Samstag, 20. Oktober 2012

VI-1 Im Nordland

Gutes Essen, schöne Stadt / Ureinwohner – der Unterschied zu Australien / Ein Gründungsvertrag / Kulturspuren / Nach Norden / Schottische Odyssee / Im ältesten Hotel, in der ältesten Beiz / Nordend / Von der Flut eingeschlossen / 5 Stunden Warten / Ende gut, alles gut / Freimaurer-Hotel / Sing Out und Poolbillard / Baumriesen

Nordland, das ist der Norden Neuseelands, der ja klimatisch eigentlich der Süden ist (respektive sein sollte), da auch hier verkehrte Welt herrscht. Dahin gehen wir zuerst, denn wir hoffen auf einen milden Frühling. Ist aber nichts, es ist oft Sauwetter und ein miserabel kalter Wind bekämpft die wärmende Sonne erfolgreich. Sei’s drum, wir hatten ja bisher 16 Monate Sommer.

Gutes Essen, schöne Stadt

Das Essen ist gut in Neuseeland. Wir haben am ersten Abend einen Tintenfisch gegessen, wie wir ihn lange nicht – wenn überhaupt je hatten: zart, ausgezeichnet gewürzt. Und am zweiten Abend einen Thunfisch vom feinsten. Auch der Wein schmeckt uns ausgezeichnet. Das Frühstück, das hier wie fast überall auf der Welt nicht im Hotelpreis inbegriffen ist und sauteuer verkauft wird, nehmen wir in einer Sandwichbar oder als Sushi in einem japanischen Schnellimbiss. Der Kaffee ist auch in Neuseeland sehr gut. Es leben – einmal mehr – die italienischen Kaffeemaschinen!

Auckland ist eine schöne Stadt. Wir wohnen am Hafen, im 11. Stock mit Blick auf das aufgewühlte Meer, das seine Farbe in Minutenschnelle ändert, denn das Wetter ist, sturmgetrieben sehr wechselhaft. Sonne, Wolken, Regen, Sonne – wie es Petrus grad gefällt. Grad vor der Türe sind die Touristeninformation, der Terminal der Fähren und viele Bars und Restaurants. Die Haupteinkaufsstrasse, Queen Street, ist um die Ecke. Erste Lage also.

Das Auto lassen wir in der Garage, wir gehen zu Fuss. Es ist Sonntag, die Geschäfte öffnen meist erst nach 10 Uhr. Der Kauf eines Internetmodems muss warten, wird aber am Nachmittag nachgeholt. Zuerst gehen wir ins Auckland Museum (Hinweg Bus, Rückweg Fuss). Auf dem Weg dahin kommen wir am Sky Tower vorbei, und wir lassen uns die Aussicht aus über 200 Metern nicht entgehen. Auf der Plattform können wir über Glasplatten gehen, die uns einen Blick direkt nach unten ermöglichen. Zwar steht geschrieben, das Glas sei dick und sicher. Aber es ist doch ein mulmiges Gefühl.
 
 
 
Im Schaufenster (unfreiwillig)

Ureinwohner – der Unterschied zu Australien
Das Museum of Auckland  ist das ehemalige Militärmuseum, was nachwirkt. Im obersten Stock ist es sehr patriotisch, interessant ist allerdings ein Raum über die Kriege, die die Ureinwohner Neuseelands, die Maoris, gegen die Weissen Mitte des 19. Jahrhunderts führten. Das war kein Zuckerschlecken, für beide Seiten.

Im Zentrum des Museums ist eine grosse Sammlung von Maori-Gegenständen. Sehr eindrücklich, wenn auch, wie wir bei einer „Kundenbefragung“ am Ausgang in einem längeren Gespräch mit einer Angestellten deutlich machen, eher wie ein Lager des Museums als wie eine moderne Ausstellung. Aber es hat (zu) viele schöne Stücke.

Uns wird deutlich, wie unterschiedlich in jeder Beziehung die Ureinwohner dieses Landes im Vergleich zu denen Australiens sind. Da ist einmal die materielle Kultur. Zwar gibt es auch hier keine Metallgegenstände, aber die Steinbearbeitung war wesentlich weiter. Wir würden Jungsteinzeit sagen. Feine Steinklingen und sehr gut gearbeitete Steinbeile mit schöner Politur. Raffinierte Schmuckstücke und eine hoch entwickelte Tradition der Holzbearbeitung, sei das in der Skulptur, der Schnitzerei oder der Waffenherstellung.

Die Maori waren eine sehr kriegerische Kultur, untereinander und dann gegen die Weissen. Die in mehreren Wellen vor über 700 Jahren aus dem Pazifik eingewanderten Stämme verspeisten durchaus ihre gefangenen Feinde. Die Stärke der Ureinwohner hatte auch eine andere Staatsgründung zur Folge.

Ein Gründungsvertrag

Während das moderne Australien seinen Ursprung auf die Landnahme der Weissen 1770 zurückführt, ist es hier ein Vertrag zwischen den Weissen und den Maori, der Vertrag von Waitangi vom 6. Februar 1840. Der Vertrag etablierte einerseits einen Gouverneur auf Neuseeland, andererseits anerkannte er Landrechte der Maori und gab ihnen von Anfang an die britische Staatsbürgerschaft.

Zwar war die Auslegung des Vertrags (zwei sprachliche Versionen) von Anfang an umstritten – was u.a. zu den erwähnten Kriegen führte –, aber die Stellung der Maori als Staatsbürger war gegeben. Und das wirkt nach bis heute. Die rund 15% der neuseeländischen Einwohner mit Maori-Wurzeln sind selbstbewusst, die Kultur ist anerkannt. Widersprüche und Missverständnisse gibt es bis heute. Im Theaterstück, das wir in Melbourne gesehen haben, (s. Blogspot IV-1) sagt der Held des Stückes, seine englische Mutter sei ausserordentlich beeindruckt gewesen über die Grösse des Landes, das ihr Maori-Gatte sein Eigentum nannte, bis sie merkte, dass noch weitere 1500 Eigentümer des gleichen Landstückes existierten.

Wir werden der Maori-Linie weiter folgen.

Kulturspuren

Am nächsten Tag hatten wir weiter Kultur. Zuerst die berühmte Art Gallery, in der neuseeländische Kunst des 19., 20. und 21. Jahrhunderts gezeigt wird. Die Entwicklung ist eindrücklich, und auch hier wieder zeigte sich, dass die Kultur der Uhreinwohner selbstbewusst ist. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts gibt es starke Einflüsse in der modernen Kunst, die sich stärker von der europäischen abhebt als in Australien.

Am Nachmittag fuhren wir mit einer Fähre auf die Insel Waiheke, auf der ausgezeichneter Wein gemacht wird. Wir wanderten auf das Weingut Cable Bay, das einen sensationellen Blick auf das ferne Auckland hat. In der leicht nebligen Stimmung des gemischt regnerisch-sonnigen Tages kamen Lichtstimmungen auf, die an Turner-Bilder erinnerten. Die Trauben für den Pinot Noir und den Semillon Blanc kommen von der Südinsel (das Klima hier ist dafür nicht geeiget), der Wein wird, wie der von den hier wachsenden Pinot Gris und Shiraz, hier gekeltert.

