Samstag, 27. August 2011

XI Novosibirsk - Irkutsk/Baikal-See


20.8. – 22.8.
Ich schreibe auf dem Schiff auf dem Baikalsee. Es hat Morgennebel auf der Angara, den einzigen Ausfluss des Sees, den wir von Irkutsk rund 70 Kilometer hochfahren. Das Schiff ist ein Schnellboot, eine grosse Kabine mit über 100 Plätzen, in Flugzeugmanier hintereinander in Reihen von links und rechts 5 Sitzen. Es sind wenig Leute, und wir können uns vertun, denn es ist die zweitletzte Fahrt des Jahres. Am Samstag fahren wir mit dem letzten Schiff vor dem nächsten Juni wieder zurück. Die Angara ist spiegelglatt, kein Lüftchen, aber eben – Nebel, die Ufer kaum erkennbar.





Wir nehmen Urlauf vom Autofahren und fahren quasi auf dem Seeweg auf die grosse Insel Olchon in der Mitte des Sees. Die Fahrt dauert 8 Stunden, und wir wollen dort zwei Tage ausruhen und die Insel etwas ansehen. Bei Kansk hatten wir den nördlichsten Punkt der Fahrt,  etwas über 56 Grad nördlich. Hier sind wir wieder auf 52 Grad.

Es geht uns gut, auch wenn ich Sachen angestellt habe, die mir immer noch etwas in den Knochen und vor allem in der Nase stecken (s.u.!).

Wir sind die 1800 Kilometer in drei Tagen gefahren, denn ausser fahren war da nicht viel zu machen, und so wird es wohl dann Richtung Vladivostock weitergehen. Die Strassen waren sehr gut, gut (Schaukelpisten) und recht ordentlich (Schaukelpisten mit kleineren Löchern zum Ausweichen). Die Stadtdurchfahrten sind strassentechnisch oft kriminell, insbesonders bei Klein- und Mittelstädten, und zwischendurch, aus heiterem Himmel, kommen Baustellen mit Naturpiste, wenige, aber nahrhafte. Elo fährt jeweils abwechslungsweise mit mir 100 Kilometer. Mit Bravour, auch die Baustellen. So kommen wir vorwärts!



Glück
Wir haben Musik vom I-pod hören können (in Zentralasien wegen des Fahrlärms und des Windes unmöglich). Und als der Elvis dann in dieser enormen Landschaft so schön „Love me tender“ geschnulzt hat, waren wir dankbar, dass wir das miteinander erleben dürfen. Wir haben Glück, Elo hat es sicher verdient, bei mir bin ich mir da nicht so sicher.

Zweimal haben wir im Büssli übernachtet. In Irkutsk haben wir dann ein gutes Hotel genommen, Angara, was gar nicht so einfach war. Eine nette Julia hat uns in einem Hotel, das ausgebucht war geholfen. Sie hat rumtelefoniert, bis sie was hatte!

Klimaschock
Wir haben hier oben Herbst, mit kühlen Tagen, Regen, Wind und dazwischen Sonnenschein. Der Wechsel ist brutal. In Astana sind wir noch vor Hitze vergangen, hier sind die Abende so kühl, dass wir, wenn wir im Büssli übernachten, nicht draussen sitzen können. Und das innerhalb 24 Stunden, beim Uebergang von der kasachischen Steppe durch die Provinz Altai (Barnaul) ins russische Zentralsibirien.


Sibirische Weiten
Nach der erdrückenden, monotonen Weite der zentralasiatischen Steppen geniessen wir die Weiten Sibiriens. Unendliche Wälder, leicht gewellte Landschaft mit steilen Flusstälern: hier hinunter und gegenüber wieder hinauf. Weit hinten verschindet die Strasse mit einer Kurve über eine Kuppe ins nächste Tal Die Wälder sind unterschiedlich, mal reine Birke, offen mit Gras darunter, dann Mischwald Birke-Tanne, dann fast reine Tannenwälder. Die Flüsse und Bäche haben manchmal Strömung, meist aber mäandrieren sie durch Sumpfgebiete, mit Schilf, Birken und Vögeln.



Die Wälder werden unterbrochen von besiedelten Gebieten mit riesigen Kornfeldern. In diese eingestreut sind Baumgruppen und kleine Wäldchen, eine wunderschöne Parklandschaft. Wo nicht angebaut wird ist es oft wie alpin oder im Jura: grüne Weideflächen oder verkarutetes Land, in dem Kühe und Ziegen, weniger Pferde weiden. Die Böden  sind schwarz und schwer.


