Samstag, 27. August 2011

XI Novosibirsk - Irkutsk/Baikal-See


20.8. – 22.8.
Ich schreibe auf dem Schiff auf dem Baikalsee. Es hat Morgennebel auf der Angara, den einzigen Ausfluss des Sees, den wir von Irkutsk rund 70 Kilometer hochfahren. Das Schiff ist ein Schnellboot, eine grosse Kabine mit über 100 Plätzen, in Flugzeugmanier hintereinander in Reihen von links und rechts 5 Sitzen. Es sind wenig Leute, und wir können uns vertun, denn es ist die zweitletzte Fahrt des Jahres. Am Samstag fahren wir mit dem letzten Schiff vor dem nächsten Juni wieder zurück. Die Angara ist spiegelglatt, kein Lüftchen, aber eben – Nebel, die Ufer kaum erkennbar.





Wir nehmen Urlauf vom Autofahren und fahren quasi auf dem Seeweg auf die grosse Insel Olchon in der Mitte des Sees. Die Fahrt dauert 8 Stunden, und wir wollen dort zwei Tage ausruhen und die Insel etwas ansehen. Bei Kansk hatten wir den nördlichsten Punkt der Fahrt,  etwas über 56 Grad nördlich. Hier sind wir wieder auf 52 Grad.

Es geht uns gut, auch wenn ich Sachen angestellt habe, die mir immer noch etwas in den Knochen und vor allem in der Nase stecken (s.u.!).

Wir sind die 1800 Kilometer in drei Tagen gefahren, denn ausser fahren war da nicht viel zu machen, und so wird es wohl dann Richtung Vladivostock weitergehen. Die Strassen waren sehr gut, gut (Schaukelpisten) und recht ordentlich (Schaukelpisten mit kleineren Löchern zum Ausweichen). Die Stadtdurchfahrten sind strassentechnisch oft kriminell, insbesonders bei Klein- und Mittelstädten, und zwischendurch, aus heiterem Himmel, kommen Baustellen mit Naturpiste, wenige, aber nahrhafte. Elo fährt jeweils abwechslungsweise mit mir 100 Kilometer. Mit Bravour, auch die Baustellen. So kommen wir vorwärts!



Glück
Wir haben Musik vom I-pod hören können (in Zentralasien wegen des Fahrlärms und des Windes unmöglich). Und als der Elvis dann in dieser enormen Landschaft so schön „Love me tender“ geschnulzt hat, waren wir dankbar, dass wir das miteinander erleben dürfen. Wir haben Glück, Elo hat es sicher verdient, bei mir bin ich mir da nicht so sicher.

Zweimal haben wir im Büssli übernachtet. In Irkutsk haben wir dann ein gutes Hotel genommen, Angara, was gar nicht so einfach war. Eine nette Julia hat uns in einem Hotel, das ausgebucht war geholfen. Sie hat rumtelefoniert, bis sie was hatte!

Klimaschock
Wir haben hier oben Herbst, mit kühlen Tagen, Regen, Wind und dazwischen Sonnenschein. Der Wechsel ist brutal. In Astana sind wir noch vor Hitze vergangen, hier sind die Abende so kühl, dass wir, wenn wir im Büssli übernachten, nicht draussen sitzen können. Und das innerhalb 24 Stunden, beim Uebergang von der kasachischen Steppe durch die Provinz Altai (Barnaul) ins russische Zentralsibirien.


Sibirische Weiten
Nach der erdrückenden, monotonen Weite der zentralasiatischen Steppen geniessen wir die Weiten Sibiriens. Unendliche Wälder, leicht gewellte Landschaft mit steilen Flusstälern: hier hinunter und gegenüber wieder hinauf. Weit hinten verschindet die Strasse mit einer Kurve über eine Kuppe ins nächste Tal Die Wälder sind unterschiedlich, mal reine Birke, offen mit Gras darunter, dann Mischwald Birke-Tanne, dann fast reine Tannenwälder. Die Flüsse und Bäche haben manchmal Strömung, meist aber mäandrieren sie durch Sumpfgebiete, mit Schilf, Birken und Vögeln.



Die Wälder werden unterbrochen von besiedelten Gebieten mit riesigen Kornfeldern. In diese eingestreut sind Baumgruppen und kleine Wäldchen, eine wunderschöne Parklandschaft. Wo nicht angebaut wird ist es oft wie alpin oder im Jura: grüne Weideflächen oder verkarutetes Land, in dem Kühe und Ziegen, weniger Pferde weiden. Die Böden  sind schwarz und schwer.


Dörfer und Städte

Die Dörfer sind ärmlich, einstöckige Blockhäuser mit Dächern aus Welleternit. Die Häuser sind entweder der Strasse entlang aufgereiht, mit Vorgärten, Schuppen und Ställen und einer kleinen Landwirtschaft hinten heraus. Oder sie sind an den Hängen unregelmässig hingestreut, verbunden durch Schlammspuren. Vor den Häusern hat es zu dieser Jahreszeit riesige Holzhaufen, meist Birke, aber auch Bauholzabfall. Das ist die „Oeltank“ der Sibirier, denn die Winter sind lang, sie sind saukalt, sie sind – für uns – brutal. Die Häuser sind denn auch immer etwas in den Boden eingegraben, die Fenster oft auf Fusshöhe. Das hält die Wärme zusammen.

(Jetzt lichtet sich der Nebel, und wir sehen das bewaldete Ufer der Angara, der Buchten, die an finnische Seen erinnern. Die Sonne drückt.)


Aber Sibirien ist auch Industriegebiet. Immer wieder kommen Städte, gebaut um Fabriken, die rauchen wie Bürstenbinder. Schreckliche Dreckschleudern. Was produziert wird, sehen wir nicht, aber es ist oft etwas Chemisches oder Schwarzes, und wir vermuten, dass lokal vorkommende Bodenschätze vor Ort verarbeitet werden. Seitlich von der Hauptstrasse gehen immer wieder Strassen in nördlich und südlich gelegene Industriegebiete, oft mehrere 100 Kilometer weit weg. Nördlich davon ist dann Schluss mit Besiedlung.



Transsib
Wir sind seit  Novosibirsk entlang der Transsib, die wir vor fünf Jahren zwischen Moskau und Peking gefahren sind (bis Ulan-Ude, wo wir dann nach der Mongolei abbogen), und auf der auch meine Eltern uns 1974 in Peking besuchten (beide Wege mit der Bahn, es liegt wohl doch in den Genen!). Allerdings geht die Strasse nicht einfach der Bahn entlang, und wir sehen die Sache gleichsam von der anderen Seite – insbesondere die  Bahnübergänge, vor denen wir damals die Autos bewunderten, aufgehalten durch die russischen Autofallen.


Das ist wirklich eine Sache. An einem Uebergang warteten wir eine geschlagene Stunde – auch eine Art, Pause zu machen. Da fuhren Züge, lokale, regionale, kontinentale, schnelle, langsame, vorwärts, rückwärts, es wurde gehornt und rangiert. Und die Russen, die ganz allgemein warterprobt sind, stiegen aus, unterhielten sich, rauchten, putzten Fenster und Spiegel, drängten in der Kolonne etwas vor. Und dann ging es doch wieder weiter.



Dummheit, Diesel, Donnerschlag
oder:
Baumberger baut Bockmist –  Katasrophe in drei Akten

Wir sind also jeden Tag morgens um 6 los und gefahren bis abends um 8. Das war anstrengend, ermüdend, und auf diese Müdigkeit geht wohl ein Teil des Bockmists, den ich 100 Kilometer vor Irkutsk angestellt habe. Vor allem, dass ich einen Moment lang nicht die nötige Ruhe, Kaltblütigkeit und Uebersicht bewahrte. Der Rest ist meiner Dussligkeit zuzuschreiben.

1.      Zunächst geht’s ums Tanken. Wie immer, wenn der Tank halbleer ist, wird getankt. Elo, die fährt, wir von mir an die Zapfsäule gewiesen „nehmen wir die da vorn, dra muss ich nicht so weit laufen“ Denn ich muss immer erst Geld bringen, dann tanken, dann wieder das Retourgeld holen. Also ich lasse rein – und stelle bei 8 Litern mit grossem Schreck fest, dass es Benzin ist, statt Diesel Katastrophe! Ich muss den Tank leeren. Also besorge ich mit einiger Mühe einen Kessel und will mit unserer Hanpumpe absaugen. Das geht nicht, der Tank ist zu verwinkelt, der Schlauch zu kurz, was immer, es geht nicht!

Da erinnere ich mich, dass es etwas Benzin durchaus leiden mag, ich weiss aber nicht wie viel (8 Liter auf etwa 15 sind drin). In meiner Not mache ich was Gescheites: ich rufe Janos in Ungarn an, der weiss so was. Und, oh Wunder, ich komme durch. Er bruhigt mich, sagt aber, ich solle erst füllen, dann fahren.
 