Wie vornehm der Ort ist, merke ich erst auf der Toilette! Keine falschen Vorstellungen bitte! Es ist nur so, dass dort Zeitungsartikel hängen und ich lerne, dass vor einem Jahr hier ein Treffen von 7 europäischen Staatschefs mit gleichviel asiatischen stattgefunden hat, an dem auch Uno-Generalsekretär  Ban Ki Moon teilnahm. Ob die wohl ahnten, dass auch wir dahin kommen würden……?

Anschliessend assen wir in einem Restaurant eines kroatischen Ehepaars, das vor den Kriegswirren geflohen ist. Ausgezeichnet (assen wir).

 
 
 
 
 
Wo ist Elo?
 
 
 
Nach Norden

Heute sind wir nach Norden gefahren. Es wurde nicht wärmer, was es eigentlich sollte, und es wurde nicht trockener (was man von Neuseeland einfach nicht erwarten kann). Aber es ist  schön. Grün, gewellt bis ruppig, Aussichten auf die Küste zum Verlieben, Kühe und Schafe, blühende Bäume und Wiesen, kleine Orte mit Ruhe, Strand, seltenen Vögeln, kleinen Restaurants und schönen Unterkünften. Die Landschaft und die Naturstrassen sind oft wie im Hinterthurgau, nur dass hinter der Krete direkt das Meer ist.

Wir wohnen in einem kleinen Häuschen mit einer „sidigen“ Schlummermutter, haben den Strand zum Spazieren in der Nähe und das Restaurant mit guter Hammelkeule und feinem Tintenfisch (schon wieder) über die Strasse. Im Restaurant setzt sich die Wirtin mit ihrem Abendessen zu uns, und wir unterhalten uns bestens.

Am Nachmittag, vor unserem ersten Picknick in Neuseeland, waren wir noch im Thermalbad, mit Becken von 32, 36, 40 und 48 Grad. Das 48grädige Wasser allerdings liess ich mir nur über die Schultern laufen.

Schottische Odyssee

Heute sind wir der Küste entlang weiter nach Norden gefahren. In Whangarai haben wir die Haare schneiden lassen (der Friseuse aus Südafrika musste ich dreimal „kürzer“ sagen, bis sie mir glaubte – jetzt ist es kurz!). Die Preise sind fast wieder wie zuhause: zusammen 70 Franken, etwas mehr als die aus Australien gewohnten 30 bis 40. Dann habe ich ein Kabel erstanden und kann nun all unsere Musik vom iPod direkt auf das Radio spielen. Und das Auto ist ja nun wirklich nach dem Büssli und Jeb, die ganz schön rumpelten, viel leiser. Jetzt ist auch Klassik wieder möglich.

Auf dem Weg nach Whangarei kamen wir durch Waipu. Der grosse Friedhof reizte mich, und er war dann auch erstaunlich: alles Schotten, bis heute, die alten teilweise geboren in Nova Scotia in Kanada! Das Ortsmuseum klärte mich dann auf (Elo waren die 8$ Eintritt, ein Fünfliber, zu viel, aber es hat sich gelohnt): Ende de 18. Jahrhunderts haben die Engländer Schottland endgültig erobert. Sie unterdrückten Kultur (Kilt und Pipes (Dudelsack)) und Religion (Presbyterianismus), und die Clanchefs rissen sich das Land der Stämme unter den Nagel, was die Kleinbauern pauperisierte.
Schottische Abteilung













Maori-Abteilung




Eine richtige Auswanderungswelle brachte in drei Jahrzehnten 80'000 Schotten nach dem heutigen Kanada. Mitte des 19. Jahrhunderts führten Missernten unter anderem durch die Kartoffelfäule zu Not. Ein charismatischer Pfarrer führte eine ganze Glaubensgemeinschaft mit fünf (selbstgebauten) Schiffen nach 1851 zunächst nach Adelaide (kein Land), Melbourne (kein Geld, nur Goldrausch) und schliesslich über Auckland nach Waipu, wo sie endgültig siedelte. Bis 1907 wurde der Gottesdienst in Gälisch gehalten, und auch heute noch sind die Nachkommen stolz auf ihre Geschichte und Kultur. Schafe züchten auch sie.

Im ältesten Hotel, in der ältesten Beiz

Wir sind in Russell gelandet, einer Kleinstadt an der Bay of Islands. Sie liegt unweit vom heute unwichtigen Okiato, 1840/41 die erste Hauptstadt Neuseelands (vor Auckland und heute Wellington an der Cook Strait zwischen den beiden Inseln). Und das gemächliche, mit viel Charme geschützt am Meer liegende Russell selbst hat auch viel Geschichte: Hier ist das älteste Hotel Neuseelands, der Duke of Marlborough, das seit 1827 besteht und dessen Bar auch noch die älteste Alkohollizenz des Landes hat. Sie wurde kurz nach dem Vertrag von Waitangi erteilt und wird seither durchgehend genutzt. Das wäre auch bei uns ein stattliches Alter.
 
Und wir wohnen hier, denn die Uebernachtungspreise sind tragbar (110 Franken mit Frühstück). Das Haus am Hafen hat viel Atmosphäre. Ich sitze auf der durch Plastikvorhänge vor dem kalten Wind geschützten Terrasse, trinke ein Bier und schreibe. Und ich freue mich auf das Abendessen im stilvollen Lokal und dem Absacker in der klassischen Bar. Elo hat sich hingelegt und versucht, ihre starke Erkältung etwas zu kurieren.

Zuvor sind wir zum Fahnenenmast hochgelaufen. Dem ersten Australiens, der dann von den Maoris in den 40er-Jahren des 19. Jahrhunderts hintereinander drei- oder viermal umgelegt wurde, bis sich die beiden Völker etwas besser fanden. Der Blick auf die Bay ist atemberaubend.

Nordend

Wir sind ganz hochgefahren an die Nordspitze des Insellandes. Cape Reinga heisst der Punkt, wo der grosse Pazifik und die Tasmanische See (eigentlich auch ein Teil des Pazifiks) zusammenkommen und Winde und Strömungen die Szene beherrschen. Captain Cook hatte hier 1769 die grösste Mühe auf seiner Erkundung der Inseln. Auch wir spürten die Gewalt der Elemente, es hat uns fast umgeweht. Aber die Natur des Kaps, dessen weniger berühmter Nachbar eigentlich noch ein wenig weiter nördlich liegt, ist eindrücklich.

Schon die Anfahrt. Da geht es rauf und runter, vorbei an einsamen Farmhäusern, durch Wiesen und Weiden mit Kühen und Schafen, die das intensive Grün Neuseelands mit schwarzen und weissen Punkten versehen. Am Kap ragen vulkanische Riffe hoch über die See, die Brandung nagt unerbittlich am Felsen, Blüten grosser Agavenarten erfreuen das Auge, und grosse und kleine Vögel zeigen ihre Künste.
 

Von der Flut eingeschlossen

Am nächsten Tag schlagen uns die Betreiber der einfachen Unterkunft in Waitiki Landing vor, wir sollten doch über den Ninety Mile Beach (Neunzig Meilen Strand, der aber etwas kürzer ist) nach Süden fahren. Das sei ein reines Vergnügen, mit gegen 100 Sachen über den glatten Sand, zwischen den Dünen und der starken Brandung. Ich bin etwas skeptisch und frage nach der Zeit der Flut. Kein Problem, wir hätten massig Zeit, und mit einem Vierradantrieb könnte nichts passieren Letzteres stimmte dann ungefähr, wir haben es überstanden!



