Peking einmal mehr
Unsere erste Wohnung in Peking 1972: erster Stock (europäische Zählung), Fenster 2-4 von rechts
Wir sind wieder einmal im Peking. „Beijing“ will mir weder über die Lippen noch die Tastatur des Notebooks. Schliesslich schreibe oder sage ich auch nicht „Roma“ oder „Moskwa“. Das wievielte Mal, das weiss ich nicht, aber es waren in den vergangenen über 39 Jahren einige Besuche. Und immer wieder ist China irgendwie einen Schritt weiter, und doch halt wieder China.
Exkurs: China heute allgemein
(Wir bringen hier einige Gedanken zum Stand der Entwicklung Chinas politisch und wirtschaftlich allgemein, damit wir das dann später nicht immer wieder einfliessen lassen müssen. Es sind ein paar Dinge, die uns aufgrund unserer 40-jährigen Beschäftigung und Erfahrung mit diesem Land aufgefallen sind. Wen das nicht interessiert, der kann das ja überspringen. Das Ende des Exkurses wird angezeigt.)
„Demokratie kann ich nicht essen“
Wie es gelingt, eine solche Menge so quicklebendiger und lebenshungriger Menschen einigermassen in Ordnung zu halten, erstaunt immer wieder. Es ist wohl eine Mischung von laisser faire und rigider Rahmendisziplin. Letztere stösst uns Ausländern immer wieder auf, wir kritisieren – zu Recht – die Einschränkung der Menschenrechte. Aber für die Chinesen selbst sieht das oft anders aus, oder wie es ein Bauer in einem Interview 1989, dem Zeitpunkt des Tiananmen-Massakers, auf den Punkt gebracht hat: „Demokratie kann ich nicht essen.“
Die Menschen hier beschäftigen in der grossen Mehrheit andere Fragen und dabei zur Zeit vor allem die Inflation. Sie ist nicht galloppierend, aber sie ist vor allem im Bereich der Lebensmittel stark, teilweise weit über 10 Prozent. Und das schenkt für Arme, Alte und die Landbevölkerung saftig ein. Für arme Alte auf dem Land muss es schlimm sein.
Vor diesem Hintergrund ist die Korruption von Beamten und Parteikadern und vor allem beamteten Parteikadern schlimm, und sie wird von der Bevölkerung, die in politischen Fragen wenig interessiert ist, mit Empörung wahrgenommen. Aber halt auch als eine Plage wie Insekten oder Ueberschwemmungen, ein Naturereignis quasi. Solange es der immer grösser werdenden vor allem städtischen Mittelschicht wirtschaftlich gut geht, ist das für die Herrschenden kein grosses Problem.
Pragmatische Chinesen
Denn ein Hauptcharakterzug der weitgehend konfuzianisch geprägten chinesischen Gesellschaft ist der Pragmatismus. Religionen und Weltanschauungen sind gut, wenn sie dem täglichen Leben dienen. In einem chinesischen Tempel finden sich oft Konfuzius, Buddha und der Taoismus friedlich vereint; es können ja alle drei helfen. Daher ist auch die Frage der Menschenrechte eine praktische: Wenn die Rechte von mir als Menschen im täglichen Leben eingeschränkt werden, dann stört mich das, sonst ist mir das egal. Als Prinzip interessieren sie mich nicht. Und ausserdem: „Der Himmel ist gross, und der Kaiser ist weit“, hiess es schon immer. In einem Land wie China kann man oft ausweichen, wie der Dokumentarfilmer, der, als die Zensur hier in Peking ihm zu lästig wurde, in die Provinz zog, wobei Provinz dann auch eine Millionenstadt ist.
Fett auf der Suppe
So präsentiert sich uns China als eine Gesellschaft beherrscht von einer schmalen Schicht von Parteiführern, die wirtschaftlich das Land gar nicht so schlecht verwaltet und mit Hilfe eines repressiven Machtapparats von Polizei und Armee und mit Hilfe einer Zwischenschicht von Beamten und mittleren und unteren Parteimitgliedern die Kontrolle behält, indem sie diese Helfergruppen an der Macht beteiligt und an den wirtschaftlichen Vorteilen dieser Macht. Das sind die Gründe der Korruption und solange das System so ist, wird da nicht viel zu machen sein.
Diese – insgesamt dünne – Schicht schwimmt gleichsam auf der grossen Masse der Bevölkerung wie das Fett auf der Suppe, der Rahm auf der Milch. Und dieser grossen Masse geht es viel viel viel besser als vor 40 Jahren, viel viel besser als vor 30, viel besser als vor 20 und besser als vor 10 Jahren. Auch auf dem Land, aber vor allem in der Stadt und entlang der langen Meeresküste von Korea bis Vietnam und entlang des Yangtse, des grössten Flusses. Die Städte haben sich enorm entwickelt, das Verkehrssystem ist heute nicht zu vergleichen sowohl auf der Strasse als auch auf der Schiene, das Telekommunikationswesen geht bis in die hintersten Ecken des Landes.
Wirtschaftlich erfolgreich
Insgesamt floriert die Wirtschaft, und China ist längst über die Schwelle des Kopierens zur eigenen Entwicklung fortgeschritten. Der Dollar würde zusammenbrechen, würde China seine Reserven auf den Markt werfen, die Folgen für die Weltwirtschaft wären nicht absehbar. Die Städte Russlands sehen – so zum Beispiel Irkutsk, die Hauptstadt Sibiriens – nach 5 Jahren nicht viel anders aus. In China sind auch Provinzstädte äusserlich oft kaum mehr wieder zu erkennen. Dass ein Viertel der Menschheit heute keinen Hunger leidet ist im Uebrigen eine Leistung, die auch für uns von grosser Bedeutung ist.
Unschön sind, wie gesagt, die Versuche der Regierenden, vor allem im politischen, intellektuellen und kulturellen Bereich die Kontrolle zu behalten. Zwar ist die Diskussion untereinander heute weitgehend frei. Sie wird eingeschränkter, wenn sie schriftlich erfolgt, aber auch hier ist viel mehr möglich, als wir uns, die wir dann unsere Brille der Ideologie auf der Nase haben, vorstellen können, vorstellen wollen. Und sie wird gefährlich, wenn sie sich ans Ausland richtet und von im Ausland bekannten Figuren geführt wird. Der Künstler Ai Weiwei ist ein Beispiel dafür. Aber, so hat uns ein Freund hier erzählt, die Verhaftung sei von der Führung nicht gewollt worden, sondern eine Aktion einer untergeordneten Polizeistelle gewesen. (Es sei denn, so mein persönlicher Verdacht, die Fraktion der Holzköpfe im Politbüro wollte der Fraktion der Fortschrittlicheren – es sind graduelle Unterschiede – eins ans Bein hauen, war doch gerader der deutsche Aussenminister im Land, und Ai wollte ja nach Berlin.)
Aber innerhalb dieses Rahmens wird diskutiert, kritisiert, geschimpft und nach Auswegen gesucht, die auch meist gefunden werden. Wenn wir im Westen von etwas hören, was in China passiert ist, ist die Quelle meist eine chinesische, sei es die lokale Presse, sei es das Internet. Der Versuch, das Internet zu kontrollieren, ist lächerlich. Heute nutzen 300 bis 400 Millionen Chinesen dieses Medium, und es gibt gute chinesische Plattformen und allerhand Möglichkeiten die Zensur von Google&Cie zu umgehen, die ja sogar teilweise eine wirtschaftlich bedingte Selbstzensur ist oder, wie bei Google, ein Rückzug angesichts der erfolgreicheren chinesischen Konkurrenz. Und so kommen die, die es wollen, an die Informationen, werden die Informationen verbreitet. Oder wie Deng Xiaoping, der Vater des heutigen China, es treffend sagte: „Wenn Du das Fenster aufmachst, kommen auch Fliegen herein“.