2.      Wir haben ja die Kanister auf dem Dach. Also geöffnet, die Handpumpe, die nach dem Absaugprinzip arbeitet, reingesteckt und los. Aber der Schlauch ist etwas kurz, geht nicht bis auf den Tankboden und der Diesel schäumt beim Einfüllen. Als der Schaum oben raus kommt, verliere ich den Kopf. Statt einfach oben den Schlauch rauszuziehen, oder statt einfach den übertriefenden Schaum mit dem Kessel aufzufangen, will ich unten am Schlauch abklemmen, was nicht geht, und ich Idiot ziehe den Schlauch raus – und ein guter Spritzer Diesel geht ins Büssli: auf eine Luftmatratze und aufs Brett!

Dass Elo nebendran die Ruhe bewahrt und mir nicht stehenden Fusses den Kopf abreisst, verstehe ich heute noch nicht.
 
3.      Also, so mein Schluss, muss der Kanister vom Dach. Ich steige seitlich rauf, stehe auf die Schlafplattform. Ich löse das Schloss und löse das Spannset, das den Kanister hält. Und dann, statt mich beim Runtersteigen am noch befestigten anderen Kanister zu halten, halte ich mich am nun Losen, Unbefestigten. Der kommt mir natürlich entgegen und wir beide sind im freien Fall. Ich weiss bis jetzt nicht, wohin ich gesprungen bin, aber ich höre noch den Knall, den der Kanister tut, als er neben Büssli aufschlägt. Dass er im Vorbeigehen noch die Abdeckung des Einfüllstutzens beschädigte, sehe ich später. Ich bin irgendwie wie eine Katze auf den Füssen gelandet. Und war irgendwie wieder klar.

Wir haben dann den Kanister in den Tank abgefüllt und sind zur richtigen Säule gefahren, da jetzt das Gemisch nicht mehr gefährlich für den Motor war. Dort habe ich ganz aufgefüllt, den beschädigten Tankabschluss repariert (Spenglerarbeit), und Elo hat geputzt, so gut es ging. Ich stank nach Diesel, dass es eine Freude war (an der Hotelrezeption in Irkutsk habe ich mich richtig geschämt). Mit zwei Stunden Verspätung kamen wir in Irkutsk an!

Das Büssli hat nun einige Tage Zeit, zu lüften. Wir haben eine Flasche Raumspray gekauft, mit dem ich es zweimal gefüllt habe. (Wir werden wohl nicht so schnell mehr Granny Smith-Aepfel kaufen, denn der Spray heisst Green Apple.) Die Kleider und Matratzenüberzüge haben wir alle waschen lassen (bei dem in Mitleidenschaft gezogenen Ueberzug der Matratze hat es noch nicht genügend genützt).

Alles in allem hatte ich Glück: Es ist uns nichts passiert, das Büssli hat – ausser geruchlich – keinen Schaden genommen, und wir können uns etwas erholen von dem Schreck.

(Unterdessen ist die Sonne rausgekommen, und wir fahren dem  nordwestlichen Ufer des Sees entlangm, es Häuser und Camper, Wälder und Buchten.)

23.8.

Regentag in Irkutsk
Wir machen einen Ruhetag: Ausschlafen, Sachen erledigen. Es regnet, die Stadt ist voller grosser Pfützen, das Wasser sucht sich seinen Weg.

Am Morgen gehen wir zu einem Reisebüro, das im Hotel seinen Ableger hat. Ekatarina berät uns für die Fahrt nach Olchon, die grosse Insel, wo wir drei Nächte bleiben wollen. Elos Idee, mit dem Schiff zu fahren, statt wieder insgesamt 500 Kilometer auf schlechten Strassen, lässt sich machen – gerade noch, Ende August ist Schluss. Ekatarina besorgt die Billets, reserviert das Hotel und informiert uns über alles. Am Abend haben wir Tickets und Vouchers für das Hotel und die Transfers. Geld holen wir im Bankomat, in Etappen, da er nicht mehr als 5000 Rubel (150 Franken) pro Bezug hergibt.

Dann ist neben dem Reisedbüro gerade ein Coiffeur. Nichts wie hin, nach zwei Monaten Wachstum. Die Damen sind perfekt, sie schneiden mir einen so schönen Russenlook, dass mich nachher auf dem Markt alle sofort russisch ansprechen! Aber sie machen es wirklich gut, sorgfältig, professionell.

„pfffffttttt“
Dann gehen wir durch den Nieselregen in die Stadt auf den sogenannten Chinesenmarkt, da dort durch Russen, Mongolen, Burjaten und (wenige) Chinesen vor allem Kleider und Schuhe aus chinesischer Produktion angeboten werden. Wir kaufen für Elo Strumpfhosen, Unterhosen, wasserfeste Turnschuhe und eine warme Fleece-Jacke. Das warme Gilet, das ich gerne gehabt hätte, ist nicht Mode, gibt es nicht. Den erwähnten Apfelduft-Versprüher fanden wir auch: „Toalet“, Nase zuhalten, rechte Hand in die Höhe und mit Zeigefinger Druckbewegung markieren mit gleichzeitigem „pfffftttttt“, und schon hat die Dame begriffen.

Am Abend gehen wir essen, in ein Restaurant nahe der Angara-Promenade, in dem wir vor 5 Jahren schon mal waren. Wir warten eine Stunde (!) auf das Essen, aber es ist dafür von wirklich ausgezeichneter Qualität. Dann sehen wir noch das Nachglühen des Sonnenuntergangs an der Angara.

Irkutsk
Irkutsk ist die Hauptstadt von Ostsibirien (ohne Amur-Region mit Chabarovsk und Vladivostok). Wir waren vor 5 Jahren hier, als wir mit der Transsibirischen Eisenbahn von Moskau nach Peking über die Mongolei gefahren sind). Die Stadt hat sich gemacht, aber verglichen mit der Entwicklung in China, geht das sehr langsam. Aber im Vergleich zum viel grösseren Novosibirsk ist es eine Stadt mit einem lebendigen Zentrum, guten Einkaufsmöglichkeiten und einer aufgeweckten Bevölkerung.

Sie gehen auch selbstbewusst mit der Geschichte um: Sie haben gleichzeitig Standbilder von Zar Alexander III, dem Erbauer der Transsib, vom weissrussischen Konterrevolutionär Koltschak und von Lenin. Alle gehören halt irgendwie dazu.

24.8.

365 Töchter
Jetzt sind wir also auf dem Baikal-See, der grössten Süsswasserreserve der Welt: 20% allen Trinkwassers sind unter unserem Schiffsrumpf. Er ist 635 Kilometer lang, durchschnittlich über 40, maximal 80 Kilometer breit und 1600 Meter tief. Er ist wie eine Badewanne: Die Ufer sind steil und gehen sofort tief runter, unten ist er flach. Ein Kilometer vom Ufer ist er einen Kilometer tief! Ich habe überschlagen, dass der See in der Grössenordnung von 20'000 Kubikkilometer Wasser hat, das sind 20 x 1014 oder 100 Billionen Liter. Der Reiseführer schreibt auf jeden Fall, dass die Wassermenge das Mehrfache derjenigen der grossen Seen in Nordamerika beträgt!

Der See hat, so sagt man, 365 Zuflüsse und mit der Angara nur einen Abfluss. Die Zuflüsse sind in der Sagenwelt der Burjaten 365 Töchter der Angara.

Die Angara friert im Winter nie zu (erst viele Kilometer hinter Irkutsk, das selbst wieder …. Kilometer vom Ausfluss entfernt ist), denn der Ausfluss ist wie der Ueberlauf der Badewanne, und da drückt es von unten immer wieder vier Grad warmes Wasser rauf.

Der See hat eine eigene Flora und Fauna – leider bedroht durch z.B. Papierindustrie – zu der z.B. die Baikal-Robbe zählt, die wir beim ersten Besuch in einem Museum bewunderten. Damals war es Ende April, und der See war noch voll zugefroren, Lastwagen fuhren darauf herum. Er friert erst im Januar zu, taut aber erst im Juni ganz auf, so gross ist die Trägheit der Temperatur dieses grossen Gewässers.

Olchon
Wir fahren jetzt zur Insel Olchon, die von Burjaten bewohnt ist. Die Burjaten sind ein mongolischer Stamm, der von Tschingis Kahn als einer der ersten Stämme in sein Reich eingegliedert wurde. Die Hauptstadt der Burjatischen Republik ist Ulan-Ude, unsere nächste Station. Die Burjaten haben noch lebendige schamanistische Traditionen, und auf dem Markt von Irkutsk verkaufen Burjatinnen ihre Milchprodukte von Kuh, Schaf, Ziege und Pferd.