Aber der Reihe nach: Zuerst mussten wir nach einer Naturstrasse noch einige Kilometer zwischen hohen Sanddünen durch ein Flussbett fahren. Der Fluss führte wenig Wasser, kein Problem.
 
 
 
 
 
 
 
 
Dann waren wir am Strand, und es war wirklich ein eindrückliches Erlebnis und ein schönes Fahren. Brandung ist riesig. Kilometer um Kilometer rollen seitlich starke Wellen auf dich zu.

An einer Stelle, die zwischen steiler Düne und starker Brandung recht eng war, fragte ich mich, ob das mit der Zeitangabe für die Flut auch stimmte (wir sollten noch rund drei Stunden haben). Aber dann wurde es wieder weiter, wir genossen es – bis wir plötzlich nach etwa 20 Kilometern vor einem Felsriff standen, an dem es kein Beikommen mehr gab, zu hoch war schon das Wasser! Hier in der Nähe wäre eine Ausfahrt zur Hauptstrasse gewesen, die wir nehmen wollten.

Eine Sandauffahrt, eine Art Weg, versuchte ich, blieb aber oben stecken und konnte mich dank Vierradantrieb und Differentialsperre mit Hin- und Herschaukeln wider nach unten bewegen. Also zurück. Aber da war die Enge, und ich hatte Angst, dort wieder nicht durchzukommen und dann plötzlich hinten und vorne blockiert zu sein, und das Wasser kommt höher und höher, du bist drin und wirst überspült. Die Vorstellung war sehr ungemütlich! Ich ging das Risiko nicht ein.

5 Stunden Warten

Ich beschloss, einen Punkt zu suchen, der sicher über der höchsten Flut lag. Das war bei der Mündung eines grösseren Bachs möglich, wir fuhren ihm entlang landeinwärts und dort auf eine Düne, von der aus wir die Brandung sehen konnten. Ich wendete – mit einiger Mühe und einigem Ruckeln – und dann sassen wir da. Der einzige Trost: auf die Flut folgt die Ebbe.

Elo schlief fast zwei Stunden, was ihrer Erkältung gut tat, und sie ging auch zweimal an den Strand spazieren, durchlüften war nur der Vorname. Ich habe das Auto nicht verlassen und mit dem Feldstecher das Steigen der Flut, den Höhepunkt und das langsame Absinken beobachtet. Nach knapp vier Stunden war ich der Ansicht, es sei nun gut, und wir fuhren los. Aber oha.

Nach rund einem Kilometer stellte ich fest, dass der Sand oben am Rand noch zu weich war, und unten die Wellen noch zu weit rein kamen. Ich hielt halbschräg am oberen Rand der Dünung an, die Wellen donnerten und rauschten auf uns zu, und manchmal umspülten sie auch noch die unteren Räder.




Da hingen wir drin




Wir warteten nochmals eine Stunde, eine Zeit, die viel Disziplin von mir erforderte, denn zu frühes Abfahren hätte verheerende Folgen haben können: Einmal eingesunken, bist du erledigt!

Ende gut, alles gut
Aber es ging dann gut. Ich stellte fest, dass es dort am besten ist, wo das Wasser gerade noch hinkommt. Wir kamen zum Fluss, dessen Bett hoch – und endlich wieder auf eine Strasse. Ich fragte Elo., ob sie gehört habe, wie mir der Stein vom Herzen geplumpst ist, als wir im sicheren Bachbett waren.

Eine gute Seite hatte die Sache: Als ich im Auto zur Ablenkung etwas lesen wollte, merkte ich, dass ich mein elektronisches Buch und meine Lesebrille in der Unterkunft vergessen hatte. Weil wir ja zurückfuhren, konnte ich die Sachen gleich wieder abholen.

Freimaurer-Hotel

Der Tag hatte dann einen sehr schönen Abschluss. Wir fuhren noch bis Rawene, das wir mit einer Fähre über den weit ins Landesinnere ausgreifenden Meeresarm Hokianga Harbour erreichten. Rawene ist die drittälteste Siedlung in Neuseeland, und es war zur Zeit des Kauribooms (s.u.) eine recht grosse Stadt. Heute ist es ein etwas schläfriges Nest, mit sehr freundlichen Einwohnern und einem romantischen Hotel. Es heisst Masonic Hotel (Freimaurer-Hotel). Das Haus sollte zuerst eine Freimaurerloge werden, aber als die Freimaurer den Bau nicht bezahlen konnten, wandelte es der Baumeister kurz entschlossen in ein Hotel um. Und das ist es seit 1879 geblieben, und damit ist die Barlizenz auch hier eine der ältesten des Landes. ¨

Wir scheinen das zu suchen, aber es ist Zufall, wir fragten auf der Fähre einfach nach einem Hotel, und es war das einzige, und es war sieben Uhr, und wir hatten Hunger, und wir waren müde – und das Masonic Hotel hat uns vom ersten Moment, als wir es betreten haben, gefallen. Im Pub war etwas los. Da wurde gesungen zu Gitarren- und Uklulele-Begleitung, da wurde Billiard gespielt, da liefen Spielautomaten. Und alle waren sofort freundlich zu uns, sagten, wo wir nach Zimmern fragen sollten usw.

Der Wirt entschuldigte sich, das Hotel sei wirklich sehr alt, und vieles nicht mehr so ganz im Schuss, aber sauber sei alles (da hatte er recht), und gemütlich auch (auch da hatte er recht). Das Zimmer war einfach, Bad und WC auf dem Gang, aber als einzige Gäste störte uns das nicht, müssen wir doch auch zuhause aus dem Schlafzimmer aufs WC und mussten wir doch in Australien ein Jahr lang zuerst ins Freie. Und die Küche war gut, der Wein in Ordnung.







Sing Out und Poolbillard
Und dann die Bar. Wir genehmigten uns nach dem Essen noch etwas Wein am Tresen neben dem Billardtisch. Und wir waren sofort Teil der Gemeinschaft. Mitsingen konnten wir nicht, denn es wären englische Texte gefordert gewesen. Ausserdem war die Qualität des Gesangs sehr gemischt. Laut war es immer, aber manchmal war die Melodie nur der Spur nach zu ergründen, da ging zu viel durcheinander. Gut waren die Instrumente, und als sie dann mal auf rockigen Blues umstellten, war es ausgezeichnet. Aber nur vorübergehend.

Ein ehemaliger Holländer der hier hängen geblieben ist, erklärte uns, Freitag Abend sei hier immer viel los, und das Sing Out gehöre zum festen Programm. Der kleine Kapitän der Fähre wollte mich zum Billardspielen überreden, und je länger der Abend umso mehr. Irgendwie muss der Alkohol, dem sie nicht allzu bescheiden zusprachen, jeweils wieder eine Informationsschicht überdeckt haben. Gegen zwölf fragten sie mich im Viertelstundenrhythmus nach meinem Namen, meiner Herkunft und meinen Billardkenntnissen. Und wollten mich selbstverständlich auf die Tafel mit den nächsten Spielgruppen aufschreiben.