Freiheit und Verantwortung
Zu bedenken ist auch, dass es in China kein Bürgertum im westlichen Sinne gibt. Aehnlich wie in Russland, fand nie eine bürgerliche Revolution statt, in der eine neue Schicht sich nicht nur Freiheit sondern auch Verantwortung erkämpfte. Freiheit und Verantwortung sind die siamesischen Zwillinge der freiheitlichen Gesellschaft. Freiheit ohne Verantwortung geht ebenso wenig wie Verantwortung ohne Freiheit. Und eine Schicht von Menschen, die bereit sind, nicht nur Freiheit – die sie im privaten Leben ja eben weitgehend erhalten – sondern auch die Verantwortung für die Gesellschaft einzufordern, diese Schicht gibt es zur Zeit nicht. So wird es noch einige Zeit dauern, bis den Herrschenden die Verantwortung für vor allem die wirtschaftliche Entwicklung, die ihnen ganz gern delegiert wird, abgenommen wird. Der Prozess der Demokratisierung Chinas wird viel Zeit brauchen. Ansätze sind da.
Ein grosses Land
Und schliesslich ist, was die Berichterstattung über China betrifft, noch zu bedenken, dass China ein sehr grosses Land ist. China hat wohl mehr Bevölkerung als ganz Nord- und Südamerika zusammen. Und das nicht in über 20 Ländern sondern in einem. Wenn alle Medienmeldungen aus dem Amerikanischen Doppelkontinent immer auf ein Land bezogen würden – und in der Regel sind das ja nicht Meldungen über schönes Wetter und liebe Leute, sondern Katastrophen und Missetaten – hätten wir auch den Eindruck, dass da allerhand im Argen liege. In China ist es halt immer China. – jb.
Die Repression ist für den Normalbürger nicht spürbar. Im Alltag kann jeder tun und lassen, was er will. Die meisten Menschen sehen deshalb auch keinen Grund, sich irgendwie politisch zu engagieren. Proteste aber werden laut – es gibt im Land jedes Jahr mehrere hundert Demonstrationen – gegen korrupte Beamte, gegen Ungerechtigkeiten bei Landverkäufen und sogar Landenteignungen, gegen den zunehmenden Graben zwischen Arm und Reich.
Es erstaunt immer wieder, mit welcher Härte die Herrschenden gegen jene vorgehen, die nichts anderes tun, als im Internet auf solche Zustände hinzuweisen und Presse- und Meinungsfreiheit zu fordern. Diese Dissidenten haben oft Blogs, die zwar von Tausenden mit Interesse gelesen werden, die aber keinerlei Folgen haben. Und Leute wie der Friedensnobelpreisträger Liu Zhaobo oder der Künstler Ai Weiwei sind in China ziemlich unbekannt – auch wenn sie wegen ihrer freien Rede im Westen oft zitiert werden.
Was die Mächtigen in China wirklich zu befürchten haben, ist ein Einbruch der Wirtschaft. Sobald nicht mehr alle satt werden, erwacht der Widerstand. Das wissen die Herrschenden, und sie tun alles für Brot und Spiele. Dabei erkennen sie nicht, dass demokratische Freiheiten die Wirtschaft nicht behindern, sondern deren Entwicklung fördern, dass gesellschaftliche Harmonie nicht durch schöne Worte entsteht, sondern Folge sozialen Ausgleichs ist, dass öffentlich Auseinandersetzungen und Pressefreiheit nicht zu mehr Unzufriedenheit führen, sondern ein Ventil, um der Unzufriedenheit auf friedlichem Wege Ausdruck zu geben.
Es sind allerdings nicht nur die Herrschenden, sondern es ist teilweise auch das Volk, das nach den Erfahrungen von Bürgerkriegen, Revolutionen und Fraktionskämpfen Angst vor Chaos und Disharmonie hat. – eb.
(Ende des Exkurses)
Peking neu und alt
Peking nimmt uns sofort wieder gefangen. Wir sind ja in einem Nobelschuppen abgestiegen, einer der besten Adressen Asiens, im Peninsula. Das Angebot im Internet war überzeugend, und weil wir über 10 Tage bleiben, haben sie uns zweimal hochgestuft und wir sind jetzt in einem Super Deluxe Room im 11. Stock, sehr schön, angenehm, komfortabel. Mit einem wunderschönen Schwimmbad. Waschen lassen werden wir allerdings auch hier nicht, denn neu kaufen ist erneut billiger. Und das tun wir teilweise (s.u.).
Am ersten Abend, nach einem sehr feinen Abendessen, zu dem wir in einem Shanghaier Restaurant von Maomi und Bangying, unseren chinesischen Familienmitgliedern, eingeladen sind, machen wir einen Bummel in die Stadt. Das Peninsula liegt ganz im Zentrum, nicht weit vom Kaiserpalast und noch näher an der Haupteinkaufsstrasse Wangfujing. Und hier sehen wir beides, neu und alt. Die Wangfujing ist nicht wieder zu erkennen. Verschwunden sind die kleinen Läden mit Spezialangeboten, abgerissen. An ihre Stelle sind glitzernde Riesenpaläste getreten, in denen die gleichen Läden zu finden sind wie in Paris, London, Rom, Zürich, Frankfurt, Tokyo (das wissen wir jetzt auch!). Die Strasse ist voll, denn es ist noch die Golden Week, die Woche der allgemeinen Ferien aus Anlass des Nationalfeiertags am ersten Oktober, und in der Golden Week wird gereist, gespeist, gekauft.
Dann biegen wir etwas weiter nördlich nach dem Volkstheater, in dem wir vor vierzig Jahren die revolutionären Peking-Opern von Jiang Qing, der berüchtigten Gemahlin Maos „delektiert“ haben, in eine kleine Strasse – und sind inmitten des alten Peking! Bäume, kleine Läden, Restaurants mit Lammfleischspiessen (fu), Leuten an Tischen auf der Strasse, Radfahrer. Wir schlendern an ihnen vorbei, auch an den öffentlichen Toiletten für die Häuser ohne diese Einrichtungen, die allerdings jetzt technisch aufgemotzt sind.
Es gibt diese Inseln des alten Peking immer noch, und einige werden überleben. Wieviele und in welcher Form ist allerdings offen. Eventuell als Freilichtmuseen oder als Schickimicki-Wohngegenden mit High Tech oder als Rahmen für Tourismusgeschäfte. Oder halt so, wie sie sind. In diesen Gebieten gibt es Hinterhofbars, gute Restaurants in alter oder neuer Form. Für Kenner, denn sie sind abseits des Touristenstroms. Unser Freund Ueli, der mit seiner Firma „Beijing4Friends“ ein alternatives Programm für Peking anbietet (langsamer Tourismus, schlendern und schlemmen, abseits des grossen Stroms die Stadt geniessen), zeigt uns einiges davon.
Dieses Zusammenspiel von alt und neu macht Peking so interessant. Wir sollten nicht in Nostalgie verfallen, die von den Bedürfnissen der Menschen hier abstrahiert. China will sich entwickeln, chaotisch zwar oft, aber immerhin. Und Peking entwickelt sich ohne Zweifel. Und neben all dem Glimmer der vielen 5-Stern-Hotels und Einkaufspaläste werden auch die Wohnungen grösser und besser, wird am Ausbau der U-Bahn gebaut, entstehen schöne Museen und Parks.
Auch unsere alten Freunde treffen wir. Die Kolleginnen und Kollegen von der Peking Rundschau laden uns ein in ein Restaurant, das 1980 als erste private Gaststätte in Peking begann. Wir essen in den originalen Räumen, und wir essen gut. Ueberhaupt wird der Aufenthalt hier von Essen geprägt sein, denn bis wir alle Freunde gesehen haben, sind die 10 Tage fast um. Auch mein Nachfolger Uwe Kräuter ist dabei, der in Peking geblieben und mit einer bekannten Filmschauspielerin verheiratet ist. Er dreht Dokumentarfilme und ist Kulturvermittler zwischen Ost und West.