Olchon ist 79,5 Kilometer lang und hat im Winter 1500 Einwohner, im Sommer sind es 3000, aber der Sommer dauert nur drei Monate.

Auf Olchon wohnen wir im Hauptort Chuschir, im Hotel Olchon, dem besten Haus am Platz und auf der ganzen Insel, was immer das heissen mag. Eigenes Bad mit WC/Dusche ist versprochen, wir kaufen Vollpension, denn Beizen gibt es wenig bis gar nicht. Der ganze Ausflug kostet etwa 450 Franken pro Person, was uns bei unserem zur Zeit eher spartanischen Lebenswandel erst teuer vorkommt, aber es sind zweimal 9 Stunden Schiff und drei Tage Vollpension plus Transfers per Taxi zum Hotel und zum Schiff

Ein Schiff für uns
Plötzlich sind am Ufer die Wälder weg, es gibt Weideland, wie in der Mongolei, mit kleinen Bäumen durchsetzt. Was da weidet, kann ich aus der Ferne nicht sehen, der Feldstecher liegt im Büssli.
Wir haben zweimal angelegt und Leute, russische Touristen, ausgeladen. Einmal in der Stadt am Angara-Ausfluss, einmal in einem kleinen Badeort, mit Häuschen, einem Hotel und kleinem Sandstrand. Er liegt auf der Hälfte der Strecke, und seitdem gehört das Schiff quasi uns, denn es sind alle anderen ausgestiegen. Wir sind die einzigen Passagiere für etwa 4 Stunden. Elo sitzt oben an der Sonne neben den Kaminen in einer windgeschützten Ecke auf dem einzig bequemen Platz. Ich habe die Grosskabine für mich, sortieren meine Fotos, trinke ein Bier und werde dann etwas schlafen. Urlaub, Ferien, vaccances, vacanzze, holidays, xiuxi – pensioniert sein ist schön!



25.8.
In Olchon stellen wir dann fest, dass das Hotel zwar in Ordnung ist, aber mit rund 150 Franken pro Tag masslos überbezahlt. Die Leute sind freundlich, das Essen ist am ersten Abend sehr einfach, und für Elo ungeniessbar. Das Frühstück geht, sehen wir mal heute Abend.
Heute machten wir einen Ausflug an das Nordkap Chaboi der Insel. Wunderschön die Landschaft, malerisch, dramatisch, abwechslungsreich. Mal sind es Sandböden und Dünen, mal Lärchenwälder, mal weite Weiden. Und immer die Steilküste mit wunderbaren Ausblicken.














Wir fahren in einem Minibus, der Fahrer ist sehr gut, die Piste vor allem im Wald furchterregend. Wir sind froh, dass wir nicht fahren müssen. Ich hätte mehrfach eine Herzbarracke bekommen! Mit uns im Bus sind sechs Russen und zwei koreanische Studenten. Alle sind sehr angenehm, zurückhaltend und freundlich. Das gilt generell für die vielen Touristen, die in vielen Minibussen mit uns den Ausflug machen.




Pfadilager
Der Ausflug ist gut organisiert, er ist geruhsam, immer wieder halten wir an, und wir können auf die Klippen wandern und die Aussicht geniessen. Nie wird gehetzt, in einer Bucht hätten wir sogar baden können, hätten wir es gewusst, und hätten wir Badzeug dabei gehabt.

Nach der Wanderung  auf das Kap im Norden gab es Mittagessen. Zwei Busse gehörten zusammen, und die beiden Fahrer kochten auf offenem Feuer eine ausgezeichnete Fischsuppe. Dazu gab es starken russischen schwarzen Tee und ein Guetzli zum Dessert.





Ich sass auf einem Rundholz, der Rauch und die Hitze des Feuers störten mich nicht. Anschliessend legte ich mich auf die Wiese, atmete den Duft des trockenen Grases und der Bergblumen, die hier wachsen, und liess getreu nach dem heiligen Antonius von Padua die Ameisen ungestört über mich krabbeln – wie einst im Pfadilager!









26.8

Wandertag
Heute sind wir gewandert. Zuerst dem Strand entlang, was sehr streng war. Sand, Kies, Kiessand gemischt, schmal zum Laufen, weil sonst reiner Sand, schräg. Das geht ganz schön in die Knochen. Elo hat das Kreuz weh getan, mir die Hüfte.








Dann sind wir hoch in den lichten Föhrenwald. Da ging es besser, und es war sehr schön. Grosse Bäume, wenig Unterholz, viel verrottende Aeste; Pilze in allen Farben, sicher essbare und giftige, gekannt habe ich nur den Stäubling; Blumen, Föhrennadeln und Föhrenzapfen, oft so dicht, dass man wie gefedert gelaufen ist; wenig Grün, aber manchmal Sträucher wie aufgestengelte Heidelbeerbüsche. Vögel haben wir nur am Strand gesehen, Krähen und sehr grosse Möven, darunter eine mir unbekannte Art, wenn es nicht das Gefieder eines Jungvogels war. Im Wald gab es überhaupt keine Vögel und Tiere, dafür etwas Insekten. Darunter war eine riesige Ameise.

Wir haben unsere elektrischen Bücher mitgenommen und an der Sonne im Windschatten gelesen. Ich habe den Jules Verne « Le tour du monde en quatre-vingt jours » fertig gelesen, das erste Mal in Französisch. Verne ist zwar keine grosse Literatur, aber spannend allemal und immer für überraschende Einfälle und originelle Wendungen der Erzählung gut.

Wasser und Brot
Wir leben sehr spartanisch. Das Essen hier ist unter aller Kanone. Ich kann es knapp vertilgen, Elo lebt von Brot und Tee. Wir haben daher für das Pcknick im Dorfladen eingekauft: Trockene Guezli (da kann nicht viel schief gehen), Aepfel, Wasser und – zwei Energiestengel; Mars für mich und Snicker für Elo. Es braucht viel, bis sich Elo von Schoggi ernährt!

Morgen fahren wir mit dem Schiff zurück nach Irkutsk. Mal sehen, ob das mit dem Taxi zur eine Stunde entfernten Anlegebucht des Schiffes klappt. Auf dieser schönen Insel ist, was die Organisation betrifft, mit allem zu rechnen.

27.8.

Wir sind auf der Rückfahrt mit dem Tragflügelboot. Der Taxi hat geklappt, der burjatische Fahrer war ganz gut, er hat die Karre durch Handkontakt der Zündleitung angelassen und zum Abstellen die eingefügten Lüsterklemmen der Leitung dann auseinandergezogen, ich habe durch das Spinnennetz der von einem Stein getroffenen Scheibe die Landschaft bewundert, bei den gröberen Hopsern ist die Motorhaube immer leicht aufgegangen – aber es ging alles gut.



Am Vormitag haben wir noch einen kleinen Rundgang durch Chuschir, den Hauptort der Insel notabene, gemacht. Trostlos. Hofstatt mit Lattenzaun, Wohnhütte, Stall, Garten und Schöpfen an Hofstatt. Einige Läden, in denen es alles gibt, was du zum Ueberleben im sibirischen Winter brauchst: Fest, halbfest, flüssig: vom Kochherden und Kühlschränken über Kleider, Küchengeräte, Waschmittel, Gemüse, Obst, Brot und Früchte bis hin zu Wein und mindestens 10 Sorten Vodka. Dann gibt es einige Touristenunterkünfte und –kneipen. Und viele Wege und Löcher. Vieh und Hunde bewegen sich ungeniert überall rum. Ein Ehrenmal von zweifelhafter Eleganz gedenkt der Toten des Zweiten Weltkriegs. Sendemasten sorgen für Mobilfunktauglichkeit der ganzen Anlage. Trostlos.

Morgen ist nochmals Retablierung in Irkutsk (Waschen, Oel nachsehen, Blog XI spedieren – und dann ab Richtung Ulan-Ude, Chita, Chabarovsk, Vladivostok. Die letzten 4000 Kilometer werden unter die Räder genommen.

28.8

Es regnet. Irkutsk will uns nicht bei Sonnenschein. Wir bleiben im und ums Hotel. Und hoffen, dass es morgen nicht mehr regnet.



28.8. / JB.

Freitag, 19. August 2011

X Almaty-Novosibirsk

14. 11.
Heute nehmen wir es ruhig, Internet, Stadtspaziergang, Luftseilbahn. Wir bereiten uns auf eine grosse Kasachstanfahrt vor.
Neue Route, kleiner Umweg
Heute früh haben wir erfahren, dass die Route, die wir ausgesucht haben, wieder einmal landschaftlich sehr schön ist, aber strassenmässig kriminell. In einem Internetcafe – das Internet im Hotel geht nicht! –, in dem wir den neuesten Bericht versenden, machen wir uns schlau, so gut es geht.