Eindrücklich war, wir sie miteinander umgingen. Junge und Alte, Frauen und Männer, Angehörige der verschiedensten Berufsstände. Sie neckten sich liebevoll, wenn auch nicht immer zurückhaltend, freuten sich über den Gewinn eines Spiels, egal ob es ihr Gewinn war oder der der Mitspieler (hier gab es keine Gegner), sie waren laut bis sehr laut, aber immer friedlich. Wir nahmen ihnen ab, dass sie gerne in Rawene lebten.

 Blick aus dem Zimmer

Das Frühstück nahmen wir auf der Terrasse eines Cafés unten am Hafen ein. Der Wirt hatte gemeint, ihm sei das zu früh, die Frauen da unten würden das sehr gut machen. Was stimmte.

 

 
 
 
 
 
 
Baumriesen

Auf der Fahrt nach Süden kamen wir nach immer wieder schönen Küstenpassagen ins Land der Baumriesen, der Kauri. Die Kauri, von denen es Arten auch in anderen Regionen gibt, (wir haben sie in Queensland und im Süden Westaustraliens gesehen), stammen aus der geologischen Zeit des Jura (vor rund 150 bis 200 Millionen Jahren) und sind alte Formen von Kiefern (Früchte sind Zapfen). Sie machen riesige Stämme mit über 15 Metern Durchmesser und bis zu 250 m3 Holz, und die ältesten, die heute noch stehen, sind über 1500 Jahre alt. Wenn sie verletzt werden, produzieren sie grosse Mengen von Harz.

Die Kauri wurden im 19. und 20. Jahrhundert abgeholzt, das Holz ging nach Australien. Das von uns besuchte Rawene erlebte zu dieser Zeit seinen Boom, denn hier wurde das Holz verschifft.




Aber es gibt noch einen anderen Ast der Kauri-Geschichte. Weiter im Norden, in der Gegend von Houhora, fielen vor 50'000 und mehr Jahren mehrer Kauriwälder Naturkatastrophen nicht genau definierter Art zum Opfer. Die Bäume fielen um und sie wurden von Wasser und Sumpf überspült. Der Cocktail von Sumpfpflanzen konservierte sie ausgezeichnet. Das Harz versteinerte teilweise und bildete Bernstein, oder es blieb in einer Form erhalten, die es als Grundstoff für die verschiedensten Produkte von Feueranzünder und Kaugummi der Ureinwohner bis hin zum Lack der Engländer wertvoll werden liess.

Es entstand ein eigentliches Gewerbe, die Suche nach Gum, wie die Harz- und Bernsteinknollen hier genannt werden. Zuerst wurden die Harzknollen an der Oberflläche gesammelt, dann aber immer mehr die Knollen der im Sumpf verschwundenen Wälder. Wir besuchten ein Museum. Das Gewerbe war hart, die Arbeit im Sumpf beschwerlich. Die Sucher stiessen auch auf die konservierten Stämme, die heute teilweise ausgegraben und für Kunstgewerbe genutzt werden.
 
 
 
Es ist eindrücklich, 100'000 Jahre alte Stämme zu sehen oder einen Pfannenuntersatz von 45’000-jährigem Holz kaufen zu können.

 

 
 
 
 
 
 
 
 
 
Elo im alten Holz
 
 
Zum Schluss noch ein Bild von den freundlichen Neuseeländern (die Eltern waren genauso zutraulich!):


21.10.2012 / JB.

Sonntag, 14. Oktober 2012

IV-0 Nach Neuseeland

(Der erste Teil dieses Textes entsteht noch in Australien, und zwar mitten in der Nacht, der letzten in diesem Land. Wir sind in einem Hotel, und ich kann nicht schlafen, bin ich nach wenigen Stunden hellwach. Ich habe, so komisch das nach all der bisherigen Reiserei scheinen mag, ich habe – Reisefieber! Nach der australischen Routine kommt nun mit Neuseeland, Südsee, Hawaii und Kontinental-USA wieder etwas völlig Neues, das mich gespannt die Dinge erwarten lässt, die uns da passieren werden. Passieren ist hier im doppelten Wortsinn gemeint: geschehen und an uns vorbeigehen. Ich schreibe den Text auf dem WC, denn Elo schläft den Schlaf der Gerechten, und das Hotel ist zwar zweckmässig, aber doch so einfach, dass es nur ein grosses Licht im Zimmer hat, das sie wecken würde.)

Der richtige Weg

Wir haben den letzten Tag in der Stadt genossen. Beim letzten Abendessen – bei einem guten Italiener – lassen wir das Jahr nochmals etwas Revue passieren. Wir hatten ein sehr gutes Jahr! Wie wir gereist sind, war genau der richtige Weg. Mit Jeb, dem Wohnmobil, durch die Weiten zu tingeln, hat uns Einblicke ermöglicht, die wir mit Hotelübernachtungen niemals hätten haben können.

Dass wir über die Campingplätze an Orte gekommen sind, die wir sonst nicht in dieser Eindringlichkeit gesehen und erlebt hätten, ist nur das Eine, auch wenn es sehr wichtig ist. Wichtiger aber war, dass wir auf diesen Plätzen mit den Australierinnen und Australiern – ich verwende diese Doppelform hier sehr bewusst – aller Schichten in Kontakt gekommen sind, zwar oft kurz nur, aber doch intensiv. Meist waren es Graue Nomaden wie wir, viele Bauern, Lastwagenunternehmer, Bürolisten, Lehrer, Beamte, Minenarbeiter usw. usf.

Ich bin jeweils zu den Campingnachbarn hingegangen, habe sie mit einem „G’day, how are ye?“ und immer mit einem „where are ye from?“ begrüsst, was zur gegenseitigen Vorstellung („Joe, Sandra“ ihrerseits, „George (einfacher als Jürg), Elo“ unsererseits führte, und das Gespräch war lanciert, der Schnack, wie die Norddeutschen sagen, war am Laufen. Unterstützt wurde das von der Vorliebe der Australier, Gespräche zu führen über Gott und die Welt (ihre Welt, versteht sich), oft so ausdauernd, dass es uns fast zu viel wurde. (Eine Bemerkung von mir, Elo, sei erlaubt, Jürg hat auch genug geredet). Und sie waren immer offen, haben alle Fragen beantwortet. Auch an der Grillstelle oder am gemeinsamen Campingfeuer wurden Erfahrungen ausgetauscht und Geschichten erzählt

(Ich habe das von meinem Grossvater Kaspar gelernt, der im Alter vor dem Haus sass und die Vorübergehenden fragte: „Wer seid Ihr? Woher kommt Ihr? Was tut Ihr? Wohin geht Ihr?“ und so viel erfahren hat.) Auch wir haben so viel erfahren, und wir lernten die Denk- und Lebensweise der Bevölkerung aller Schichten und Alter kennen. Denn es waren nicht nur graue Nomaden, es waren auch Junge, Familien mit Kindern, Einzelgänger und ganze Gruppen. Das ermöglichte uns gegen den Schluss dann auch, mit z.B. der Garderobière in der Ian Potter-Sammlung des National Museums of Victoria in ein längeres Gespräch zu kommen, sodass sie uns schon von weitem anstrahlte, als wir unsere Sachen wieder abholten. Und ein freundliches „thank ye, maite“ meinerseits im Wollies (Woolworth) führte durchaus auch mal zu einem „so easy, buddy“.

Also: wir können diesen Einstieg ins Land nur empfehlen.