Auch hier mit dem Velo
Aus 330 Metern auf die Baustelle eines noch höheren Hauses
Wir fahren auch zum zur Zeit mit 330 Metern höchsten Haus in Peking, dem Peking World Trade Centre. Im 80. Stock trinken wir einen – etwas teuren – Kaffee und rufen alle Freunde an, um die verschiedenen Treffen abzumachen, in der Peking Universität, bei ihnen zu Hause, in der Stadt. So wird mit durch den Smog etwas getrübter Aussicht auf die Stadt im Wandel die Woche gefüllt und verplant. Aber da wir uns genug Zeit genommen haben, gibt es genug Löcher für Veloausflüge.
Golden Week
Wir machen einen Abendspaziergang, der sich zu einer richtigen Abendwanderung auswächst. Zuerst geht es an den Imbissständen vorbei, die zwischen Wangfujing, der Haupteinkaufsstrasse, und Kaiserpalast Osttor aufgebaut sind. Was es da nicht alles gibt: Lammspiesse (wir essen zwei), gebratene Jiaozi (die Pekinger Urform der Ravioli, die Marco Polo nach Italien gebracht haben soll, wir essen ein Portion), dann an Spiessen alles was da kreucht und fleucht: Tintenfisch, Vögelchen, Innereien, Süssigkeiten, Fische, Krebse und und und.
Es sind unwahrscheinlich viele Menschen unterwegs, und dem meisten sieht man an, dass sie aus der Provinz oder vom Land kommen. Sie benutzen die Golden Week für eine Reise nach Peking, und dazu gehört der Abendbummel ins Zentrum, an die Wangfujing und zum Tiananmen, dem Tor des Himmlischen Friedens. Und dann gehen wir in Richtung Osttor und kommen an den Wassergraben rund um den Kaiserpalast – und da herrscht tiefste Ruhe! Wenige Pekinger beim Abendspaziergang, einige Fischer mit mehreren Ruten, Liebespaare. Die beleuchteten Ecktürme und Tore des Palasts spiegeln sich im Wasser, auch die Weiden und der halb volle Mond. Ein Idyll.
Zum Tiananmen können wir nicht direkt, das ist abgesperrt, und wir machen einen grossen Umweg bis zum Westtor und dann erst runter zum grossen Changan-Boulevard. Und da sind wir dann wieder in der Golden Week, und wie! Unmengen von Touristen schlendern – laut, wie es sich in China gehört – am Tor des Himmlischen Friedens vorbei, von dem aus Mao 1949 der Welt bekannt gab, das China aufgestanden sei.
Festung Tiananmen
Aber das Schlendern hat Hindernisse, polizeiliche und militärische. Der Platz ist eine Festung. Schon in den idyllischen Ecken des Palastgrabens haben wir uns gefragt, was die Soldaten da machen, die überall rumstanden. Und was die Polizeifahrzeuge, die zwar nicht mit Sirenen aber immer mit Blinklicht patrouillierten. Hier vorne wurde es uns klar. Ueberall Schranken, zwischen denen wir durchgehen, immer Soldaten, demonstrativ, auch Polizei in Kampfstiefeln, immer zu mehreren. Wir wechseln auf die andere Seite vor dem Volkskongress, unter der Strasse durch, auch dort Militärposten. Wir wollen ja auf den Platz des Himmlischen Friedens (!), auf dem das Revolutionsdenkmal steht und auch Maos Mausoleum. Aber das geht nicht im Direktgang, wir müssten nochmals unten durch, denn der gerade Weg ist hier mit Gittern vermacht. Wir lassen es bleiben und kehren – unten durch – auf die andere Seite zurück, wo wir durch Menschenmassen, Absperrschleusen, Militärposten und Polizeifahrzeuge am Tiananmen vorbei“spazieren“.
Angst vor dem Volk
Maos Spruch vom Funken, dem revolutionären, der einen Steppenbrand entfachen kann, haben die Chefs vor Augen, wenn sie Kleinräumigkeit im Grossen, Abgrenzugen und Einzäunungen schaffen. Dem flanierenden Volk scheint das nicht viel auszumachen, es bewundert Chinas Grösse, die sich an diesem Ort eindrücklich manifestiert, auch wenn die Lichtergirlanden an Bäumen und Gebäuden eher an Weihnachten oder Disneyland erinnern. Uns hat es gestunken, wir werden nächste Woche nochmals hingehen. Vielleicht ist es dann besser, wenn das Volk wieder zuhause ist und arbeitet.
Kulinarisches Peking
Wir geniessen die vielfältige chinesische Küche Pekings. Wir kaufen Fleischspiesse auf der Strasse, ebenso wie das feine nordchinesische Yoghurt, „Suanniunai“ genannt, suan für sauer und niunai für Milch. Dann gehen wir in ein einfaches Nudellokal und essen eine Portion Jiaozi, die Ravioli eben, gewürzt mit schwarzem Essig.
Morgen gibt es in einem Lokal für Einheimische „Hougou“, mongolischen Feuertopf, wie wir ihn auch zuhause manchmal für unsere Gäste machen, aber hier wird er originaler und damit besser sein, aber auch im Kupfer- oder Gusseisentopf mit Holzkohle in der Mitte und der Suppe rund herum
Modern Times
Heute waren wir also mit Freund Wang Feuertopf essen. Aber es war nicht genau das, was wir uns in unserer Nostalgie vorgestellt hatten. Ich fragte einen Concierge nach einem Restaurant dafür in der Nähe des Hotels, und zwar eines, in das die Chinesen gehen, in das er gehe, nicht eines für Ausländer. Er riet uns eines an der Hauptkreuzung der Wangfujing, im 8. Stock eines dieser glitzernden Einkaufspaläste mit den Markenläden, auch in Barcelona, Seoul, Toronto oder Genf findest, um einmal andere Städte zu nennen.
Es waren fast nur Chinesen da, junge und mittelaltrige vor allem. Und das Essen war hervorragend, die Stimmung im Lokal merklich gut, der Service schnell und perfekt, wie ihn die Chinesen lieben. Und der Preis stimmte erst noch, und wie. Für drei Portionen Fleisch, drei Gemüse, Tee à discrétion und ein Bier bezahlten wir 230 Yuan oder umgerechnet 34 Franken. Da meinte dann sogar Lao Wang, dass dies auch für normale Chinesen erschwinglich sei und nicht, wie er bei der Ambiente angenommen hatte, ein Lokal mit Spitzenpreisen.
Das moderne China ist eben nicht so, wie wir es uns wünschen, sondern so, wie es sich die Chinesen wünschen. Und da gibt es zwar auch noch den alten Feuertopf, aber auch den neuen!
Hutong
Auf der Suche nach einem Coiffeur für uns beide sind wir durch den Hutong, das ist die Bezeichnung für die kleinen Strassen mit den einstöckigen Wohnbereichen hinter schmalen Türen, wo ein Gutteil des Lebens im Sommer auf der Strasse stattfindet, heute sind wir also durch diesen Hutong gestreift. Und es ist unwahrscheinlich, was so nah an der Glitzerwelt der Einkaufspaläste dort noch an traditionellem Leben abläuft. (Ich lasse hier im Blog Bilder sprechen:)
Auf weiteren Fahrten sind wir dann auch durch ganz schmale Gassen gekommen, die entstanden sind, als zwischen zwei Häuserblockreihen links und rechts wild weitere einstöckige Wohnungen aus Backsteinen aufgebaut wurden. Die Strassen sind so eng, dass die Wäsche an Leinen oder Stangen dazwischen aufgehängt werden kann, sie wird auf Kleiderbügeln mit Stäben hochgehievt, ähnlich wie in den Kleidermärkten in ganz Asien.