Wir werden zuerst in die neue Hauptstadt Astana fahren, die Strasse dort, ist gut, dann nach Pavlodar, das ebenso am Irtytsch liegt, wie Semipalatinsk, und dann direkt nach Baranaul in Russland, wenn die Strasse nach der Grenze o.k. ist (bis zur Grenze soll sie hervorragend sein), sonst über Semipalatinsk und dann hoch. Der Umweg wird 500 bis 700 Kilometer sein, aber das ist nichts gegen 1000 Kilometer Schlagloch, Kies, Wellblech usw. usf.
Meine Bemerkung, dass wir die Fahrt nach Astana hätten einfacher haben können, wenn wir von Atyrau am Kaspischen Meer – das wir übrigens nie gesehen haben! – direkt gefahren wären, statt rechts nach Usbekistan abzubiegen, diese Bemerkung konterte Elo mit einem gelassenen: „Wir hätten auch nach Australien fliegen können.“ Und erneut hat sie recht.
Vater des Apfels
Dann sind wir fast eine Stunde durch die Stadt gelaufen, immer leicht hoch. Almaty müsste eigentlich mit Frauenfeld und Frankfurt Partnerschaften haben, denn übersetzt heisst die Stadt „Vater des Apfels“. Und die Früchtemärkte sind auch wunderschön.



 
Das Wetter ist angenehm, die Sonne sticht zwar etwas, aber es hat viele Bäume und immer einen schönen Wind von den Bergen.Almaty hat zwar keine tourischen Higlights, wenn wir von den vielen vater- und andersländischen Monumenten absehen, aber es ist eine schöne und grüne Stadt mit vielen Wasserspielen. In einem Park steht ganz farbig eine alte russische Holzkirche.
Luftseilbahn
Wir wollten zur Gondelbahn auf einen Aussichtspunkt, und das war dann eine – fast – ausgewachsene Luftseilbahn mit zwei Gondeln. Etwas klapprig zwar, aber Innenverkleidung aus Holz. Und wir haben es überlebt. Die Höhendifferenz ist klein, aber die Aussicht auf die Berge im Süden prächtig. Sogar eine Schisprunganlage haben wir entdeckt, mit Normal- und Grossschanze.







Morgen geht die nächste grosse Fahrt los.

15.-18.8.

Reisen als Leistungssport
Wir haben in den letzen vier Tagen über 2500 Kilometer gemacht, und wir sind jetzt in Novosibirsk an der Transsibirischen Eisenbahn. Elo ist die Hälfte gefahren, unabhängig des Strassenzustands, der zwar nicht gerade usbekische Dimensionen hat, aber oft auch nicht von schlechten Eltern ist. Wir lösen uns stur alle hundert Kilometer ab, d.h. alle anderthalb bis zwei Stunden, je nach Verhältnissen. Während Elo fährt, mache ich mir Gedanken: Wir betreiben das Reisen als Leistungssport. Andere gehen mit Baumeler Velofahren, machen Bergrtouren, wandern durch die Sahara, joggen und marathonen – wir reisen. Nicht Hochleistungssport, das liegt uns nicht, aber doch Leistungssport.

In Kasachstan sind wir zuerst Richtung der neuen Hauptstadt gefahren, und zwar 850 Kilometer. Das erste Drittel Strecke war eher schlecht, dann war es gut. Nach der Mittagspause im Schatten einer Tankstelle hat uns die Hitze nochmals fast umgehauen. Wir haben uns mit einem nassen Handtuch gerettet, das wir uns um den Hals hängten. Wolfgangs Rat sei Dank.



Säufer-Büssli
Weil die Strasse gut war, sind wir auf dem Tacho 110 gefahren, und das bei starkem Wind, meist gegen uns. Da hat das Büssli Sprit gesoffen, wie ich in guten Zeiten Wein oder Bier: ohne Mass und Ziel, über 15 Liter pro 100 km. Und das in einer Gegend, in der Diesel offensichtlich knapp ist wegen der vielen Lastwagen. Aber wir haben dann doch noch tanken können und fahren jetzt nicht über 100.

Hinter dem Hügel
Wir haben dann am Abend an einer Strassenkreuzung (Tankstellen, Restaurants, nichts weiter) in einer Lastwagenbeiz einfach aber gut gegessen. Dann sind wir noch etwas gefahren und haben uns hinter einer Bodenwelle verschlauft, und zwar so, dass wir von den Scheinwerfern nicht erfasst wurden und den Strassenlärm nicht hatten. Ausblick hatten wir auf die Bahnlinie, auf der Riesengüterzüge fahren.
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Exkurs 1: Ein Tag im Leben einer(s) Büsslieisenden

Wie verläuft so ein durchschnittlicher Reisetag mit Büssliübernachtung?

Um halb sechs schellt der Wecker, denn sonst würden wir schlafen bis in die Puppen, so bequem und ruhig ist das. Wir aber wollen auf die Piste, solange es nicht heiss ist. Die Sonne ist noch nicht auf, aber es ist hell genug, dass wir, nach Katzenwäsche, um 0545 losfahren können, denn vorher sieht man die Schlaglöcher nicht.
Die Strasse lesen

Die Strasse muss man lesen, wie ein Buch: Belagswechsel bringen meist Schläge, Verschlechterung (manchmal auch Verbesserung) der Fahrbahnqualität, Brücken sind immer für Löcher und Schläge gut; Bahnübergänge immer kriminell, dunkle Flecken auf der Strasse sind manchmal Flicke, manchmal aber auch Löcher; Bremsspuren weisen auf Hindernisse hin; Wellen in Längsrichtung sind meist Spurrillen von ungewisser Tiefe und mit senkrechten seitlichen Begrenzungen; der rechte Rand ist meist ausgeschlagen, mit tiefen Löchern und/oder Delllen, die stark schlagen; wenn der Vordermann auf die linke Seite fährt, tust du es besser auch, da er die Strecke besser kennt, als du; wenn er stark hoppelt vor dir, dann ist da was los; usw. usf. Du musst immer auf dem qui vife sein, sonst bist du verloren. Gas geben, damit du vorwärts kommst, vom Gas und/oder vorbremsen, vollbremsen und vor dem Hindernis lösen, ausweichen. Das ist anstrengend, und daher ist es ein Segen, wenn beide voll fahren können, wie bei uns.


Frühstück,  Mittagessen, Mittagspause, Abendrast
Nach den ersten hundert Kilometern wird gehalten und im Auto gefrühstückt. Schüttelbrot, Trockenfrüchte, Wasser. Wasser trinken wir literweise, auch während des Fahrens.

Dann geht es weiter. Wir fahren bis gegen Mittag (ca. sechs Stunden). Dann suchen wir ein Strassenrestaurant, essen ein Nudelgericht, Fisch oder Huhn, Brot, Tee. Das sättigt gut und hält für einen Tag.

Dann suchen wir uns einen Schattenplatz und machen zwei Stunden Pause: Lesen und Schlafen.

Anschliessend kommt die restliche Etappe, je nach dem noch drei bis vier Stunden. Vielleicht halten wir mal und kochen mit dem Primuskocher (super!) einen Kaffee. Am Abend vor es dunkel wird (ca. 8 Uhr) suchen wir uns einen geschützten Platz (geschützt vor Sicht und Lärm) und richten uns ein. Wir kochen einen Tee, rauchen (ich) eine Brissago und essen das Gleiche wie am Morgen.

Eptingerdusche
Dann waschen wir uns mit der Eptingerdusche: Eine Eptingerflasche Wasser und einen Flaschenverschluss mit drei Löchern. Das geht sehr gut. Und dann ab in den Bus, noch etwas lesen und früh schlafen, denn wir sind entsprechend müde nach 600 bis 800 Kilometer Tagesleistung. Halb sechs wir der Wecker klingeln. (Wenn Gret oder Ruth anrufen, klingelt es auch etwas früher, aber wir sind froh, sie zu hören!)

Es lebe das Büssli
Wir leben also einfach, aber es gefällt uns ausgezeichnet. Ich bin fast abstinent (!, ja so ist es), und ich habe auch schon ein paar Pfunde auf der Strecke gelassen. Ich bin also dem Ziel, das ich mir als Weihnachtsgeschenk für Elo habe einfallen lassen („hurra!, minus 20 Pfund“, sagt Tobias Knopp bei Wilhelm Busch).