Theatraler Uebergang

Neuseeland begann eigentlich schon mit dem wirklich letzten Erlebnis in Australien. Zur Zeit findet das Melbourne Festival statt, mit Musik, Film und Theater. Wir kauften uns Karten für eine Première eines neuseeländischen Theaters im Kellertheater „fortyfivedownstairs“ (45 Kellergeschoss, im Haus 45 Flinders Lane). Angekündigt war eine Aufführung eines Stücks mit Maori-Einschlag, mit Elementen der Neuseeländischen Ureinwohnern also. Thema: Vietnamsoldat.Truppe: Taki Rua Productions (Aotearoa/ New Zealand’s national Māori theatre company, www.takirua.co.nz). Es war einmalig gut.

Das Stück Michael James Mania von John Broughton, war eher banal, bot das, was beim Thema zu erwarten war. Es war die Darstellung der Biografie des Helden und einzigen Darstellers vom Kind einer englischen Mutter und eines Maori-Vaters bis hin zum Agent Orange verseuchten Heimkehrer aus Vietnam, dessen Dioxin-Vergiftung ihn nur ein Monsterkind zeugen lässt, das er aus Mitleid tötet. Komische und tragische Elemente waren recht geschickt gemischt. Die Regie war perfekt, die Lichtführung ausserordentlich. Aber die Hauptsache war der Schauspieler.

Te Kohe Tuhakaa beherrschte eineinhalb Stunden die Bühne von A bis Z, sowohl sprachlich, vor allem aber physisch. Ich habe noch nie eine solche Bühnenpräsenz gesehen. Seine Köpersprache, seine Gestik, der Gesichtsausdruck, seine räumliche Aufteilung der spärlichst eingerichteten Szene, der Wechsel von laut und leise, schnell und langsam, all das war perfekt. Dabei nutzte er die Formensprache seiner Vorfahren – er ist wohl ein Gemisch – und brachte so Elemente in die Darstellung, die wir noch nie gesehen hatten. Wie gut er war, sahen wir auch, als wir nach der Aufführung mit ihm kurz sprachen. Er war fast nicht wiederzuerkennen, nichts mehr von der kompakten, muskulösen Figur, dem eindringlichen Blick, von der Aggressivität und vom Leid, das er auf der Bühne abrufen konnte. Bescheiden und freundlich.

Jetzt sind wir auf dem Flughafen und warten auf das – verspätete – Gefährt der Emirates Airlines.

Rumpelflug

Der Flug war nicht gut. Zuerst hatten wir über eine Stunde Verspätung, und nachdem wir schon um halb sechs aufgestanden waren, um auch zur Zeit am Flughafen zu sein, war das eigentlich unnütz. Wir hatten denn auch ganz schön Hunger, aber das Essen liess auch auf sich warten. Ueberhaupt war der Service nicht so, wie wir uns von den Emirates Airlines gewöhnt waren und wie der Ruf dieser Fluglinie vorangeht.

Und dann das Wetter. Als wir uns Neuseeland näherten, wurde bekannt gegeben, es sei windig, und wir würden vielleicht nach Christchurch (auf der der Südinsel!, wo wir doch in Auckland auf der Nordinsel schon Hotel und Auto gemietet hatten) umgeleitet. Aber dann hat der Wind etwas nachgelassen, und wir konnten landen. Allerdings hat es die grosse Airbusmaschine (380er-Typ) völlig durchgerüttelt. Sie schwankte von einer Seite der Landebahn, auf die andere.

Wie stark der Sturm war, erfuhren wir erst in der Stadt, nachdem wir das Auto, einen mittelgrossen 4x4 von Toyota, übernommen und zum Hotel gefahren hatten. Der Gepäckboy erzählte Elo, der Sturm hätte am Morgen das Mobiliar von Strassencafés vor sich hergetrieben. Und als wir am Abend zum Essen gingen, hat es uns buchstäblich fast fortgeweht. Wir nahmen daher Apéro, Essen und Absacker in der nächsten Umgebung, was gut geht, da das Hotel direkt an den Piers der Fähren und des Yachthafens liegt. Jetzt hat sich das Wetter beruhigt.

Abspecken

Wir sind also wieder mit einem normalen Auto unterwegs, übernachten in Hotels, Bed&Breakfasts, Motels oder Bungalows von Zeltplätzen, essen in Restaurants. Da hatten wir es in Australien mit Jeb doch besser. Wir hatten

-          Auto
-          Wohnzimmer
-          Schlafzimmer
-          Küche
-          Bad
-          Gastzimmer
-          WC
-          Vorratsraum
-          Weinkeller
-          Aussensitzplatz
-          Abwaschmaschine (Elo)
-          Köchin (Elo)
-          Grillchef (Jürg)
-     Putztruppe
-          Chauffeur (meist Jürg, oft Elo)
-          Servicemonteur (Jürg)

Wir specken also ab, aber es geht uns trotzdem sehr gut.
 
 

14.10.2012 / JB. (mit Input von EB)

Mittwoch, 10. Oktober 2012

3-23 Australien im Rückspiegel

Am 13. Oktober, 0810h verlassen wir Australien in Richtung Auckland, Neuseeland, nach 320 Tagen Aufenthalt. Es ist Zeit, ein Resumé zu ziehen. Wie beim Auto im Rückspiegel ist es auch hier: alles ist etwas verkleinert, komprimiert. Aber dafür wird der Blick auf das Wesentliche gerichtet, das für uns Wesentliche.

Elo und Jürg 11.10.12
 

Zuerst aber noch ein Reisebericht-PS.:

Melbourne – genauer hingesehen

Wir haben eine knappe Woche in Werribee für den Besuch bei Cousin Peter und die Abwicklung der Bankgeschäfte. Das benutzen wir, um Melbourne nochmals genauer anzusehen. Und erst auf diesen zweiten Blick erschliesst sich uns der Reiz dieser Stadt. Im CBC (s.u.) gibt es stimmungsvolle Einkaufspassagen mit alter Dekoration, mit guten Cafés und kleineren Geschäften. Direkt neben dem CBD liegt der Hauptbahnhof, die Flinders Station, von dem aus lokale Züge in alle Richtungen abgehen. Er ist am Yarra River gelegen, und um ihn herum gibt es eine ganze Reihe von kulturellen Institutionen.

Der Federation Square ist modern überbaut mit Museen, Tagungsräumen und Cafés und lockt bei gutem Wetter viele Besucher an. In den Gebäuden ist die Ian Potter Collection für zeitgenössische Kunst. Ueber dem Fluss liegen die Konzerthalle und das National Museum of Victoria mit einer grossen Bilder-, Skulpturen- und Kunsthandwerksammlung, einer eindrücklichen Art Déco Collection (Jugendstil) und spannenden Wechselausstellungen. Zur Zeit läuft eine über die Apokalyptischen Reiter des ausgehenden Mittelalters und der Renaissance, in der Dürer-Stiche in grossen Zahl zu sehen sind. Im Garten des burgähnlichen Gebäudes (gute Architektur)- das an eine chinesische Festung erinnert - steht eine schöne Balzac-Plastik von Rodin.