Dörfer und Städte

Die Dörfer sind ärmlich, einstöckige Blockhäuser mit Dächern aus Welleternit. Die Häuser sind entweder der Strasse entlang aufgereiht, mit Vorgärten, Schuppen und Ställen und einer kleinen Landwirtschaft hinten heraus. Oder sie sind an den Hängen unregelmässig hingestreut, verbunden durch Schlammspuren. Vor den Häusern hat es zu dieser Jahreszeit riesige Holzhaufen, meist Birke, aber auch Bauholzabfall. Das ist die „Oeltank“ der Sibirier, denn die Winter sind lang, sie sind saukalt, sie sind – für uns – brutal. Die Häuser sind denn auch immer etwas in den Boden eingegraben, die Fenster oft auf Fusshöhe. Das hält die Wärme zusammen.

(Jetzt lichtet sich der Nebel, und wir sehen das bewaldete Ufer der Angara, der Buchten, die an finnische Seen erinnern. Die Sonne drückt.)


Aber Sibirien ist auch Industriegebiet. Immer wieder kommen Städte, gebaut um Fabriken, die rauchen wie Bürstenbinder. Schreckliche Dreckschleudern. Was produziert wird, sehen wir nicht, aber es ist oft etwas Chemisches oder Schwarzes, und wir vermuten, dass lokal vorkommende Bodenschätze vor Ort verarbeitet werden. Seitlich von der Hauptstrasse gehen immer wieder Strassen in nördlich und südlich gelegene Industriegebiete, oft mehrere 100 Kilometer weit weg. Nördlich davon ist dann Schluss mit Besiedlung.



Transsib
Wir sind seit  Novosibirsk entlang der Transsib, die wir vor fünf Jahren zwischen Moskau und Peking gefahren sind (bis Ulan-Ude, wo wir dann nach der Mongolei abbogen), und auf der auch meine Eltern uns 1974 in Peking besuchten (beide Wege mit der Bahn, es liegt wohl doch in den Genen!). Allerdings geht die Strasse nicht einfach der Bahn entlang, und wir sehen die Sache gleichsam von der anderen Seite – insbesondere die  Bahnübergänge, vor denen wir damals die Autos bewunderten, aufgehalten durch die russischen Autofallen.


Das ist wirklich eine Sache. An einem Uebergang warteten wir eine geschlagene Stunde – auch eine Art, Pause zu machen. Da fuhren Züge, lokale, regionale, kontinentale, schnelle, langsame, vorwärts, rückwärts, es wurde gehornt und rangiert. Und die Russen, die ganz allgemein warterprobt sind, stiegen aus, unterhielten sich, rauchten, putzten Fenster und Spiegel, drängten in der Kolonne etwas vor. Und dann ging es doch wieder weiter.



Dummheit, Diesel, Donnerschlag
oder:
Baumberger baut Bockmist –  Katasrophe in drei Akten

Wir sind also jeden Tag morgens um 6 los und gefahren bis abends um 8. Das war anstrengend, ermüdend, und auf diese Müdigkeit geht wohl ein Teil des Bockmists, den ich 100 Kilometer vor Irkutsk angestellt habe. Vor allem, dass ich einen Moment lang nicht die nötige Ruhe, Kaltblütigkeit und Uebersicht bewahrte. Der Rest ist meiner Dussligkeit zuzuschreiben.

1.      Zunächst geht’s ums Tanken. Wie immer, wenn der Tank halbleer ist, wird getankt. Elo, die fährt, wir von mir an die Zapfsäule gewiesen „nehmen wir die da vorn, dra muss ich nicht so weit laufen“ Denn ich muss immer erst Geld bringen, dann tanken, dann wieder das Retourgeld holen. Also ich lasse rein – und stelle bei 8 Litern mit grossem Schreck fest, dass es Benzin ist, statt Diesel Katastrophe! Ich muss den Tank leeren. Also besorge ich mit einiger Mühe einen Kessel und will mit unserer Hanpumpe absaugen. Das geht nicht, der Tank ist zu verwinkelt, der Schlauch zu kurz, was immer, es geht nicht!

Da erinnere ich mich, dass es etwas Benzin durchaus leiden mag, ich weiss aber nicht wie viel (8 Liter auf etwa 15 sind drin). In meiner Not mache ich was Gescheites: ich rufe Janos in Ungarn an, der weiss so was. Und, oh Wunder, ich komme durch. Er bruhigt mich, sagt aber, ich solle erst füllen, dann fahren.
 