Elo, die es ja immer schauderte, wenn sie nur schon das Wort Camping hörte, ist glücklich im Büssli. Und das Büssli ist wirklich ein Segen (Danke, Johnny!): Wir können die Etappen flexibel planen, müssen nicht auf Uebernachtungsmöglichkeiten schielen, können anhalten, wann wir wollen und sind nicht auf halbseidene Hotels angewiesen. Eine Nacht im Büssli ist ein Genuss!
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KanLag


Am nächsten Tag sind wir nach Astana gefahren. Dabei kamen wir durch Karagandy, das Zentrum eines riesigen Gulags aus der Stalinzeit, KanLag genannt. Das Bergbau- und Schwerindustriegebiet wurde vorab mit Zwangsverschickten berieben, und es war fast so gross, wie Frankreich. Im Sommer sehr heiss, im Winter hundekalt, dazwischen nichts. Wirklich hart. Karagandy ist heute eine Industriestad, mit Plattenbauten, breiten Alleen, von den vielen Lastern zusammengerittenen Strassen – kein Ort, um Ferien zu machen.
Aehnliches ist von Astana zu sagen, das zwar eine schöne Flusspromenade und Einkaufsmöglichkeiten hat, aber eben auch eher zum Einschlafen als zum Aufwachen ist. Wir haben dort gut gegessen, aber es hielt uns nichts, und wir sind weiter gefahren, bis wir eine Schlafstelle fanden.

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Exkurs 2: Unterstützung des Sicherheitsapparates – „Bussen“

Elo
hat vorgestern den kasachischen und ich heute den russischen Sicherheitsapparat unterstützt, oder zu gut deutsch das Einkommen von 4 Polizisten aufgebessert. Sie haben es „Strafe“ genannt, in beiden Ländern, und damit wohl Busse gemeint. Der Staatsdapparat wird davon aber nichts gesehen haben.


Auf einer Kuppe habe ich fotografiert, und dann hat Elo das Licht nicht wieder eingeschaltet. Gleich hinter der nächsten Kurve standen sie, einer ist rausgetreten, hat seinen Polizistenstock, den sie alle haben, nach unten geschwenkt und über die Strasse. Dass ich dann ausgestiegen bin, und nicht Elo als Fahrerin, störte ihn nicht. Ich musst in ihr Auto klettern, das gehört sich hier so, und die quietschende Türe schliessen. Dann haben sie mir alles erklärt und das Foto von unserem nicht beleuchteten Bus gezeigt. Und mir dann einen irgendwie gearteten Bussenkatalog auf Kyrillisch gezeigt. Als ich dann das Portemonnaie zückte haben sie 10000 Tenge (50 Franken) behändigt und mich wieder fortgeschick. Erst nachher ist mir eingefallen, das da noch was zu verhandeln gewesen wäre!

100 Kilometer weiter haben sie mich nochmals ohne Licht gefilmt, aber hatten ein gutmütiges Einsehen mit den Schweizerdeutsch sprechenden Touristen.

Jürg


Aber heute war ich dran. Hier in Novosibirsk wollte ich von der Hoteleinfahrt in den Parkplatz einfahren, musste dabei auf die Strasse und merkte nicht, dass es Einbahn war. Ich habe gehört, dass hinter mir irgendwas wie ein Krankenauto heulte, dachte mir aber nichts dabei, als ich auf den Parkplatz fuhr. Plötzlich war das Heulen stärker, und sie waren neben mir. Sie waren offensichtlich aufgebracht, dass ich sie nicht beachtet hatte.

Sie wollten mein „Dokument“, und ich meinte den Pass, der an der Rezeption war. Das war nochmals falsch, und als sie dann zu brüllen begannen, ist mir der Fahrausweis eingefallen. Den haben sie dann sofort behändigt, und mich in ihr Auto verschleppt. Das Büssli blieb mit steckendem Schlüssel mitten auf dem – bewachten – Parkplatz, sie fuhren mit mir raus. Dann gab es längere Verhandlungen, in dem sie mir weismachen wollten, das geben in Russland 4 Monate Fahrausweisentzug. Ich konnte nur Schweizerdeutsch, aber verstand, als sie fragten, was das in der Schweiz bedeute. Der vorgestrigen Erfahrung eingedenk habe ich einen Vorschlag gemacht, und gedacht, aber nicht nochmals 10000, und bin mit 2000 eingefahren. Das haben sie nach eingängiger Diskussion untereinander akzeptiert, mir den Fahrausweis gegeben und mich laufen lassen –, und erst nachher ist mir eingefallen, dass das ja Rubel waren, also 70 Franken!

Ein Depp ist ein Depp und bleibt ein Depp!

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Letzter Grenzübergang = bester Grenzübergang
Der Weg zur Grenze war gut, die Strasse i.O. Nur in Pavlodarsk, einer Industriestadt, war die Durchfahrt unvorstellbar. Nicht nur dass wir zehn mal fragen mussten, bis wir wussten, wo der Weg lang geht (in Russland haben wir wieder GPS, danke Janos!), aber der Weg (von Strasse kann man nicht sprechen): Löcher, Löcher, Löcher. Und zwar tiefe, bis 40 cm habe ich geschätzt.

Dafür war der Grenzübergang sensationell: raus aus Kasachstan, 15 Minuten, warten vor dem russischen Zoll 20 Minuten (obwohl vorderstes Fahrzeug, und vorne keine weiteren), dann aber nochmals 20 Minuten und alles war fertig. Sie haben uns auch keine Versicherung mehr angedreht, wie beim Uebergang aus der Ukraine. Keine Durchsuchung, nichts. Einfach: „ok!“

Im nächsten Ort musste uns dann wieder ein Russe voraus fahren, damit wir wussten, wo es lang geht. Er versuchte es dann privat noch mit der Versicherung – ich kannte das Formular –, aber da konnte ich nur Schweizerdeutsch.

Landesgrenze als Klimagrenze
Mit der Landesgrenze haben wir auch eine Klimagrenze überschritten: aus der Steppe in die Taiga. Es gibt wieder Bäume, Felder, Flüsse, Wälder. Wir haben es genossen. Der Himmel war leicht bewölkt, es wurde kühler.

Die Luftfeuchtigkeit stieg. Wir müssen uns daran gewöhnen, dass nasse Sachen wieder solange zum Trocknen brauchen, wie bei uns. In den Stan-Ländern war ein nasses Handtuch in Nullkommanix trocken, und wir wussten nicht, wohin die vielen Liter Wasser verschwanden, die wir soffen wie Grossvieheinheiten (Pferd, Kuh, Kamel). Jetzt müssen wir wieder pinkeln wie normale Menschen.

Die Uebernachtung in einem Kiefernwald am Ufer eines Sees, in dem wir aber nicht baden konnten, da alles Schilf und Schlamm war, war sehr schön. Ich stellte fest, dass die vielen Schläge wohl die ganze Lenkgeometrie verstellt haben. Beide Vorderreifen sind nach innen sehr stark abgefahren, aussen noch gut. muss sie wenden lassen.


Smog


Heute ging es über meist sehr gute Strassen über Barnaul nach Novosibirsk. Wir fuhren durch die Industriestadt Barnaul am Ob. Nach der Brücke waren wir plötzlich im Nebel: Industriesmog vom Gröbsten. Die Schlote rauchten, die Laster qualmten. Die Sonne war völlig weg, es wurde dunkel, wie am Abend. Und dann nach einigen Kilometern: Sonne und leichte Bewölkung. Wer da lebt, hat nichts zu husten und hustet doch.

Pneus
In Novosibirsk habe ich bei der Einfahrt bei einem Reifenhändler die Vorderreifen auf den Felgen drehen lassen: Sofort gemacht, 15 Franken. Jetzt kann die gute Seite abgefahren werden, und wenn das zu stark wird, habe ich noch zwei Ersatzpneus.

+2000 / -9
Wir haben bisher 2000 km mehr gemacht, als ich schätzte, sind aber dem Zeitplan 9 Tage voraus. Wir sind schon immer schnell gereist.

Exkurs 3: Raum-Zeit-Aerquivalent

Wir sind jetzt schon so weit, wie wir es uns eigentlich gar nicht haben vorstellen können, auf fast halbem Weg zwischen Moskau und dem Pazifik, und das noch mit einem anständigen Bogen durch Zentralasien. Was für Europäer der Osten (Rumänien, Ukraine, Russland, Kaukasus, ist für hier der Osten. Und die Länder und Orte, die wir durchfahren, genossen und die uns auch geplagt haben, sind selbst schon wieder weit weg. Die Strasse von Chiwa nach Buchara liegt hinter Kasachstan und Kirgisien, die schönen kirgisischen Berge hinter der Steppe.

Ich habe das Zeitgefühl fast verloren, sei das am Tag, wenn wir fahre, wo die Stunden verrinnen, ohne das ich es merke, sei das überhaupt: Welcher Tag im Monat, in der Woche, ich weiss es nur, wenn ich nachsehe, was kümmert es mich. Der Weg, die Distanz, das Fahren, das Erleben – das ist es, was zählt und Eindruck macht. Die Zeit dafür ist frei verfügbar, zählt wenig. Wenn ich müde bin, schlafe ich, wenn nicht, reise ich.