Wir geniessen es, am Abend in der Stadt zu sein. Mit dem Wohnmobil waren wir immer ausserhalb stationiert. Nach einem guten Nachtessen auf der Promenade des Südufers gehen wir in der Hamer Hall in ein Barockkonzert des National Chamber Orchestra. Wir haben schöne Plätze im ersten Rang der Estrade, und die Halle hat eine sehr gute Akustik. Die Musik der klaren, durchsichtigen Arrangements kommt fast in einzelnen Tönen zu uns herauf, jede Stimme ist klar erkennbar und erst im Kopf und in den Sinnen setzen sich die Melodien von Corelli, Bach, Haendel, Mozart, Telemann und Konsorten zu wunderschöner Musik zusammen. Die Akustik ist so gut, dass – ich kann mir nicht helfen – auch die Gerüche fast überdeutlich wahrgenommen werden und  wenn der Hintermann das Schnupftuch herauszieht, ich deutlich rieche, dass er Raucher ist.

Am Abend vor der Abreise werden wir noch ins Theater gehen, in ein Kleintheater mit einem neuseeländischen Stück, das Maori-Elemente einzubauen verspricht.
 

Aber nun zum Rückblick:

Es gibt eine Karte, die die Umrisse des australischen Kontinents zeigt, worin ganz Europa Platz fände und immer noch Raum für andere Länder wäre. „We are so large that we could easily swallow Europe!“ – so könnte man die Botschaft verstehen. Wir können dem leicht erwidern, welche Vielfalt an Menschen, Sprachen und Kulturen in diesem Europa leben, wie viel Geschichte sich hier vollzog, welch grossartige Monumente davon zeugen. „Wir sind so alt und vielfältig, dass wir Australien leicht schlucken könnten“  - sind wir manchmal versucht zu erwidern. So viel Natur und so wenig Kultur!

Australien ist gross. Anfangs hat uns die schiere Grösse erschlagen. Wie sollen wir eine Reise planen in einem Land, das von Osten nach Westen und von Norden nach Süden Tausende von Kilometern weit ist, ein Land, dessen Zentrum aus riesigen Wüsten besteht, ein Land, in dem uns ein Mann sagt, er lebe in Perth, wobei es sich dann beim Nachfragen herausstellt, dass er 300 Kilometer in die Stadt zu fahren hat. Als wir ihm erklären, da wäre er dann so ungefähr durch die Schweiz hindurch gefahren, findet er das erstaunlich und amüsant. Alles ist gross: die Fahrdistanzen, die Flächenausdehnung der Siedlungen, die Küstenlinien, die Staaten, das Selbstbewusstsein der Einwohner (wobei uns hier der Verdacht kommt, das könnte auch ein überdeckter Minderwertigkeitskomplex sein).

Viel Natur, wenig Kultur
Doch Australien ist nicht so einheitlich wie es scheint. Die Bundesstaaten – New South Wales, Victoria, South Australia, Western Australia, Queensland, Tasmanien sowie das Northern Territory und der Distrikt der Hauptstadt Canberra – sind recht unabhängig. Die Menschen fühlen sich in erster Linie ihrer lokalen und regionalen Umgebung, ihrem Staat verbunden. Sie sind Patrioten, stolz (manchmal zu stolz) auf ihr Land, in dem sie alles als „histrorisch“ bezeichnen, was älter als 30 Jahre ist. Obwohl die Mobilität der Australier gross ist – ständig werden Häuser gekauft und verkauft, wird der Job gewechselt, zieht man von einem Platz zum andern – ist alles sehr lokal ausgerichtet, angefangen von den Zeitungen (die für jemanden, der aus dem Nachbar-Shire kommt, schon nicht mehr zu verstehen sind), über die TV-Nachrichten, die sich lediglich mit Geschehnissen in der näheren Umgebung beschäftigen, bis zum Denkhorizont, der nicht über den nächsten Hügel reicht.

Aber viele Australier sind auch weit gereist. Wer in der Schweiz war, hat Luzern besucht und ist auf den Pilatus gefahren, Kreuzfahrten auf Rhein, Main und Donau sind das neueste „must do“. In Bern war fast keine(r).

Lechts und Rinks
Alles ist verkehrtrum in Australien: Die Autos fahren auf der falschen Seite, was wir schnell raus haben, beim Ueberqueren der Strasse kommen sie daher von rechts, statt von links, an was wir uns nur schwer gewöhnen, der Mond nimmt auf der falschen Seite zu und ab, die Sonne steht am Mittag im Norden, nach Süden wird es kalt, nach Norden warm, das Wasser läuft andersrum den Ablauf hinab, als bei uns, das Sternbild Orion steht auf dem Kopf.

Und dann die Sprache. Ist das wirklich Englisch, fragen wir uns am Anfang oft. Und auch wenn wir uns langsam ganz gut an das Gemusel gewöhnt haben, so stossen wir doch auch jetzt noch immer wieder mal auf ein Exemplar, das sich einer Sprachgattung bedient, die uns fast völlig unverständlich ist. Statt „ai“(I, ich) heisst es „oi“, statt „nait“ (night, Nacht) „noit“ und statt „wail“ (while, Weile) „woil“. Und wenn ich dem Kapitän eines Fischerschiffs erzählen will, dass ich mit den Walhaien geschwommen bin, so versteht er mein „Walesharks“ in der Aussprache „Weilschark“ nicht, und erst als ich buchstabiere, meint er anerkennend „o, Wailscharks“. Und überhaupt mit dem Buchstabieren: Mit e, i, a komme ich immer noch nicht klar, wenn sie von Einheimischen kommen: Wir sind gewöhnt für e in Englisch i, zu sagen, für i kommt ai, für a kommt ei. Bei ihnen ist es völlig unterschiedlich, „ai“, „oi“, „ei“ oder sonst was, und das h ist dann erst noch ein „haitsch“. Verstehe, wer will.

Von Aussies und Mossies
Hinzu kommt die Abkürzugswut. Alles ist zu lang oder wird durch Abkürzungen zum vertrauten Begriff. Das beginnt beim Gruss G’day für Good Day. Hryou – How are you oder wie geht es ?, ist der übliche Gruss. Moskitos sind Mossies, Australier Aussies, Tasmanier Tassies. CBD (central business district) ist das Stadtzentrum auch in kleinen Käffern, der Fernseher heisst Telly, der Generator Genny, das Nutzfahrzeug Ute (für utility), die Kreditkarte EFPOS (Electronic Payment Organization(?) System). Crocs sind Krokodile, sweeties sind Süsswasserkrokodile, salties Salzwasserkrokodile. Der Bus zum Flughafen fährt von der RSL (Returned Soldiers Leage Klub). BYO schreiben sie und sagen sie für „bring your own“, wenn du den Wein selbst mitbringen musst im (nicht für alkoholische Getränke lizensierten ) Restaurant oder das Holz für die Feuerstelle im Campingplatz. Und auf den Strassenschildern steht Ct für Court, Trc für Terrace, St für Strasse, Ave für Avenue, Pde für Parade, Lne für Lane, Dr für Drive.

Black and White
Je weiter wir nach Norden reisten, umso mehr wurde uns bewusst, dass Australien auch aus zwei Nationen besteht, jener der Blackfellows und jener der Whitefellows Oder politically correct: Aborigines und weisse Australier. Die Letzteren haben den Ersteren viel Leid zugefügt, sich deren Gebiete angeeignet, ihre Lebensart und Kultur fast zerstört, ihre Kinder gestohlen… Aus schlechtem Gewissen wollen die Weissen nun Gutes tun. Aber sie machen das Falsche: Die Regierung gibt den Aborigines Landrechte und Geld als Entschädigung für die Betreibung von Mienen, befreit sie von Steuern usw. So verbleiben viele Aborigine-Communities in Abhängigkeit, sehen wenig Notwendigkeit, etwas Eigenes zu entwickeln, ihre Kinder auszubilden. Ihre Kultur wird nicht selten museal präsentiert, Aborigine-Dysneyland.