In den Hutongs und in Seitenstrassen von Vorstädten sehen wir viele andere Szenen, die ich Euch auch nicht vorenthalten will.
Kunstszene
Dass die chinesische Kunstszene sehr lebendig ist, wissen wir nicht erst seit der Ausstellung Mahjongg, in der der ehemalige Botschafter Uli Sigg seine immense Sammlung in Bern präsentierte. Auch der Skandal um Ai Weiwei hat dies in Erinnerung gerufen. Wir haben schon vor Jahren das Künstlerviertel 798 besucht, als es noch nicht so modern und kommerziell war. Jetzt sind wir mit Ueli Merz in das Quartier Caochangdi gefahren, in dem eben Ai Weiwei lebt und in dem auch Schweizer Galerien wie Urs Meile und Shangart ihre Niederlassungen haben. Was wir gesehen haben, war teilweise eindrücklich, aber für moderne Kunst fehlt uns der Massstab, um ein fundiertes Urteil abgeben zu können.
Was uns aber sehr beeindruckte waren die Fotografien in Three Shadows Photography Art Centre, wo unter dem Titel „Coal and Ice“ Bilder aus Kohlenminen, klassische und neue aus China, Lichtbildschauen, die Details von Bildern deutlich machten. Grossformatige alte und neue Himalaya-Bilder, die die Veränderung der Gletscher dokumentieren. Und alles stellt den Zusammenhang der Kohle mit der Veränderung des menschlichen und des geophysikalischen Klimas dar. Eine eindrückliche Präsentation.
Kaiserpalast und Alte Kunst
In den Kaiserpalast wollten wir unbedingt. Es war schön, wenn auch zu Beginn die sehr vielen Menschen uns etwas störten. Aber es waren meist Gruppen, und diese nehmen die Hauptroute von Süden nach Norden, dann sind sie raus. In den etwas abseits gelegenen Höfen war es fast ruhig. Und dann war da noch eine Ausstellung oben auf dem Mittagstor (Wumen), auf das wir noch nie gekommen waren. Das gab ganz neue Ausblicke. Und die Ausstellung mit kalligraphischen und malerischen Werken aus fast 2000 Jahren war umwerfend. Sie war nicht gross, aber die Kunstwerke waren aus internationalen Sammlungen zusammengetragen. Ich habe selten so schöne Bilder aus der Südlichen Song-Dynastie (vor rund 800 Jahren gesehen), fein der Strich, mehr Andeutung des Umrisses als Ausfüllung des Objekts – Song eben.
Smog
Wir haben gutes Wetter, die Sonne scheint – wenn wir sie sehen. Der Smog ist die meisten Tage sehr stark, die Sonne oft nur stecknadelgross am Himmel, ausser am Abend. Da gibt es gloriose Sonnenuntergänge. Am Smog arbeiten nicht nur die vielen Autos, auch die immer noch funktionierenden Strassenküchen mit ihren runden Briketts aus nassgepresstem Kohlestaub, mit Löchern in der Mitte, die übereinandergeschichtet verbrannt werden, wobei zwar die Löcher wie Kamine wirken, aber die Verbrennung trotzdem miserabel bleibt und die Abgase entsprechend gross.
Hier wird Smog produziert
Nostalgie und Noten Heute haben wir die Peking-Universität besucht, wo ich von 1972 bis 1974 Deutsch unterrichtet habe. Von aussen ist sie kaum wiederzuerkennen. Mit der U-Bahn sind wir vom Zentrum aus in ca. dreiviertel Stunden bis ans Osttor gefahren. Ich bin seinerzeit mit meinem Rad am Südtor hineingefahren und durch den Campus zum Minzulou, dem Demokratiegebäude, in dem die Abteilung für westeuropäische Sprachen untergebracht war. Das Gebäude dient jetzt Verwaltungszwecken.
Der schöne „See ohne Namen“ ist noch wie er war, wenn auch die Bäume rundherum 40 Jahre älter sind. Meine alten Kollegen von damals sind alle pensioniert, die Studenten sowieso längst ausgeflogen. Aber wir freuen uns, Ma Wentao und seine Frau Tao Peiyuan zu treffen, beide gut Deutsch sprechend. Sie laden uns zum Mittagessen in das Hotel-Restaurant der Peking-Universität ein. Daneben sind Tennisplätze entstanden.
Ma übersetzt gerade ein Buch, das sich mit der Beziehung zwischen Goethe und Schiller auseinandersetzt. Keine leichte Aufgabe, denn er muss Zitate aus Gedichten, Briefen usw. der Dichter und deren Zeitgenossen übersetzten. Etwas konsterniert zeigt er uns Zitate, die – es ist kaum zu glauben – von Goethe stammen. Ich muss sie selbst zwei bis dreimal lesen, um sie zu verstehen und dann festzustellen: Das ist pornographisch! Ja, ja, unser Goethe!
Nach zwei interessanten Stunden verabschieden wir uns der Hoffnung, einander in alter Frische wiederzusehen. Wir werden über e-mail miteinander in Verbindung bleiben. (eb)
Niedergang der Teekultur
Für eine Teeliebhaberin wie mich wird Asien immer mehr zur Enttäuschung. Es begann schon in Südkorea. Wo immer ich nach Tee fragte, bot man mir Kaffee an. Zum Frühstück bekam ich zwar hin und wieder Tee, aber erst am Schluss, denn zum Frühstück trinkt man in Korea Suppe. Japan ist zwar das Land der Teezeremonie – aber eben mehr Zeremonie als Tee. Auch hier bekam ich in vielen Cafés nur mit Schwierigkeiten einen Tee.
Und in China, wo man früher ausser Schnaps nichts anderes als grünen Tee zu trinken bekam, bringt man mir eine Flasche kalter Limonade (Eistee aus grünem Tee), wenn ich „lü cha“ bestelle. Manchmal hilft es, auf den Kessel mit heissem Wasser zu deuten. Gestern Abend zum Beispiel stellte man mir einen kleinen Kessel auf den Tisch. Ich liess den „Tee“ lange ziehen, aber er blieb immer nur heisses Wasser. Als ich nach Teekraut fragte, hiess es „meiyou“ – haben wir nicht.
12.10. ejb
Unsere erste Wohnung in Peking 1972: erster Stock (europäische Zählung), Fenster 2-4 von rechts
Wir sind wieder einmal im Peking. „Beijing“ will mir weder über die Lippen noch die Tastatur des Notebooks. Schliesslich schreibe oder sage ich auch nicht „Roma“ oder „Moskwa“. Das wievielte Mal, das weiss ich nicht, aber es waren in den vergangenen über 39 Jahren einige Besuche. Und immer wieder ist China irgendwie einen Schritt weiter, und doch halt wieder China.
Das beginnt im Flugzeug. Es ist laut, es wird gedrängelt, es wird überall gegessen. Auffallend nach der Diszipliniertheit Japans.
Exkurs: China heute allgemein
(Wir bringen hier einige Gedanken zum Stand der Entwicklung Chinas politisch und wirtschaftlich allgemein, damit wir das dann später nicht immer wieder einfliessen lassen müssen. Es sind ein paar Dinge, die uns aufgrund unserer 40-jährigen Beschäftigung und Erfahrung mit diesem Land aufgefallen sind. Wen das nicht interessiert, der kann das ja überspringen. Das Ende des Exkurses wird angezeigt.)