2.      Wir haben ja die Kanister auf dem Dach. Also geöffnet, die Handpumpe, die nach dem Absaugprinzip arbeitet, reingesteckt und los. Aber der Schlauch ist etwas kurz, geht nicht bis auf den Tankboden und der Diesel schäumt beim Einfüllen. Als der Schaum oben raus kommt, verliere ich den Kopf. Statt einfach oben den Schlauch rauszuziehen, oder statt einfach den übertriefenden Schaum mit dem Kessel aufzufangen, will ich unten am Schlauch abklemmen, was nicht geht, und ich Idiot ziehe den Schlauch raus – und ein guter Spritzer Diesel geht ins Büssli: auf eine Luftmatratze und aufs Brett!

Dass Elo nebendran die Ruhe bewahrt und mir nicht stehenden Fusses den Kopf abreisst, verstehe ich heute noch nicht.
 
3.      Also, so mein Schluss, muss der Kanister vom Dach. Ich steige seitlich rauf, stehe auf die Schlafplattform. Ich löse das Schloss und löse das Spannset, das den Kanister hält. Und dann, statt mich beim Runtersteigen am noch befestigten anderen Kanister zu halten, halte ich mich am nun Losen, Unbefestigten. Der kommt mir natürlich entgegen und wir beide sind im freien Fall. Ich weiss bis jetzt nicht, wohin ich gesprungen bin, aber ich höre noch den Knall, den der Kanister tut, als er neben Büssli aufschlägt. Dass er im Vorbeigehen noch die Abdeckung des Einfüllstutzens beschädigte, sehe ich später. Ich bin irgendwie wie eine Katze auf den Füssen gelandet. Und war irgendwie wieder klar.

Wir haben dann den Kanister in den Tank abgefüllt und sind zur richtigen Säule gefahren, da jetzt das Gemisch nicht mehr gefährlich für den Motor war. Dort habe ich ganz aufgefüllt, den beschädigten Tankabschluss repariert (Spenglerarbeit), und Elo hat geputzt, so gut es ging. Ich stank nach Diesel, dass es eine Freude war (an der Hotelrezeption in Irkutsk habe ich mich richtig geschämt). Mit zwei Stunden Verspätung kamen wir in Irkutsk an!

Das Büssli hat nun einige Tage Zeit, zu lüften. Wir haben eine Flasche Raumspray gekauft, mit dem ich es zweimal gefüllt habe. (Wir werden wohl nicht so schnell mehr Granny Smith-Aepfel kaufen, denn der Spray heisst Green Apple.) Die Kleider und Matratzenüberzüge haben wir alle waschen lassen (bei dem in Mitleidenschaft gezogenen Ueberzug der Matratze hat es noch nicht genügend genützt).

Alles in allem hatte ich Glück: Es ist uns nichts passiert, das Büssli hat – ausser geruchlich – keinen Schaden genommen, und wir können uns etwas erholen von dem Schreck.

(Unterdessen ist die Sonne rausgekommen, und wir fahren dem  nordwestlichen Ufer des Sees entlangm, es Häuser und Camper, Wälder und Buchten.)

23.8.

Regentag in Irkutsk
Wir machen einen Ruhetag: Ausschlafen, Sachen erledigen. Es regnet, die Stadt ist voller grosser Pfützen, das Wasser sucht sich seinen Weg.

Am Morgen gehen wir zu einem Reisebüro, das im Hotel seinen Ableger hat. Ekatarina berät uns für die Fahrt nach Olchon, die grosse Insel, wo wir drei Nächte bleiben wollen. Elos Idee, mit dem Schiff zu fahren, statt wieder insgesamt 500 Kilometer auf schlechten Strassen, lässt sich machen – gerade noch, Ende August ist Schluss. Ekatarina besorgt die Billets, reserviert das Hotel und informiert uns über alles. Am Abend haben wir Tickets und Vouchers für das Hotel und die Transfers. Geld holen wir im Bankomat, in Etappen, da er nicht mehr als 5000 Rubel (150 Franken) pro Bezug hergibt.

Dann ist neben dem Reisedbüro gerade ein Coiffeur. Nichts wie hin, nach zwei Monaten Wachstum. Die Damen sind perfekt, sie schneiden mir einen so schönen Russenlook, dass mich nachher auf dem Markt alle sofort russisch ansprechen! Aber sie machen es wirklich gut, sorgfältig, professionell.

