas verarbeiten. Nach all der Zeit mit so viel Gefühl der Sicherheit. Und in Hong Kong, in dem wir auch nachts nie Angst haben mussten und wohl auch nicht haben müssen. Aber wir sind uns einig, so etwas gehört halt auch dazu, und insgesamt haben wir ja bisher nur Glück gehabt. Busreisen haben es für uns wohl in sich: Das einzige Mal bisher, wo wir massiv bestohlen wurden, war auch in einem Bus: In Peru haben sie vor etwa 30 Jahren beim Einladen des Gepäcks in Lima diese auf der anderen Seite gerade wieder ausgeladen (auch keine Trennwände!) und wir merkten es dann auf 3600 Metern Höhe und mussten alles neu kaufen.

Dixi et salvavi anima mea, oder so sagte Marx in einer Kritik an seinen Kampfesgenossen: Ich habe es gesagt und meine Seele gerettet. Ich meinerseits bin zwar nicht zu retten, aber ich bin es nun los!

Und noch eins: Hong Kong ist weiterhin schön, und wir werden von Freunden unseres Feundes Hans Ueli ausserordentlich lieb empfangen!

23.10. / JB.  (Wahltag in der Schweiz, den Rummel haben wir uns erspart!)