„Demokratie kann ich nicht essen“
Wie es gelingt, eine solche Menge so quicklebendiger und lebenshungriger Menschen einigermassen in Ordnung zu halten, erstaunt immer wieder. Es ist wohl eine Mischung von laisser faire und rigider Rahmendisziplin. Letztere stösst uns Ausländern immer wieder auf, wir kritisieren – zu Recht – die Einschränkung der Menschenrechte. Aber für die Chinesen selbst sieht das oft anders aus, oder wie es ein Bauer in einem Interview 1989, dem Zeitpunkt des Tiananmen-Massakers, auf den Punkt gebracht hat: „Demokratie kann ich nicht essen.“
Die Menschen hier beschäftigen in der grossen Mehrheit andere Fragen und dabei zur Zeit vor allem die Inflation. Sie ist nicht galloppierend, aber sie ist vor allem im Bereich der Lebensmittel stark, teilweise weit über 10 Prozent. Und das schenkt für Arme, Alte und die Landbevölkerung saftig ein. Für arme Alte auf dem Land muss es schlimm sein.
Vor diesem Hintergrund ist die Korruption von Beamten und Parteikadern und vor allem beamteten Parteikadern schlimm, und sie wird von der Bevölkerung, die in politischen Fragen wenig interessiert ist, mit Empörung wahrgenommen. Aber halt auch als eine Plage wie Insekten oder Ueberschwemmungen, ein Naturereignis quasi. Solange es der immer grösser werdenden vor allem städtischen Mittelschicht wirtschaftlich gut geht, ist das für die Herrschenden kein grosses Problem.
Pragmatische Chinesen
Denn ein Hauptcharakterzug der weitgehend konfuzianisch geprägten chinesischen Gesellschaft ist der Pragmatismus. Religionen und Weltanschauungen sind gut, wenn sie dem täglichen Leben dienen. In einem chinesischen Tempel finden sich oft Konfuzius, Buddha und der Taoismus friedlich vereint; es können ja alle drei helfen. Daher ist auch die Frage der Menschenrechte eine praktische: Wenn die Rechte von mir als Menschen im täglichen Leben eingeschränkt werden, dann stört mich das, sonst ist mir das egal. Als Prinzip interessieren sie mich nicht. Und ausserdem: „Der Himmel ist gross, und der Kaiser ist weit“, hiess es schon immer. In einem Land wie China kann man oft ausweichen, wie der Dokumentarfilmer, der, als die Zensur hier in Peking ihm zu lästig wurde, in die Provinz zog, wobei Provinz dann auch eine Millionenstadt ist.
Fett auf der Suppe
So präsentiert sich uns China als eine Gesellschaft beherrscht von einer schmalen Schicht von Parteiführern, die wirtschaftlich das Land gar nicht so schlecht verwaltet und mit Hilfe eines repressiven Machtapparats von Polizei und Armee und mit Hilfe einer Zwischenschicht von Beamten und mittleren und unteren Parteimitgliedern die Kontrolle behält, indem sie diese Helfergruppen an der Macht beteiligt und an den wirtschaftlichen Vorteilen dieser Macht. Das sind die Gründe der Korruption und solange das System so ist, wird da nicht viel zu machen sein.
Diese – insgesamt dünne – Schicht schwimmt gleichsam auf der grossen Masse der Bevölkerung wie das Fett auf der Suppe, der Rahm auf der Milch. Und dieser grossen Masse geht es viel viel viel besser als vor 40 Jahren, viel viel besser als vor 30, viel besser als vor 20 und besser als vor 10 Jahren. Auch auf dem Land, aber vor allem in der Stadt und entlang der langen Meeresküste von Korea bis Vietnam und entlang des Yangtse, des grössten Flusses. Die Städte haben sich enorm entwickelt, das Verkehrssystem ist heute nicht zu vergleichen sowohl auf der Strasse als auch auf der Schiene, das Telekommunikationswesen geht bis in die hintersten Ecken des Landes.
Wirtschaftlich erfolgreich
Insgesamt floriert die Wirtschaft, und China ist längst über die Schwelle des Kopierens zur eigenen Entwicklung fortgeschritten. Der Dollar würde zusammenbrechen, würde China seine Reserven auf den Markt werfen, die Folgen für die Weltwirtschaft wären nicht absehbar. Die Städte Russlands sehen – so zum Beispiel Irkutsk, die Hauptstadt Sibiriens – nach 5 Jahren nicht viel anders aus. In China sind auch Provinzstädte äusserlich oft kaum mehr wieder zu erkennen. Dass ein Viertel der Menschheit heute keinen Hunger leidet ist im Uebrigen eine Leistung, die auch für uns von grosser Bedeutung ist.
Unschön sind, wie gesagt, die Versuche der Regierenden, vor allem im politischen, intellektuellen und kulturellen Bereich die Kontrolle zu behalten. Zwar ist die Diskussion untereinander heute weitgehend frei. Sie wird eingeschränkter, wenn sie schriftlich erfolgt, aber auch hier ist viel mehr möglich, als wir uns, die wir dann unsere Brille der Ideologie auf der Nase haben, vorstellen können, vorstellen wollen. Und sie wird gefährlich, wenn sie sich ans Ausland richtet und von im Ausland bekannten Figuren geführt wird. Der Künstler Ai Weiwei ist ein Beispiel dafür. Aber, so hat uns ein Freund hier erzählt, die Verhaftung sei von der Führung nicht gewollt worden, sondern eine Aktion einer untergeordneten Polizeistelle gewesen. (Es sei denn, so mein persönlicher Verdacht, die Fraktion der Holzköpfe im Politbüro wollte der Fraktion der Fortschrittlicheren – es sind graduelle Unterschiede – eins ans Bein hauen, war doch gerader der deutsche Aussenminister im Land, und Ai wollte ja nach Berlin.)
Aber innerhalb dieses Rahmens wird diskutiert, kritisiert, geschimpft und nach Auswegen gesucht, die auch meist gefunden werden. Wenn wir im Westen von etwas hören, was in China passiert ist, ist die Quelle meist eine chinesische, sei es die lokale Presse, sei es das Internet. Der Versuch, das Internet zu kontrollieren, ist lächerlich. Heute nutzen 300 bis 400 Millionen Chinesen dieses Medium, und es gibt gute chinesische Plattformen und allerhand Möglichkeiten die Zensur von Google&Cie zu umgehen, die ja sogar teilweise eine wirtschaftlich bedingte Selbstzensur ist oder, wie bei Google, ein Rückzug angesichts der erfolgreicheren chinesischen Konkurrenz. Und so kommen die, die es wollen, an die Informationen, werden die Informationen verbreitet. Oder wie Deng Xiaoping, der Vater des heutigen China, es treffend sagte: „Wenn Du das Fenster aufmachst, kommen auch Fliegen herein“.
Freiheit und Verantwortung
Zu bedenken ist auch, dass es in China kein Bürgertum im westlichen Sinne gibt. Aehnlich wie in Russland, fand nie eine bürgerliche Revolution statt, in der eine neue Schicht sich nicht nur Freiheit sondern auch Verantwortung erkämpfte. Freiheit und Verantwortung sind die siamesischen Zwillinge der freiheitlichen Gesellschaft. Freiheit ohne Verantwortung geht ebenso wenig wie Verantwortung ohne Freiheit. Und eine Schicht von Menschen, die bereit sind, nicht nur Freiheit – die sie im privaten Leben ja eben weitgehend erhalten – sondern auch die Verantwortung für die Gesellschaft einzufordern, diese Schicht gibt es zur Zeit nicht. So wird es noch einige Zeit dauern, bis den Herrschenden die Verantwortung für vor allem die wirtschaftliche Entwicklung, die ihnen ganz gern delegiert wird, abgenommen wird. Der Prozess der Demokratisierung Chinas wird viel Zeit brauchen. Ansätze sind da.
Ein grosses Land
Und schliesslich ist, was die Berichterstattung über China betrifft, noch zu bedenken, dass China ein sehr grosses Land ist. China hat wohl mehr Bevölkerung als ganz Nord- und Südamerika zusammen. Und das nicht in über 20 Ländern sondern in einem. Wenn alle Medienmeldungen aus dem Amerikanischen Doppelkontinent immer auf ein Land bezogen würden – und in der Regel sind das ja nicht Meldungen über schönes Wetter und liebe Leute, sondern Katastrophen und Missetaten – hätten wir auch den Eindruck, dass da allerhand im Argen liege. In China ist es halt immer China. – jb.