Die Aborigines sind stolz auf ihre 40 000 Jahre alte Kultur. Zum Teil grossartige Felsmalereien zeugen davon. Aber bis die Weissen kamen, waren sie Jäger und Sammler, es war immer alles im Überfluss vorhanden, so dass sie weder Ackerbau betreiben mussten noch Vorräte anlegen. Sie lebten z.B. im Regenwald, wo sie die Pflanzen und Tiere nutzten für Nahrung, Kleidung, Medizin, zur Herstellung der wenigen Werkzeuge, die sie brauchten. Der Regenwald ist der grösste Supermarkt, die beste Apotheke und der vielfältigste Hardwarestore für die Menschen, die dort leben. In der Wüste hingegen ging es vor allem darum, Wasser zu finden.

So sind sie an der Schwelle zur Neusteinzeit stehen geblieben. Es gab keinen Grund, Landwirtschaft und Viehzucht mit Vorratshaltung, die Voraussetzung für Arbeitsteilung und weitere Stufen von Zivilisation und Gesellschaft, zu entwickeln: Alles ist im Ueberfluss vorhanden, es muss nur eingesammelt werden. Und diese Haltung scheint die Gemeinschaften immer noch weitgehend zu prägen. Nur dass neben der Natur jetzt auch die weisse Gesellschaft Australiens als Selbstbedienungsladen zur Verfügung steht.

Die wenigen Communities, die wir gesehen  haben, stimmen uns fast alle traurig: slumartige Häuser, Abfallhaufen überall, Autowracks, die Leute hängen teilnahmslos herum. Die Kinder gehen nicht zur Schule, die Väter und Mütter saufen, Gewalt in der Familie, Kindsmissbrauch. Manche Communities aber sind stark genug – oder haben gute „Lehrer“ –, um dies zu ändern. Sie bauen, wie in Mossman-Gorge, eine touristische Infrastruktur auf, die Jobs schafft, die Menschen unabhängig und zuversichtlich macht. In Laura hingegen, wo die Felsmalereien von der Aborigine-Community torutistisch vermarktet werden, nimmt man zwar gern das Geld der Touristen, vernachlässigt aber die Infrastruktur. Einigermassen saubere Toiletten wären aber auch eine Art Kultur!

Dots und Didgeridoos
DIE Aborigines gibt es eigentlich nicht. Auf dem australischen Territorium leben zahlreiche verschiedene Stämme mit eigenen Gebieten, eigener Sprache, und je nach ihrer Umgebung mit unterschiedlichen Kulturen. So finden sich die berühmten Gemälde mit Punkten (dots) nur im Innern, nicht aber im Norden Australiens – weil im Regenwald aus den Fasern einer Pflanze Pinsel hergestellt werden konnten, im wüstenähnlichen Outback hingegen die Farbe mit einem Stock aufgetragen wurde. Auch das Blasinstrument Didgeridoo ist nicht unter allen Aborigine-Stämmen verbreitet, weil zu seiner Herstellung die Zweige eines bestimmten Baumes erforderlich sind. Anscheinend wurde in begrenztem Rahmen Handel betrieben, aber die Stämme waren nach Familien und Klans organisiert – mit sehr komplexen Familienstrukturen. Diese segmentären Strukturen kamen zwar ohne Hierarchien und Herrschaftsstrukturen aus, aber eben auch ohne Arbeitsteilung als Grundlage weiterer Entwicklung.

Und vor etwa 250 Jahren begannen die Weissen Australien zu kolonisieren. Nach und nach drangen sie ins Landesinnere vor, gründeten ihre riesigen Farmen für Viehzucht und  Getreideanbau, verdrängten die ursprünglichen Bewohner. Aber zur Arbeit einspannen liessen sich die wenigsten Aborigines. Um verlässliche Ansprechpartner zu haben (mit wem sollen Vereinbarungen getroffen werden, wenn die Person immer noch zuerst die anderen fragen muss?), wurden Aelteste benannt, mit pompösen Blechschildern wie für Feldjäger in der deutschen Armee behängt, und so die Grundstruktur der traditionellen Gesellschaft zerschlagen. Daran leiden die Stämme heute noch, denn es gibt keine richtige gemeinschaftliche Verantwortung mehr.

Die weisse Geschichte Australiens ist erst 250 Jahre alt. Aber jedes Dorf hat eine „heritage site“, ein paar alte Häuser, ein kleines Museum, in dem pathetisch einfach alles zusammengetragen wir, was Staub angesetzt hat und nicht mehr funktioniert, und das Gerichtsgebäude mit Gefängnis, meist aus dem frühen 20. Jahrhundert. Doch dann finden wir plötzlich Überraschendes wie das Museum in Nullarbour-Roadhouse von Balladonia mit seiner Darstellung des Lebens der Pioniere oder in Cloncurry, wo die Geschichte der Fliegenden Ärzte begann. Inzwischen ist das angelsächsische Erbe vermischt mit Asiatischem. Und wie bei uns herrscht die Angst vor dem Vordringen des Islam.

Auf grosse Religiosität sind wir in Australien nicht gestossen, viele Menschen bezeichnen sich als nicht religiös. Nur in New England und anderen Gebieten früher Siedler gibt es viele Kirchen, anglikanische, katholische, wenige lutheranische, presberytanische, baptistische usw. Hin und wieder sieht man mal einen Tempel der Zeugen Jehovas. Wer im Outback am Sonntag in die Kirche gehen will, muss weite Entfernungen zurücklegen. Und so merkt man denn auch kaum, ob werktags oder sonntags ist. Die Geschäfte sind offen, die  bis zu 55 Meter langen Roadtrains mit bis zu vier Anhängern sind tags und nachts unterwegs.

From Nothing to Nowhere
Endlos ziehen sich die Strassen dahin, hunderte, ja tausende von Kilometern. Entfernungen zählen nicht, mit dem Auto ist jeder Ort erreichbar. Ausser in der Regenzeit, wenn  grosse Gebiete im Norden überflutet sind. Und jeder fährt, als sei er allein auf der Strasse.

So much nothing to get nowhere, soviel Nichts um nach Nirgendwo zu kommen. Die Einsamkeit und Isoliertheit – nicht nur im outback – hat uns trotz der Weite der Landschaft eingeengt, oft fast erdrückt. Man fühlt sich gefangen in der Weite. Als wir die Grenze zwischen Südaustralien und Western Australia passieren, müssen wir alles Obst und Gemüse abgeben. Macht nichts, denken wir uns, als wir den letzten Apfel essen, nach der Grenze können wir einkaufen. Ein Schild warb denn auch für den nächsten Supermarkt in Norseman. Nichts wie hin. Der Weg führte 800 Kilometer (davon 150 km schnurgerade) durch die Wüste.