„pfffffttttt“
Dann gehen wir durch den Nieselregen in die Stadt auf den sogenannten Chinesenmarkt, da dort durch Russen, Mongolen, Burjaten und (wenige) Chinesen vor allem Kleider und Schuhe aus chinesischer Produktion angeboten werden. Wir kaufen für Elo Strumpfhosen, Unterhosen, wasserfeste Turnschuhe und eine warme Fleece-Jacke. Das warme Gilet, das ich gerne gehabt hätte, ist nicht Mode, gibt es nicht. Den erwähnten Apfelduft-Versprüher fanden wir auch: „Toalet“, Nase zuhalten, rechte Hand in die Höhe und mit Zeigefinger Druckbewegung markieren mit gleichzeitigem „pfffftttttt“, und schon hat die Dame begriffen.

Am Abend gehen wir essen, in ein Restaurant nahe der Angara-Promenade, in dem wir vor 5 Jahren schon mal waren. Wir warten eine Stunde (!) auf das Essen, aber es ist dafür von wirklich ausgezeichneter Qualität. Dann sehen wir noch das Nachglühen des Sonnenuntergangs an der Angara.

Irkutsk
Irkutsk ist die Hauptstadt von Ostsibirien (ohne Amur-Region mit Chabarovsk und Vladivostok). Wir waren vor 5 Jahren hier, als wir mit der Transsibirischen Eisenbahn von Moskau nach Peking über die Mongolei gefahren sind). Die Stadt hat sich gemacht, aber verglichen mit der Entwicklung in China, geht das sehr langsam. Aber im Vergleich zum viel grösseren Novosibirsk ist es eine Stadt mit einem lebendigen Zentrum, guten Einkaufsmöglichkeiten und einer aufgeweckten Bevölkerung.

Sie gehen auch selbstbewusst mit der Geschichte um: Sie haben gleichzeitig Standbilder von Zar Alexander III, dem Erbauer der Transsib, vom weissrussischen Konterrevolutionär Koltschak und von Lenin. Alle gehören halt irgendwie dazu.

24.8.

365 Töchter
Jetzt sind wir also auf dem Baikal-See, der grössten Süsswasserreserve der Welt: 20% allen Trinkwassers sind unter unserem Schiffsrumpf. Er ist 635 Kilometer lang, durchschnittlich über 40, maximal 80 Kilometer breit und 1600 Meter tief. Er ist wie eine Badewanne: Die Ufer sind steil und gehen sofort tief runter, unten ist er flach. Ein Kilometer vom Ufer ist er einen Kilometer tief! Ich habe überschlagen, dass der See in der Grössenordnung von 20'000 Kubikkilometer Wasser hat, das sind 20 x 1014 oder 100 Billionen Liter. Der Reiseführer schreibt auf jeden Fall, dass die Wassermenge das Mehrfache derjenigen der grossen Seen in Nordamerika beträgt!

Der See hat, so sagt man, 365 Zuflüsse und mit der Angara nur einen Abfluss. Die Zuflüsse sind in der Sagenwelt der Burjaten 365 Töchter der Angara.

Die Angara friert im Winter nie zu (erst viele Kilometer hinter Irkutsk, das selbst wieder …. Kilometer vom Ausfluss entfernt ist), denn der Ausfluss ist wie der Ueberlauf der Badewanne, und da drückt es von unten immer wieder vier Grad warmes Wasser rauf.

Der See hat eine eigene Flora und Fauna – leider bedroht durch z.B. Papierindustrie – zu der z.B. die Baikal-Robbe zählt, die wir beim ersten Besuch in einem Museum bewunderten. Damals war es Ende April, und der See war noch voll zugefroren, Lastwagen fuhren darauf herum. Er friert erst im Januar zu, taut aber erst im Juni ganz auf, so gross ist die Trägheit der Temperatur dieses grossen Gewässers.

Olchon
Wir fahren jetzt zur Insel Olchon, die von Burjaten bewohnt ist. Die Burjaten sind ein mongolischer Stamm, der von Tschingis Kahn als einer der ersten Stämme in sein Reich eingegliedert wurde. Die Hauptstadt der Burjatischen Republik ist Ulan-Ude, unsere nächste Station. Die Burjaten haben noch lebendige schamanistische Traditionen, und auf dem Markt von Irkutsk verkaufen Burjatinnen ihre Milchprodukte von Kuh, Schaf, Ziege und Pferd.