Die Repression ist für den Normalbürger nicht spürbar. Im Alltag kann jeder tun und lassen, was er will. Die meisten Menschen sehen deshalb auch keinen Grund, sich irgendwie politisch zu engagieren. Proteste aber werden laut – es gibt im Land jedes Jahr mehrere hundert Demonstrationen – gegen korrupte Beamte, gegen Ungerechtigkeiten bei Landverkäufen und sogar Landenteignungen, gegen den zunehmenden Graben zwischen Arm und Reich.
Es erstaunt immer wieder, mit welcher Härte die Herrschenden gegen jene vorgehen, die nichts anderes tun, als im Internet auf solche Zustände hinzuweisen und Presse- und Meinungsfreiheit zu fordern. Diese Dissidenten haben oft Blogs, die zwar von Tausenden mit Interesse gelesen werden, die aber keinerlei Folgen haben. Und Leute wie der Friedensnobelpreisträger Liu Zhaobo oder der Künstler Ai Weiwei sind in China ziemlich unbekannt – auch wenn sie wegen ihrer freien Rede im Westen oft zitiert werden.
Was die Mächtigen in China wirklich zu befürchten haben, ist ein Einbruch der Wirtschaft. Sobald nicht mehr alle satt werden, erwacht der Widerstand. Das wissen die Herrschenden, und sie tun alles für Brot und Spiele. Dabei erkennen sie nicht, dass demokratische Freiheiten die Wirtschaft nicht behindern, sondern deren Entwicklung fördern, dass gesellschaftliche Harmonie nicht durch schöne Worte entsteht, sondern Folge sozialen Ausgleichs ist, dass öffentlich Auseinandersetzungen und Pressefreiheit nicht zu mehr Unzufriedenheit führen, sondern ein Ventil, um der Unzufriedenheit auf friedlichem Wege Ausdruck zu geben.
Es sind allerdings nicht nur die Herrschenden, sondern es ist teilweise auch das Volk, das nach den Erfahrungen von Bürgerkriegen, Revolutionen und Fraktionskämpfen Angst vor Chaos und Disharmonie hat. – eb.
(Ende des Exkurses)
Peking neu und alt
Peking nimmt uns sofort wieder gefangen. Wir sind ja in einem Nobelschuppen abgestiegen, einer der besten Adressen Asiens, im Peninsula. Das Angebot im Internet war überzeugend, und weil wir über 10 Tage bleiben, haben sie uns zweimal hochgestuft und wir sind jetzt in einem Super Deluxe Room im 11. Stock, sehr schön, angenehm, komfortabel. Mit einem wunderschönen Schwimmbad. Waschen lassen werden wir allerdings auch hier nicht, denn neu kaufen ist erneut billiger. Und das tun wir teilweise (s.u.).
Am ersten Abend, nach einem sehr feinen Abendessen, zu dem wir in einem Shanghaier Restaurant von Maomi und Bangying, unseren chinesischen Familienmitgliedern, eingeladen sind, machen wir einen Bummel in die Stadt. Das Peninsula liegt ganz im Zentrum, nicht weit vom Kaiserpalast und noch näher an der Haupteinkaufsstrasse Wangfujing. Und hier sehen wir beides, neu und alt. Die Wangfujing ist nicht wieder zu erkennen. Verschwunden sind die kleinen Läden mit Spezialangeboten, abgerissen. An ihre Stelle sind glitzernde Riesenpaläste getreten, in denen die gleichen Läden zu finden sind wie in Paris, London, Rom, Zürich, Frankfurt, Tokyo (das wissen wir jetzt auch!). Die Strasse ist voll, denn es ist noch die Golden Week, die Woche der allgemeinen Ferien aus Anlass des Nationalfeiertags am ersten Oktober, und in der Golden Week wird gereist, gespeist, gekauft.
Dann biegen wir etwas weiter nördlich nach dem Volkstheater, in dem wir vor vierzig Jahren die revolutionären Peking-Opern von Jiang Qing, der berüchtigten Gemahlin Maos „delektiert“ haben, in eine kleine Strasse – und sind inmitten des alten Peking! Bäume, kleine Läden, Restaurants mit Lammfleischspiessen (fu), Leuten an Tischen auf der Strasse, Radfahrer. Wir schlendern an ihnen vorbei, auch an den öffentlichen Toiletten für die Häuser ohne diese Einrichtungen, die allerdings jetzt technisch aufgemotzt sind.
Es gibt diese Inseln des alten Peking immer noch, und einige werden überleben. Wieviele und in welcher Form ist allerdings offen. Eventuell als Freilichtmuseen oder als Schickimicki-Wohngegenden mit High Tech oder als Rahmen für Tourismusgeschäfte. Oder halt so, wie sie sind. In diesen Gebieten gibt es Hinterhofbars, gute Restaurants in alter oder neuer Form. Für Kenner, denn sie sind abseits des Touristenstroms. Unser Freund Ueli, der mit seiner Firma „Beijing4Friends“ ein alternatives Programm für Peking anbietet (langsamer Tourismus, schlendern und schlemmen, abseits des grossen Stroms die Stadt geniessen), zeigt uns einiges davon.
Dieses Zusammenspiel von alt und neu macht Peking so interessant. Wir sollten nicht in Nostalgie verfallen, die von den Bedürfnissen der Menschen hier abstrahiert. China will sich entwickeln, chaotisch zwar oft, aber immerhin. Und Peking entwickelt sich ohne Zweifel. Und neben all dem Glimmer der vielen 5-Stern-Hotels und Einkaufspaläste werden auch die Wohnungen grösser und besser, wird am Ausbau der U-Bahn gebaut, entstehen schöne Museen und Parks.
Auch unsere alten Freunde treffen wir. Die Kolleginnen und Kollegen von der Peking Rundschau laden uns ein in ein Restaurant, das 1980 als erste private Gaststätte in Peking begann. Wir essen in den originalen Räumen, und wir essen gut. Ueberhaupt wird der Aufenthalt hier von Essen geprägt sein, denn bis wir alle Freunde gesehen haben, sind die 10 Tage fast um. Auch mein Nachfolger Uwe Kräuter ist dabei, der in Peking geblieben und mit einer bekannten Filmschauspielerin verheiratet ist. Er dreht Dokumentarfilme und ist Kulturvermittler zwischen Ost und West.
Auch hier mit dem Velo
Wir sind in Peking immer viel Velo gefahren. Und wollten das auch jetzt tun. Als wir an der Reception fragen, wo wir Velos mieten könnten, meinten sie, das Hotel hätte eigene, und die sind erst noch gratis! Peking ist eine sehr grosse Stadt, in der du lange Wege gehst, wenn du nicht immer das Taxi nimmst. Ausserdem gibt es hier keine Berge oder auch nur Hügel. Da ist das Velo praktisch. Die Stadt hat viele Velowege entlang der grossen Strassen ausgeschieden, breit und praktisch. Allerdings kommen dir auch hier Velos entgegen, und eher eine Plage sind die vielen Elektrobikes und Elektroroller, die auch hier verkehren. Du hörst sie nicht, ausser sie kommen von hinten und hupen plötzlich. Aber das Velofahren macht Spass.