Raum und Zeit







Es muss so was wie ein Raum-Zeit-Aequivalent geben: Die Summe oder das Produkt der Wichtigkeit der beiden Teile ist konstant, und je nachdem welcher Aspekt sich in den Vordergrund drängt, tritt der andere zurück. Ist die Zeit wichtig, wird der Raum zurückgedrängt, ich fliege, nehme den Schnellzug, die Autobahn. Ich nehme den Raum auch nicht gleich war, nicht gleich wichtig. Ist der Raum das Wichtige, tritt die Zeit in den Hintergrund. Ich bummle, fahre mit dem Auto statt zu fliegen, verplempere einen Tag, eine Stunde, mache Umwege der Neugier wegen.

Wir sind in einer Phase der Raumdominanz.
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Jetzt sind wir in einem guten Hotel (Sibir), wir haben georgisch fein gegessen und eine Flasche Wein getrunken, das Internet funktioniert. Alles paletti.

Elos Kommentar

Sibirische Kälte
Meine Vorurteile über Sibirien haben sich schon bestätigt. Gestern, auf der Fahrt zwischen Barnaul und Novosibirsk, setzte Regen ein. An sich hoch willkommen nach der langen Trockenzeit, die wir hinter uns haben, aber eben… Es herrschte nämlich ab da sibirische Kälte: 12 Grad. Das Hotel, in dem wir wohnen, heisst „Sibir“ – das ist bei uns eine Kühlschrankmarke! Allerdings ist das Hotel gut geheizt. Aber sobald wir es verlassen, muss ich fast alles anziehen, was ich dabei habe. Seit Wochen brauche ich wieder Socken. Ich hätte Sonjas Handwärmer doch mitnehmen sollen!
Heute ist es etwas freundlicher, auch wenn ein kaltes Lüftchen weht. Vom Hotelfenster blicken wir auf die Geleise der Transsibirischen Eisenbahn, die Erinnerungen und Fernweh weckt. Und die Landschaft, durch die wir seit der kasachischen Grenze fuhren, erinnert mich an den Film „Dr. Schiwago“. Ich habe immer das Gefühl, der Mann müsste mit seiner Troika um die nächste Ecke kommen, und im Geist höre ich „Laras Lied“.


Novosibirsk ist allerdings eine moderne Stadt, nur ganz wenige alte Häuser – so wie wir uns Sibirien vorstellten – sind geblieben. Es gibt zwar viele Geschäfte und Restaurants, aber alles ist sehr abweisend, so nach dem Motto: „Lieber Kunde, wage nur ja nicht hier hereinzukommen.“ Die sibirische Kälte ist auch so spürbar.





Keine Märchen aus 1001 Nacht
Nun sind wir also schon sieben Wochen unterwegs und haben eine ganze Reihe „märchenhafter“ und auch historischer Orte hinter uns: die Krim mit Sevastopol und Yalta, Astrachan, Wolgograd (Stalingrad), Buchara, Samarkand, dann das wilde Tadschikistan, das Bergparadies Kirgistan, das unwirtliche Kasachstan (Wüste und unangenehmer starker Wind) und nun Sibirien. Ist man einmal da, bleibt nicht viel Exotisches. Es ist alles irgendwie normal: Dritte Welt, so wie wir sie aus Asien, Afrika und teilweise Lateinamerika kennen. Allerdings scheint die Sowjetunion in ihren ärmeren Republiken doch einiges bewirkt zu haben: der Bildungs- und Ausbildungsstand der Bevölkerung scheint relativ gut, die Religion (der Islamismus) hemmt die Entwicklung nicht. Diese …stans wären vielleicht sonst wie Afghanistan. Jetzt sind sie einigermassen friedlich, wenn auch immer ein Pulverfass ethnischer Unruhen.
  
Die Seidenstrasse hat sowieso nichts Märchenhaftes – nur Staub, Dreck und Hitze – mit ein paar schönen Gebäuden unterwegs. Kirgistan, eines der ärmeren Länder der Region und der Welt, (30 Prozent der Bevölkerung leben nach offiziellen Angaben unter der Armutsgrenze von 1-2 Dollar pro Tag), hat mir landschaftlich am besten gefallen. Aber ausser Schafen, Pferden und Jurten scheint da nicht viel los zu sein. Daran kann die massive Schweizer Entwicklungshilfe wohl auch nicht viel ändern.
So einen Schatten hätten wir haben müssen











Die Sowjetunion lebt noch
Hin und wieder hat uns der Hauch der Geschichte angeweht, vor allem auf der Krim (wo mein Vater im Krieg war und wo an jeder Ecke ein monumentales Kriegerdenkmal anzutreffen ist), in Yalta, wo Europa geteilt wurde, in Wolgograd. Die Stadt scheint irgendwie völlig in der Vergangenheit zu leben. Da der „grosse vaterländische Krieg“ ja ein sowjetischer und nicht allein russischer war, ist hier die Sowjetunion auch noch sehr lebendig – sogar mit Stalin-Sprüchen.

Lenin ist im übrigen auch noch überall präsent. In Novosibirsk sind wir heute morgen gerade an einem riesigen und heroischen Denkmal vorbeigekommen. In Russland und den anderen ehemaligen Sowjetrepubliken hat man wohl keine Berührungsängste mit der Vergangenheit. Man streitet sich untereinander mehr um gegenwärtige Dinge wie Truppenstandplätze, Transitrechte und vor allem um das knappe Wasser.

 
Gäbe es die Sowjetunion noch, so hätten wir für die gesamte Reise ein einziges Visum gebraucht und nach Rumänien nur eine einzige Grenze überschritten. Wir hätten dann auch nur eine Währung gehabt und hätten uns nicht rechnerisch mit Hunderten und Tausenden beschäftigen und teilweise buchstäblich pfundweise Geld herumtragen müssen. Allerdings hätten wir die Reise dann kaum so durchführen können und wären bedeutend mehr kontrolliert und gegängelt worden. Es ist paradox: mehr Freiheit, aber auch mehr Grenzen und Streit unter Nachbarn.
Fast wie der Main
Ein wenig Geschichte und viel Geographie begegnet uns auf unserem Weg an den Flüssen. Nach der Donau, die wir nun (ob mit dem Velo oder dem Auto) von der Mündung bis zum Delta fast vollständig erfahren haben, haben wir noch weitere grosse Ströme überquert: Den Dnjester und den Djenper, die ins Schwarze Meer münden (sie sind uns aus Berichten über Russlandfeldzüge ein Begriff, als der Schwedenkönig Karl, als Napoleon und als später Hitlers Truppen diese Flüsse weiter nördlich überquerten und hier Schlachten gewannen und verloren); Don und Wolga kennen wir aus der Literatur (Krieg und Frieden, Der stille Don, Dr. Schiwago etc.); am Ural, der weder als Gebirge noch als Fluss imposant wirkt, überschreitet man die Grenze zwischen Europa und Asien; Amurdarja und Syrdarja und  waren bei den Feldzügen von Alexander dem Grossen zu überwinden.
Der Ob, fotografiert in einer Unterführung


Die grossen Flüsse Sibiriens, die alle nach Norden fliessen,  liegen bereits hinter und vor allem vor uns. Pavlodar liegt am Irtitsch, der in den Ob mündet, an dem wir gestern angelangt sind (Barnual und Novosibirsk), ein imposanter Strom, der viel Sand bringt. Den Jenessei werden wir demnächst überqueren. Die Angara, der Abfluss  im Süden des Baikalsees, friert nie zu. Ganz im Osten bildet der Amur den Grenzfluss zwischen Russland und China. Nur die Lena entspringt westlich der Mitte des Baikalsees erst weiter im Norden. Da kommen wir nicht vorbei.
Aber, wie gesagt, wenn man dann an einem solchen Fluss steht, kommt er einem zwar breiter, aber letztendlich auch nicht viel bedeutender vor als der Main. (eb)
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19.8.
Ausruhen. Wir waren heute in der Stadt. Mir geht es wie Elo: Sie ist lebendig, aber es lebt auch die alte Sowjettradition noch weiter.Von aussen siehst du die Geschäfte und Beizen kaum, Marketing ist ausser Werbung und Plakaten oft ein Fremdwort. Der Kunde muss die Gelegenheit, Kunde zu sein, suchen, die Eingänge sind wenig einladend, Beizen oft im Keller (Klima!), nur über eine eher traurige Treppe zu erreichen, die Türen zu den Geschäften eng, schmal, unbequem. Aber die Bedienung ist dann freundlich.


Morgen früh geht’s ab in Richtung Irkutsk am Baikalsee: ca. 1700 km.
19.8./EJB

Samstag, 13. August 2011

IX Chojand bis Almaty

Vorbemerkungen des Schreibenden
Auch wenn die Texte lang sind, bis sie weggehen, halte ich mich kurz, denn ich muss ja mich schützen (ich komme schon so kaum zum Lesen und der Edgar Wallace wartet) und auch die geneigte Leserschaft. Also unterschlage ich viele Stimmungsbilder. So die Stimmung im Restaurant am Ausgangs des Passes (12.8.): Auf der Veranda vor der Tür ein alter Kirgise der essend den Verkehr beobachtet, drinnen die Jugend beim Backgammon spielen; alles sauber, gepflegt, wie aus dem Ei gepellt, einfach und immer den Möglichkeiten entsprechend; das junge Mädchen, das am Englisch lernen ist, sucht die Zahlen aus dem Wörterbuch und sagt uns den Rechnungsbetrag perfekt.