Olchon ist 79,5 Kilometer lang und hat im Winter 1500 Einwohner, im Sommer sind es 3000, aber der Sommer dauert nur drei Monate.

Auf Olchon wohnen wir im Hauptort Chuschir, im Hotel Olchon, dem besten Haus am Platz und auf der ganzen Insel, was immer das heissen mag. Eigenes Bad mit WC/Dusche ist versprochen, wir kaufen Vollpension, denn Beizen gibt es wenig bis gar nicht. Der ganze Ausflug kostet etwa 450 Franken pro Person, was uns bei unserem zur Zeit eher spartanischen Lebenswandel erst teuer vorkommt, aber es sind zweimal 9 Stunden Schiff und drei Tage Vollpension plus Transfers per Taxi zum Hotel und zum Schiff

Ein Schiff für uns
Plötzlich sind am Ufer die Wälder weg, es gibt Weideland, wie in der Mongolei, mit kleinen Bäumen durchsetzt. Was da weidet, kann ich aus der Ferne nicht sehen, der Feldstecher liegt im Büssli.
Wir haben zweimal angelegt und Leute, russische Touristen, ausgeladen. Einmal in der Stadt am Angara-Ausfluss, einmal in einem kleinen Badeort, mit Häuschen, einem Hotel und kleinem Sandstrand. Er liegt auf der Hälfte der Strecke, und seitdem gehört das Schiff quasi uns, denn es sind alle anderen ausgestiegen. Wir sind die einzigen Passagiere für etwa 4 Stunden. Elo sitzt oben an der Sonne neben den Kaminen in einer windgeschützten Ecke auf dem einzig bequemen Platz. Ich habe die Grosskabine für mich, sortieren meine Fotos, trinke ein Bier und werde dann etwas schlafen. Urlaub, Ferien, vaccances, vacanzze, holidays, xiuxi – pensioniert sein ist schön!



25.8.
In Olchon stellen wir dann fest, dass das Hotel zwar in Ordnung ist, aber mit rund 150 Franken pro Tag masslos überbezahlt. Die Leute sind freundlich, das Essen ist am ersten Abend sehr einfach, und für Elo ungeniessbar. Das Frühstück geht, sehen wir mal heute Abend.
Heute machten wir einen Ausflug an das Nordkap Chaboi der Insel. Wunderschön die Landschaft, malerisch, dramatisch, abwechslungsreich. Mal sind es Sandböden und Dünen, mal Lärchenwälder, mal weite Weiden. Und immer die Steilküste mit wunderbaren Ausblicken.














Wir fahren in einem Minibus, der Fahrer ist sehr gut, die Piste vor allem im Wald furchterregend. Wir sind froh, dass wir nicht fahren müssen. Ich hätte mehrfach eine Herzbarracke bekommen! Mit uns im Bus sind sechs Russen und zwei koreanische Studenten. Alle sind sehr angenehm, zurückhaltend und freundlich. Das gilt generell für die vielen Touristen, die in vielen Minibussen mit uns den Ausflug machen.




Pfadilager
Der Ausflug ist gut organisiert, er ist geruhsam, immer wieder halten wir an, und wir können auf die Klippen wandern und die Aussicht geniessen. Nie wird gehetzt, in einer Bucht hätten wir sogar baden können, hätten wir es gewusst, und hätten wir Badzeug dabei gehabt.

Nach der Wanderung  auf das Kap im Norden gab es Mittagessen. Zwei Busse gehörten zusammen, und die beiden Fahrer kochten auf offenem Feuer eine ausgezeichnete Fischsuppe. Dazu gab es starken russischen schwarzen Tee und ein Guetzli zum Dessert.





Ich sass auf einem Rundholz, der Rauch und die Hitze des Feuers störten mich nicht. Anschliessend legte ich mich auf die Wiese, atmete den Duft des trockenen Grases und der Bergblumen, die hier wachsen, und liess getreu nach dem heiligen Antonius von Padua die Ameisen ungestört über mich krabbeln – wie einst im Pfadilager!









26.8

Wandertag
Heute sind wir gewandert. Zuerst dem Strand entlang, was sehr streng war. Sand, Kies, Kiessand gemischt, schmal zum Laufen, weil sonst reiner Sand, schräg. Das geht ganz schön in die Knochen. Elo hat das Kreuz weh getan, mir die Hüfte.