Wir fahren zur „Seidenstrasse“, dem grossen Warenhaus mit billigen Kleidern und Schuhen, wo wir uns eindecken mit Ersatz für Ausgetragenes und Kaputtgegangenes: T-shirts, Hosen, Schuhe, Hemden, Blusen… und auch eine Reisetasche. Nachdem wir die Hosen noch auf die richtige Länge haben kürzen lassen, kommt alles in die Tasche, diese als Rucksack auf meinen Buckel und dann zurück ins Hotel.Aus 330 Metern auf die Baustelle eines noch höheren Hauses
Wir fahren auch zum zur Zeit mit 330 Metern höchsten Haus in Peking, dem Peking World Trade Centre. Im 80. Stock trinken wir einen – etwas teuren – Kaffee und rufen alle Freunde an, um die verschiedenen Treffen abzumachen, in der Peking Universität, bei ihnen zu Hause, in der Stadt. So wird mit durch den Smog etwas getrübter Aussicht auf die Stadt im Wandel die Woche gefüllt und verplant. Aber da wir uns genug Zeit genommen haben, gibt es genug Löcher für Veloausflüge.
Wir machen einen Abendspaziergang, der sich zu einer richtigen Abendwanderung auswächst. Zuerst geht es an den Imbissständen vorbei, die zwischen Wangfujing, der Haupteinkaufsstrasse, und Kaiserpalast Osttor aufgebaut sind. Was es da nicht alles gibt: Lammspiesse (wir essen zwei), gebratene Jiaozi (die Pekinger Urform der Ravioli, die Marco Polo nach Italien gebracht haben soll, wir essen ein Portion), dann an Spiessen alles was da kreucht und fleucht: Tintenfisch, Vögelchen, Innereien, Süssigkeiten, Fische, Krebse und und und.
Es sind unwahrscheinlich viele Menschen unterwegs, und dem meisten sieht man an, dass sie aus der Provinz oder vom Land kommen. Sie benutzen die Golden Week für eine Reise nach Peking, und dazu gehört der Abendbummel ins Zentrum, an die Wangfujing und zum Tiananmen, dem Tor des Himmlischen Friedens. Und dann gehen wir in Richtung Osttor und kommen an den Wassergraben rund um den Kaiserpalast – und da herrscht tiefste Ruhe! Wenige Pekinger beim Abendspaziergang, einige Fischer mit mehreren Ruten, Liebespaare. Die beleuchteten Ecktürme und Tore des Palasts spiegeln sich im Wasser, auch die Weiden und der halb volle Mond. Ein Idyll.
Zum Tiananmen können wir nicht direkt, das ist abgesperrt, und wir machen einen grossen Umweg bis zum Westtor und dann erst runter zum grossen Changan-Boulevard. Und da sind wir dann wieder in der Golden Week, und wie! Unmengen von Touristen schlendern – laut, wie es sich in China gehört – am Tor des Himmlischen Friedens vorbei, von dem aus Mao 1949 der Welt bekannt gab, das China aufgestanden sei.
Festung Tiananmen
Aber das Schlendern hat Hindernisse, polizeiliche und militärische. Der Platz ist eine Festung. Schon in den idyllischen Ecken des Palastgrabens haben wir uns gefragt, was die Soldaten da machen, die überall rumstanden. Und was die Polizeifahrzeuge, die zwar nicht mit Sirenen aber immer mit Blinklicht patrouillierten. Hier vorne wurde es uns klar. Ueberall Schranken, zwischen denen wir durchgehen, immer Soldaten, demonstrativ, auch Polizei in Kampfstiefeln, immer zu mehreren. Wir wechseln auf die andere Seite vor dem Volkskongress, unter der Strasse durch, auch dort Militärposten. Wir wollen ja auf den Platz des Himmlischen Friedens (!), auf dem das Revolutionsdenkmal steht und auch Maos Mausoleum. Aber das geht nicht im Direktgang, wir müssten nochmals unten durch, denn der gerade Weg ist hier mit Gittern vermacht. Wir lassen es bleiben und kehren – unten durch – auf die andere Seite zurück, wo wir durch Menschenmassen, Absperrschleusen, Militärposten und Polizeifahrzeuge am Tiananmen vorbei“spazieren“.
Angst vor dem Volk
Die Angst vor dem Volk und seiner Spontaneität sitzt den Herrschenden offensichtlich tief in den Knochen. Der Platz vor dem Tor ist seit hundert Jahren ein Symbol. Hier protestierten die Studenten 1919 gegen den Versailler Vertrag, der China schmählich behandelte. Hier riefen die Kommunisten die Volksrepublik aus. Hier fanden und finden die grossen Paraden statt, auch die der Kulturrevolution. Hier protestierten die Studenten 1989 und hier wurden sie niedergemacht. Und hier versammelten sich, wie aus dem Nichts, vor einigen Jahren viele Tausend Anhänger der Sekte Falongong zum Gebet.
Maos Spruch vom Funken, dem revolutionären, der einen Steppenbrand entfachen kann, haben die Chefs vor Augen, wenn sie Kleinräumigkeit im Grossen, Abgrenzugen und Einzäunungen schaffen. Dem flanierenden Volk scheint das nicht viel auszumachen, es bewundert Chinas Grösse, die sich an diesem Ort eindrücklich manifestiert, auch wenn die Lichtergirlanden an Bäumen und Gebäuden eher an Weihnachten oder Disneyland erinnern. Uns hat es gestunken, wir werden nächste Woche nochmals hingehen. Vielleicht ist es dann besser, wenn das Volk wieder zuhause ist und arbeitet.
Kulinarisches Peking
Wir geniessen die vielfältige chinesische Küche Pekings. Wir kaufen Fleischspiesse auf der Strasse, ebenso wie das feine nordchinesische Yoghurt, „Suanniunai“ genannt, suan für sauer und niunai für Milch. Dann gehen wir in ein einfaches Nudellokal und essen eine Portion Jiaozi, die Ravioli eben, gewürzt mit schwarzem Essig.
Am Abend ging es dann vornehm in eines der besten Lokale für Peking-Ente. Eine muss für uns dran glauben. Sie ist nicht sehr teuer, aber Jiaozi könnten wir im Lokal vom Mittag (inclusive einer Portion Tee und ein Bier) fast zwanzig Mal essen. Die Speisekarte im Entenrestaurant war ein Tablet-Computer, auf dem wir die verschiedenen Bereiche des Menues antippen konnten, dann kamen Bilder, dann konnten wir mit Antippen ein Häkchen setzen, dann zu den Getränken gehen usw. Bier allerdings gab es in der englischen Version nicht, auf dem Tisch aber dann doch!
Morgen gibt es in einem Lokal für Einheimische „Hougou“, mongolischen Feuertopf, wie wir ihn auch zuhause manchmal für unsere Gäste machen, aber hier wird er originaler und damit besser sein, aber auch im Kupfer- oder Gusseisentopf mit Holzkohle in der Mitte und der Suppe rund herum
Modern Times
Heute waren wir also mit Freund Wang Feuertopf essen. Aber es war nicht genau das, was wir uns in unserer Nostalgie vorgestellt hatten. Ich fragte einen Concierge nach einem Restaurant dafür in der Nähe des Hotels, und zwar eines, in das die Chinesen gehen, in das er gehe, nicht eines für Ausländer. Er riet uns eines an der Hauptkreuzung der Wangfujing, im 8. Stock eines dieser glitzernden Einkaufspaläste mit den Markenläden, auch in Barcelona, Seoul, Toronto oder Genf findest, um einmal andere Städte zu nennen.
Und wir waren denn auch etwas geschockt, als wir reinkamen: Durchgestylt, hochmodern, hightech mit Induktionsherden in der Mitte der Tische, kurz: Glitzer, Glanz & Glamour. Der Laden läuft sieben Tage die Woche rund um die Uhr, 24 Stunden. Aber es stimmte alles.
Es waren fast nur Chinesen da, junge und mittelaltrige vor allem. Und das Essen war hervorragend, die Stimmung im Lokal merklich gut, der Service schnell und perfekt, wie ihn die Chinesen lieben. Und der Preis stimmte erst noch, und wie. Für drei Portionen Fleisch, drei Gemüse, Tee à discrétion und ein Bier bezahlten wir 230 Yuan oder umgerechnet 34 Franken. Da meinte dann sogar Lao Wang, dass dies auch für normale Chinesen erschwinglich sei und nicht, wie er bei der Ambiente angenommen hatte, ein Lokal mit Spitzenpreisen.