Oder das Telefonitis in diesen Ländern. Natel ist sehr billig, und dementsprechend wird in allen möglichen und unmöglichen Lebenslagen telefoniert: im Auto selbstverständlich, beim Essen, beim Gehen, als Zöllner, als Verkäuferin, auf unmöglichen Stöckelschuhen, in der Moschee, beim Laden des Tellers am Zmorgenbuffett, und wo auch immer. Wenn zwei Männer sich zu Tisch setzen, liegen 4 Telefone vor ihnen, denn eines zu haben, ist ja nichts, und es werden alle 4 abwechslungsweise und simultan bedient.
Und noch eine Letztes: Wir haben uns in allen Ländern immer sehr sicher gefühlt. Wir sind  am Abend durch die Städte gegangen, auch im Dunkeln, wo wir kaum etwas gesehen haben. Die grösste Gefahr waren auch hier die Schlaglöcher in den Trottoirs. Diese Sicherheit ist ein gutes Gefühl.

10.8.
Gestern habe ich noch versucht, Post VII hochzuladen und zu versenden. Im Internetcafé bin ich bald verrückt geworden. Immer wieder hat es auf kyrillisch umgeschaltet. Und die Befehle sah ich sowieso nur auf russisch, also Bahnhof. Bilder hat es keine hochgeladen, ich konnte nur den Text veröffentlichen. Das werde ich noch nachbessern.
Zwei bis drei
Heute sind wir dann wieder nach Usbekistan gefahren. Die Ausreise ging über einen völlig toten Zoll. Wir waqren das einzige Auto – diene Schlange und Drängelei immerhin – und doch dauerte die Sache insgesamt 75 Minuten. 45 davon in Usbekistan, wobei die Leute sehr höflich und hilfsbereit waren und uns auch die Formulare ausfüllten. Es war ihnen sichtlich langweilig. Ich fragte darum, wie viele Autos von Ausländern sie abfertigten. Sie sagten 2 bis 3 – pro Woche!
Bei den Tadschiken hatte die Desinfekton von vorgestern noch ein Nachspiel. Da war einer, der wollte ein Formular dafür sehen; bei der Einreise hatte ich eins gesehen, sie hatten dort aber nur ein Exemplar. Als ich nun sagte, ich hätte keines, war das ein Problem, eines allerdings, das dieser Mafioso mit 10 Dollar aus der Welt schaffte. Er steckte den Pulver ein, und meinte, wir könnten nun zur Passkontrolle. Spasiva und Dosvidanje oder danke und tschüss! Ausserdem hatte einer einen akuten Anfall von Zahnweh, als er in der Medikamentenkiste Pillen sah, die für Zahnweh waren (ich machte ihm das klar…) – er erhielt einen Streifen.
Richtung Grenze
Von Kokand hatte ich mir mehr erhofft, ausser dem Kahspalast ist es eine langweilige Stadt, mit einem öden Zentralplatz, der darauf wartet, dass die Bäume wachsen. Also weiter in Richtung Kirgistan, nach Namargan. Dort, einer grossen Industriestadt, waren, warum auch immer, alle Hotels besetzt. In einer Halle lümmelte eine ganze Fussballmannschaft herum.









Aber wir haben ja das Büssli, uns so kauften wir Früchte und Brot ein (wir hatten in Kokand Mittag gemahlt), und los in Richtung Grenze auf der Suche nach einem Nachplatz. In Uschkurgan wollte ich noch tanken, und der Polizist, den ich fragte, wo es Diesel gebe, fuhr mir zur Tankstelle voraus. Dort lud ich die letzten Sum ab und bezahlte den Rest mit Dolalr, zu eine guten Kurs. Die Sprachbarrieren überwinden wir meist problemlos.

Nachtlager

Hinter Uschkurgan war es zuerst nichts. Kilometerweise Haus an Haus, buschstäblich, alle zusammengebaut, nur Strässchen als Lücken. Und dann waren wir plötzlich am Zoll. Aber davor war ein Seitenweg, der führte uns zu einem Platz unter Bäumen, wo wir assen, Kaffee kochten (mit Appenzeller von Andrea und Bruno) und eine Brissago rauchten. Als es eindunkelte kam ein Bauer, der uns zum Essen bei sich zuhause einladen wollte. Aber wir hattenja schon gegessen. Dann schliefen wir bestens.

11.8.
Am morgen stand eine Kuh vor dem Auto, die die hütenden Kinder dort angebunden hatten. Elos Vorliebe für diese Sorte Tier ahnend, nahmen sie sie dann mit, auf meine Bitte hin. Zum Frühstück gab es Tee, Früchte (wunderbare Trauben und Pfisiche) und Brot.








Alles auseinander genommen
Am Zoll waren wir wieder allein. Die usbekischen Zöllner mussten geweckt werden, um halb neun. Alles ging gut, wenn auch im absoluten Schneckentempo. Bis ich dann bei der Gepäckuntersuchung, als sie in einer Kiste alles zunderobsi machten, wo ich doch alles so abgezirkelt platzsparend gepackt habe, bis ich dann also einen unwirschen Ton von mir gab. Roman hat in seinem Mail uns noch zur Gelassenheit geraten, ich predige diese Gelassenheit Elo immer wieder – und ausgerechnet der gelassene Baumberger flucht, der Esel.
Da haben sie alles auseinander genommen und nach Drogen und irgendwelchen Dokumenten gesucht. Die Bücherkiste wurde vollständig durchgeblättert, die Ausdrucke der Visas ausgiebig bewundert. Dann Foto und Filmapparat – dass wir diese nicht deklariert hatten, merkten sie nicht. Dann das Handschuhfach, das Werkzeug, die Kleiderkiste. Und dann wurden sie abgelenkt und haben aufgehört. Das Labtop haben sie zum Glück gar nicht gesehen, der Rucksack wurde übersehen.
Einer meinte noch, dass ich den Diesel, den ich in den zwei Kanistern auf dem Dach habe, nicht nach Usbekistan einführen dürfte. Ich machte ihm klar, dass a) wir jetzt ohne Probleme über drei usbekische Zolls gefahren seinen und das nie beanstandet wurde, und b) wir aus- und nicht einreisten. Er meinte dann nach einigem Insisitieren meinerseits: „njet problem“
Nach zwei Stunden waren wird durch. Ihr Tagwerk war wohl getan.
Die obligate Frage, wie uns Usbekistan und die Usbeken gefallen haben, habe ich ebenso obligat mit „sehr gut“ beantwortet. Sie haben ja nicht nach den Strassen, den Kontrollen, den Banken und dem Zoll gefragt. So musste ich nicht lügen.

Der kirigisische Zoll ging problemos.

In die Berge
Dann ging es in Richtung der Berge, die wir schon am Abend und frühmorgens gesehen hatten. Ist das eine Landschaft.
Kahle, ruppige Berge, deren Erde und Gestein in allen Farben von grau über braun bis stark rot leuchten und die die verschiedensten geologischen Formationen zeigen. Dazwischen kleine Ebenen, fruchtbar, sattgrün die Bäume und Felder, gelblich der reife Mais. Alles liegt am Naryn-Fluss, einem der grössten der Gegend. Er windet sich durch tiefe Schluchten, die immer wieder für Stauseen verwendet werden. Und deren Farbe ist unvorstellbar. Ein strahlendes Türkis, das sich mit der Braun Erde und dem Grün der Felder einen wunderbaren Einklang bildet.

Wir haben in einer Kleinstadt an der – sehr guten! – Strasse Mittag gegessen: Nudelsuppe Lagman und Kohl und Fleisch im Blätterteig. Ausgezeichnet auch der Tee dazu.





Am Stausee
Uebernachten tun wir wieder im Büssli, das am Ufer des grossen Tektogul-Stausees des Naryn steht. Esel gehen zur tränke ans ufer, Raubvögel kreisen über dem Wasser. Elo hat eine Mögichkeit zum Baden gefunden, ich schreibe und dann werde ich lesen und auch baden. Es ist sehr schön hier.