Dann sind wir hoch in den lichten Föhrenwald. Da ging es besser, und es war sehr schön. Grosse Bäume, wenig Unterholz, viel verrottende Aeste; Pilze in allen Farben, sicher essbare und giftige, gekannt habe ich nur den Stäubling; Blumen, Föhrennadeln und Föhrenzapfen, oft so dicht, dass man wie gefedert gelaufen ist; wenig Grün, aber manchmal Sträucher wie aufgestengelte Heidelbeerbüsche. Vögel haben wir nur am Strand gesehen, Krähen und sehr grosse Möven, darunter eine mir unbekannte Art, wenn es nicht das Gefieder eines Jungvogels war. Im Wald gab es überhaupt keine Vögel und Tiere, dafür etwas Insekten. Darunter war eine riesige Ameise.

Wir haben unsere elektrischen Bücher mitgenommen und an der Sonne im Windschatten gelesen. Ich habe den Jules Verne « Le tour du monde en quatre-vingt jours » fertig gelesen, das erste Mal in Französisch. Verne ist zwar keine grosse Literatur, aber spannend allemal und immer für überraschende Einfälle und originelle Wendungen der Erzählung gut.

Wasser und Brot
Wir leben sehr spartanisch. Das Essen hier ist unter aller Kanone. Ich kann es knapp vertilgen, Elo lebt von Brot und Tee. Wir haben daher für das Pcknick im Dorfladen eingekauft: Trockene Guezli (da kann nicht viel schief gehen), Aepfel, Wasser und – zwei Energiestengel; Mars für mich und Snicker für Elo. Es braucht viel, bis sich Elo von Schoggi ernährt!

Morgen fahren wir mit dem Schiff zurück nach Irkutsk. Mal sehen, ob das mit dem Taxi zur eine Stunde entfernten Anlegebucht des Schiffes klappt. Auf dieser schönen Insel ist, was die Organisation betrifft, mit allem zu rechnen.

27.8.

Wir sind auf der Rückfahrt mit dem Tragflügelboot. Der Taxi hat geklappt, der burjatische Fahrer war ganz gut, er hat die Karre durch Handkontakt der Zündleitung angelassen und zum Abstellen die eingefügten Lüsterklemmen der Leitung dann auseinandergezogen, ich habe durch das Spinnennetz der von einem Stein getroffenen Scheibe die Landschaft bewundert, bei den gröberen Hopsern ist die Motorhaube immer leicht aufgegangen – aber es ging alles gut.



Am Vormitag haben wir noch einen kleinen Rundgang durch Chuschir, den Hauptort der Insel notabene, gemacht. Trostlos. Hofstatt mit Lattenzaun, Wohnhütte, Stall, Garten und Schöpfen an Hofstatt. Einige Läden, in denen es alles gibt, was du zum Ueberleben im sibirischen Winter brauchst: Fest, halbfest, flüssig: vom Kochherden und Kühlschränken über Kleider, Küchengeräte, Waschmittel, Gemüse, Obst, Brot und Früchte bis hin zu Wein und mindestens 10 Sorten Vodka. Dann gibt es einige Touristenunterkünfte und –kneipen. Und viele Wege und Löcher. Vieh und Hunde bewegen sich ungeniert überall rum. Ein Ehrenmal von zweifelhafter Eleganz gedenkt der Toten des Zweiten Weltkriegs. Sendemasten sorgen für Mobilfunktauglichkeit der ganzen Anlage. Trostlos.

Morgen ist nochmals Retablierung in Irkutsk (Waschen, Oel nachsehen, Blog XI spedieren – und dann ab Richtung Ulan-Ude, Chita, Chabarovsk, Vladivostok. Die letzten 4000 Kilometer werden unter die Räder genommen.

28.8

Es regnet. Irkutsk will uns nicht bei Sonnenschein. Wir bleiben im und ums Hotel. Und hoffen, dass es morgen nicht mehr regnet.



28.8. / JB.

1 Kommentar:

  1. Hallo Ihr zwei,
    das hört sich ja jetzt manchmal an, als ob Ihr auf Straßen Afrikas unterwegs wäret.

    Ich wünsche Euch weiter gute Fahrt und immer genug Sprit im Tank (den richtigen, hihihi)

    Liebe Grüße aus der Heimat (die ist z.Zt.noch in Europa)

    Reinhild

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