Das moderne China ist eben nicht so, wie wir es uns wünschen, sondern so, wie es sich die Chinesen wünschen. Und da gibt es zwar auch noch den alten Feuertopf, aber auch den neuen!
Hutong
Auf der Suche nach einem Coiffeur für uns beide sind wir durch den Hutong, das ist die Bezeichnung für die kleinen Strassen mit den einstöckigen Wohnbereichen hinter schmalen Türen, wo ein Gutteil des Lebens im Sommer auf der Strasse stattfindet, heute sind wir also durch diesen Hutong gestreift. Und es ist unwahrscheinlich, was so nah an der Glitzerwelt der Einkaufspaläste dort noch an traditionellem Leben abläuft. (Ich lasse hier im Blog Bilder sprechen:)
Auf weiteren Fahrten sind wir dann auch durch ganz schmale Gassen gekommen, die entstanden sind, als zwischen zwei Häuserblockreihen links und rechts wild weitere einstöckige Wohnungen aus Backsteinen aufgebaut wurden. Die Strassen sind so eng, dass die Wäsche an Leinen oder Stangen dazwischen aufgehängt werden kann, sie wird auf Kleiderbügeln mit Stäben hochgehievt, ähnlich wie in den Kleidermärkten in ganz Asien.
Die Autos, die Bewohner dieser Gassen unterdessen auch besitzen, stehen ausserhalb der Quartiere in grösseren Haufen.
In den Hutongs und in Seitenstrassen von Vorstädten sehen wir viele andere Szenen, die ich Euch auch nicht vorenthalten will.
Kunstszene
Dass die chinesische Kunstszene sehr lebendig ist, wissen wir nicht erst seit der Ausstellung Mahjongg, in der der ehemalige Botschafter Uli Sigg seine immense Sammlung in Bern präsentierte. Auch der Skandal um Ai Weiwei hat dies in Erinnerung gerufen. Wir haben schon vor Jahren das Künstlerviertel 798 besucht, als es noch nicht so modern und kommerziell war. Jetzt sind wir mit Ueli Merz in das Quartier Caochangdi gefahren, in dem eben Ai Weiwei lebt und in dem auch Schweizer Galerien wie Urs Meile und Shangart ihre Niederlassungen haben. Was wir gesehen haben, war teilweise eindrücklich, aber für moderne Kunst fehlt uns der Massstab, um ein fundiertes Urteil abgeben zu können.
Kaiserpalast und Alte Kunst
In den Kaiserpalast wollten wir unbedingt. Es war schön, wenn auch zu Beginn die sehr vielen Menschen uns etwas störten. Aber es waren meist Gruppen, und diese nehmen die Hauptroute von Süden nach Norden, dann sind sie raus. In den etwas abseits gelegenen Höfen war es fast ruhig. Und dann war da noch eine Ausstellung oben auf dem Mittagstor (Wumen), auf das wir noch nie gekommen waren. Das gab ganz neue Ausblicke. Und die Ausstellung mit kalligraphischen und malerischen Werken aus fast 2000 Jahren war umwerfend. Sie war nicht gross, aber die Kunstwerke waren aus internationalen Sammlungen zusammengetragen. Ich habe selten so schöne Bilder aus der Südlichen Song-Dynastie (vor rund 800 Jahren gesehen), fein der Strich, mehr Andeutung des Umrisses als Ausfüllung des Objekts – Song eben.
Smog
Wir haben gutes Wetter, die Sonne scheint – wenn wir sie sehen. Der Smog ist die meisten Tage sehr stark, die Sonne oft nur stecknadelgross am Himmel, ausser am Abend. Da gibt es gloriose Sonnenuntergänge. Am Smog arbeiten nicht nur die vielen Autos, auch die immer noch funktionierenden Strassenküchen mit ihren runden Briketts aus nassgepresstem Kohlestaub, mit Löchern in der Mitte, die übereinandergeschichtet verbrannt werden, wobei zwar die Löcher wie Kamine wirken, aber die Verbrennung trotzdem miserabel bleibt und die Abgase entsprechend gross.
Hier wird Smog produziert
Nostalgie und Noten
Der schöne „See ohne Namen“ ist noch wie er war, wenn auch die Bäume rundherum 40 Jahre älter sind. Meine alten Kollegen von damals sind alle pensioniert, die Studenten sowieso längst ausgeflogen. Aber wir freuen uns, Ma Wentao und seine Frau Tao Peiyuan zu treffen, beide gut Deutsch sprechend. Sie laden uns zum Mittagessen in das Hotel-Restaurant der Peking-Universität ein. Daneben sind Tennisplätze entstanden.
Am Nachmittag besuchen wir Yan Baoyu. Er war Deutschprofessor, hat in der ehemaligen DDR studiert und später in beiden Teilen Deutschlands Lehraufträge wahrgenommen und Ehrungen entgegen genommen. Vor allem aber ist Yan ein grosser Liebhaber und Experte für klassische Musik. Schon als wir das Haus betreten, hören wir Klänge aus Beethovens Fünfter. Sein Zimmer ist voll mit CDs aller grossen Werke und mit Büchern über Musik und Komponisten. Der 88-Jährige hört nicht mehr so gut, aber er ist munter wie eh und je, erzählt von seinen Lehrern und Schülern, von seinen Aufenthalten in Deutschland, von seinen Freunden und seiner Liebe zur Musik. Bis vor fünf Jahren hat er noch sehr gut besuchte Vorlesungen über klassische Musik gehalten.
Nach zwei interessanten Stunden verabschieden wir uns der Hoffnung, einander in alter Frische wiederzusehen. Wir werden über e-mail miteinander in Verbindung bleiben. (eb)
Niedergang der Teekultur
Für eine Teeliebhaberin wie mich wird Asien immer mehr zur Enttäuschung. Es begann schon in Südkorea. Wo immer ich nach Tee fragte, bot man mir Kaffee an. Zum Frühstück bekam ich zwar hin und wieder Tee, aber erst am Schluss, denn zum Frühstück trinkt man in Korea Suppe. Japan ist zwar das Land der Teezeremonie – aber eben mehr Zeremonie als Tee. Auch hier bekam ich in vielen Cafés nur mit Schwierigkeiten einen Tee.
Und in China, wo man früher ausser Schnaps nichts anderes als grünen Tee zu trinken bekam, bringt man mir eine Flasche kalter Limonade (Eistee aus grünem Tee), wenn ich „lü cha“ bestelle. Manchmal hilft es, auf den Kessel mit heissem Wasser zu deuten. Gestern Abend zum Beispiel stellte man mir einen kleinen Kessel auf den Tisch. Ich liess den „Tee“ lange ziehen, aber er blieb immer nur heisses Wasser. Als ich nach Teekraut fragte, hiess es „meiyou“ – haben wir nicht.
Noch ein Tipp vor der Erkältungssaison: Gegen Husten soll Chrysanthementee das nonplusultra sein, gegen Erkältung Ingwertee. (eb)
12.10. ejb
Hallo Jürg und Elo
AntwortenLöschenWieder ein Mal ein toller Bericht. Danke!
P.S.: Vielleicht findet ihr ja noch ein paar Künstler für http://www.knoerle-baettig.com ;-)
P.S.2: ha, die Geschichte mit dem Bus und Rucksack kenne ich. Ist mir nie passiert, aber als ich in Süd Amerika war, hatte das auch jemand mit einem Weggefährten versucht, nur wusste ich vom Trick und das hat sie dann richtig geärtert, was auch nicht so ungefährlich ist...
AntwortenLöschen