Schreibstuben

12.8.
Nachleben auf kirgisisch
In der Nacht um halb vier erwachte ich, als ein Auto an uns vorbei ans Seeufer fuhr. Mir war schon etwas mulmig und ich bewaffnete mich – reichlich pathetisch – mit Schlagkabel und Pfefferspray, wenn es Besoffene gewesen wären (Gangster kommen nicht mit Auto und Licht). Aber es waren, wie ich merkte, als zwei nicht zurückfuhren sondern spazierten, es waren – Liebespäärchen! Hoffentlich hatten sie es gut.
Der Sternenhimmel war, als der fast volle Mond unterging, sagenhaft. Nur die Sternbilder wie Wagen, Kassiopaia oder Orion hingen schief und am falschen Ort am Himmel. Verlass ist da nur auf den Polarstern, und der war am Platz!
Pässe

Heute früh haben wir gebadet und sind dann  richtig in die Berge, über zwei Pässe mit mehr als 3000 Metern. Die Landschaft ist spektakulär, ein Aufstieg fast ohne Kurven in einem Flusstal, dann ein Hochtal und dann ein Pass direkt eine Bergflanke rauf, rund 1000 Meter, durch einen Tunnel und dann wieder 1000 Meter runter fast im freien Fall und raus durch eine lange Schlucht. Wir sind heute 4115 Meter gestiegen und 4135 Meter runtergefahren. Die Strassen in Kirgistan, die wir gefahren sind, sind alle in gutem bis sehr gutem Zustand.

50'000 Kilometer Velo
Kurz nach dem Start haben wir ein Schweizer Paar getroffen, das seit 5 Jahren mit dem Velo unterwegs ist. Ueber 50'000 Kilometer sind es mittlerweile. Sie kommen ursprünglich aus Romanshorn. Wir haben ihnen Routentipps für China gegeben. Wir waren uns aber beide einig, dass das nichts für uns wäre, denn sie hatten die beiden Pässe gerade noch vor sich. usw. usf. Rahel und Jürg haben uns bestätigt, dass der Zoll über den wir nach Kasachstan wollten, geschlossen ist, dass wir also über die Hauptstadt Bischkek ausreisen müssen.

Eigentlich wollten wir nach dem ersten Pass (Ala-Bel, 3489m, sagt unsere Karte, aber die ist nicht immer zuverlässig) nach Westen zum Ysyk-Kul See. Aber die Strasse ist eine Naturpiste, und die 200 Kilometer Geratter waren uns zuviel. Unser Büssli ist so hart gefedert, dass das eine Tortur ist, die wir zwar machen, wenn es nötig ist, aber nur dann. Nach einem Kilometer haben wir gewendet und den zweiten Pass (Töö-Aschuu,mit einem Tunnel auf ca. 3300m) in Angriff genommen.
Die Hochebene nach dem ersten Pass heisst Suusamir-Syrte. Sie ist 150 Kilometer lang und bis 25 Kilometer breit, alles auf 2500 bis 2200 Metern über Meer. Auf der Hochebene hat es viele Siedlungen von kirgisischen Hirtennomaden mit ihren Jurten, Pferden, Schafen, Ziegen und Kindern. Sie waren gerade am Mittagessen kochen, Käse machen, Schafe melken. Und sie waren sehr freundlich.

Mittag gegessen haben wir in der letzten Schlucht. Es gab Lagmann (Eintopf mit selbst gemachten Nudeln, Gemüse und Fleisch) – sehr fein. Dazu ebenso gutes Fladenbrot und Tee. Das Restaurant war einfach, aber sehr sauber, das Essen für uns frisch zubereitet. Die Wirtin freute sich sehr, als wir, auf ihre Bitte, noch Bilder machten.


Jetzt sind wir in Bischkek und übernachten in der Silk Roade Lodge. Bischkek ist eine Stadt von rund einer Million Einwohnern, und als Hauptstadt wissen sie auch, was für Preise sie nehmen müssen. Ein gutes Doppelzimmer kostet 140 Euro. Dafür haben sie uns aber sozusagen aufgestockt (upgrade in Englisch), wir haben für den Preis eine Suite mit zwei Zimmern erhalten.


Der Mann am Empfang kam vor zwei Tagen aus Europa zurück – aus Solothurn, wo er einen Freund besuchte. Er studiert hier an der amerikanischen Universität.

13.8.
Blick zurück bei der Abfahrt
Der 13. war kein Unglückstag. Wir sind problemlos über die Grenze nach Kasachstan gekommen. Die Kirgisen brauchten keine 5 Minuten, zwei Stempel und fertig. Bei den Kasachen war Grossandrang an Autos und Fussgängern. Aber das ging flott, und wenn mich nicht ein uniformierter Depp, der sich aufspielte, nochmals zu einer Passkontrolle geschickt hätte (sie haben zwei, um dem Andrang Herr zu werden), hätte es statt dreiviertel Stunden gut zwanzig Minuten gedauert. Aber immerhin.
Dann fuhren wir auf sehr guter Strasse nach Almaty, der grössten und reichsten Stadt Kasachstans (Öl!), wo wir um halb Drei ankamen und ein gutes Hotel fanden. Auf Anhieb! Wir sind langsam gut, als Beifahrerin und als Pilot. Im Hintergrund sahen wir aus den Wolken die Spitzen der knapp 5000 Meter hohen Berge hinter Almaty.
Ortsnamen
Elo ist fast die ganze Strecke gefahren, sie braucht mehr Sprit als ich, denn sie fährt schneller. Ich bin mit 80-90 auf dem Tacho durchaus zufrieden, sie hat lieber 100. Das mir die Möglichkeit zum Philosophieren gegeben. Was die für Ortsnamen haben: Uzyngaghsh, Fabrichnyy, Chemotgan, Qaskeleng, Matybulaq, Energetichensky, um nur einige in der Umgebung der Stadt zu nennen. Nicht so einfache und klare wie wir: Obernüüfere, Tusslig, Samagrete, Moslig oder Nussbome (Oberneunforn, Dussnang, St.Margarethen, Mosnang und Nussbaumen für des lokalen Idioms Ungewohnte).
Almaty, oder wie wir es kennen Alma Ata, liegt wie Bishkek am Nordabhang des Tian Shan-Gebirges. Die Schneekuppen sind allgegenwärtig. Die Fahrt ging durch gewelltes Steppen-, Weide- und Landwirtschaftsland, in dem Gelbtöne vorherrschen, gesprenkelt mit dunklem Grün von Bäumen und Sträuchern, wo Wasser ist, und all das vor bläulich-braunen Bergketten mit weissen Hüten.
Almaty
Die 2-Millionen-Metropole Alma Ata war bis 1997 die Landeshauptstadt. Bis dass der Herr Nazarbajew, seines Zeichens Präsident, fand, es wäre doch ganz schön, wenn er als Gründer einer neuen Hauptstadt in die Annalen des Landes einginge (er hat wohl Angst gehabt, es bleibe sonst wenig über ihn zu sagen). Gesagt, getan, und die Kleinstadt Akmola in der Steppe wurde als Astana neue Hauptstadt. Sie hat heute noch nur ein Viertel der Einwohner Almatys.
Jetzt haben wir das Hotel bezogen, in dem wir uns ausruhen wollen, bevor wir dann die Strecke nach Novosiobirsk in Angriff nehmen, über Semipalatinsk, wo die Russen die Atombomben testeten. 
Lammzungen und Elos Kommentare
Wir sind am Abend in die Stadt gegangen. Sie ist wirklich die Metropole Zentralasiens. Russisch angelegt, mit einem rechtwinkligen Strassenraster, breiten Boulevards mit vielen Bäumen, guten Geschäften und feinen Restaurants. Wir sassen auf der Terrasse des „Safran“ an das wir nach langem Wandern geraten sind, und es war perfekt: Ambiance, Bedienung, Küche. Zuerst Hackfleisch in Traubenblättern mit Joghurtsauce (geteilt für beide), dann Elo Fischkebab und ich Lammzungen (angebraten und gekocht mit Gemüsen) – super zart und schmackhaft.
Als ich sagte, ich nähme die Lammzungen, die hätte ich noch nie gehabt, meinte meine Angetraute, die ihren trockenen Abend hatte: „Die möchte ich auch nie haben!“ Probiert hat sie sie dann doch, und das Gemüse, von dem sie die Tomaten abbekam, schmeckten ihr sehr gut. Die 50 Franken, die das Ganze kostete, fanden wir, die wir zur Zeit oft sehr einfach leben, teuer. Als ich meinte, verglichen mit einem Spitzenlokal bei uns – und es war ein Spitzenlokal – sei das günstig, meinte ripostierte die Gattin, ihre trockenen Kommentare weiterführend, dass es auch bei uns günstiger wäre, würden wir statt Wein nur Wasser und zwei Glas Bier trinken…
Auch hier kann ich keine Bilder hochladen und in den Blog stellen. Daher kommt nur Text. Ich werde das nachbessern in Russland, und dann mitteilen, dass eine verbesserte Version vorliegt zum Ansehen. Ohne Bilder fehlt wirklich etwas, es hat – so der bescheidene Fotograf – ein paar ganz gute dabei, Landschaften, Monumente, Menschen.