Aehnlich der Schweiz, wo fast jeder glaubt, noch eng mit den bäuerlichen Vorfahren verbunden zu sein, fühlt sich irgendwie jeder Australier als Stockman (Cowboy) oder Squatter (Farmer). Pioniere allesamt, mit verkrumpeltem breitkrempigem Hut, breitem Gurt, wiegendem Schritt fast explodierend vor Kraft und Zähigkeit – auch wenn der Bauch oft in Richtung Kniegegend schwappt. Das äussert sich selbst im Lebensstil der Städter: Man trägt bei allen Temperaturen Shorts und T-Shirt, man hat immer Zeit für einen – z.T. endlosen – Schwatz. Aber die Leute sind hilfsbereit und freundlich, neugierig, unkompliziert, offen, lachend, kinderfreundlich.

Die Mehrheit der 22 Millionen Australier lebt jedoch in Städten (haben das seit über hundert Jahren getan!), in den grossen Städten Sydney, Melbourne, Brisbane, Perth, Adelaide. Die Zentren  dieser Städte sind oft relativ klein, die Wohngebiete, praktisch ausschliesslich einstöckige Bungalows, breiten sich in alle Richtungen aus und bilden riesige Agglomerationen. Die Städte haben alle viele schöne Parks, gute botanische Gärten, Rad-und Spazierwege, Fluss- und Meerespromenaden. Wenige Mittelstädte wie Hobart, Cairns und Darwin entwickeln sich in die gleiche Richtung.

Provinz, Provinz, Provinz
Am Rande der Agglomerationen gibt es an sich grosse Städte wie Werribee wo wir bei Cousin Peter wohnen. Hunderttausend und mehr Einwohner, eine Einkaufsstrasse, ein grosses Einkaufszentrum, ein Bahnhof, kein Gesicht. Und Riesenflächen von Wohnstrassen, in denen wir uns immer noch verlaufen.

Im Norden sind die Mittelstädte eher trostlos, in Mienengegenden z.B. rein auf die Ausbeutung der umgebenden Natur und die Ausbeutung der diese Natur ausbeutenden Arbeiter ausgerichtet.

Dann sind da die kleineren Orte, regionale Versorgungszentren, auch sie bestehend aus der Mainstreet, einem Einkaufszentrum, einer Tankstelle, Hardwarestores, Anbietern von „preowned cars“. Provinz, wo immer man hinkommt. Aber es gibt auch positive Ueberraschungen wie die Universitätsstadt Armidale im Hochland von New South Wales mit viel Atmosphäre und guter Substanz, oder Maitland am Rande des Hunter Valleys, das an norddeutsche Mittelstädte erinnert.

Und schliesslich die Orte, die zwar auf der Karte eingezeichnet sind, die wir aber beim Durchfahren überhaupt nicht wahrnehmen, abgesehen davon, dass einige Strassen mit richtigen Strassenschildern seitlich ins Niemandsland abgehen.

Was die Städte teilweise an historischer Substanz und kulturellem Leben vermissen lassen, kompensieren sie oft durch ein ausgeprägtes System der freiwilligen Arbeit und Aktivitäten für alle Lebensalter. In den sehr freundlichen Informationsstellen für Touristen arbeiten Hausfrauen und Pensionäre. Gemeindedienste für die Entlastung von Familienangehörigen von Schwerkranken werden ebenso von Freiwilligen getragen wie die vielen Aktivitäten für Kinder (oft Sport) und Alte (Lotto, Basteln, Lesen usw.).  Auch in den Gemeindebibliotheken, in denen auch Internetzugang zu finden ist, finden wir Laienhelfer, die sehr freundlich und bemüht sind.

Das kulturelle Leben wird stark unterstützt von Mäzenen, die ihr Geld für Sammlungen, Instrumente von Künstlern, Veranstaltungen usw. ausgeben. Sie scheinen sich des Problems der kulturellen Abgelegenheit bewusst zu sein, und versuchen, hier Abhilfe zu schaffen. Beste Galerien und Museen zeugen davon.

Zentralisierte Kultur
Wirklich urbanes Leben ist  also rar in Australien. Aber in den Zentren, in den Grosstädten, wird auch gute Kultur gemacht. So in Melbourne mit der engen Verknüpfung von Geschäftszentrum, öffentlichem Verkehr und Kultur Museen, Konzerthallen, Galerien Freilichtbühnen und Sportstätten mit wiederkehrenden internationalen Veranstaltungen wie Tennistournieren und Autorennen. Melbourne hat uns in dieser Hinsicht sehr gut gefallen, es konkurriert in unserer Beliebtheit mit Brisbane, wo wir allerdings weniger Kultur fanden.

Einige Grossstädte haben ein ausgesprochen gut ausgebautes System des öffentlichen Verkehrs. So in Adelaide und Brisbane, wo in vorausschauender Stadtplanung eigene Fahrspuren und Strassen für den Busverkehr gebaut wurden. Da wurde geschickt genutzt, dass einfach vorher nichts Bauliches da war. Auch gibt es überall gepflegte öffentliche Toiletten, immer gratis. An den Stränden sind sie mit Duschen ausgestattet, um das Salzwasser abzuwaschen. Und in allen Parks finden wir Grillstellen mit Gas- oder Elektrobarbecues. Diese werden für die verschiedenste Art von Picknicks rege genutzt.

Allein mit Krokodilen
Im ganzen Land die Menschen sind sehr naturverbunden. Wer nicht fischt, sportbegeistert ist (das kann durchaus passiv sein, TV-zentriert), Motorboot fährt und zeltet, läuft – so unsere Vermutung – Gefahr, die Staatsbürgerschaft aberkannt zu bekommen. Überall sind Nationalparks, die sich sehr weit ausdehnen.

Die Natur wird nicht nur geschützt, sondern auch genutzt. Die Rangers sind kenntnisreich und geben ihr Wissen gern weiter, die Campingplätze und Picknickplätze sind gut erhalten und laden zum Verbleiben ein. Die Natur ist grossartig und einmalig: einsame Strände, wo es nur Dich und ein paar Krokodile gibt, rauschende Wasserfälle, die Pools bilden, die zum Baden einladen, Regenwälder, in denen stundenlange Wanderungen möglich sind, Hügel und Felsen, wenig Berge, aber rau gegliederte Hochländer und Vorgebirge bis hart ans Meer, die das Inland direkt hinter der Küste abschotten, nur hier wachsende Pflanzen, lärmende bunte Vögel, alle Arten von Kängurus.

Australien bietet eine grosse Anzahl landschaftlicher Höhepunkte. Die Küsten allerorten, insbesondere die Great Ocean Road im Südwesten Victorias, die man am besten von West nach Ost macht. Die Schluchten und Wasserfälle. Die Regenwälder. Die weiten Landschaften des Outback (trotz allem!) oder des Weizengürtels im Westen, die Formationen von Uluru und Olgas im Red Center bei Alice Springs und der nördlich davon gelegenen Devils Marbles, die Bungle Bungles, die Hochländer hinter den Hügelzügen an der Ostküste, die Flussläufe wie der Murray mit den schönen Eukalyptusbäumen

Moderne Goldgräber
Aber Australien nutzt – um es vorsichtig zu sagen – die Natur auch anderweitig. Der typische rote Sand zeigt es: Australien ist ein einziger Rosthaufen. In den Hügeln und darunter verbergen sich die Schätze: Gold, Diamanten, Eisenerz, Nickel, Chrom, seltene Metalle. Die Mienen-Gesellschaft Rio Tinto beutet alles rücksichtslos aus, lässt die Plätze nach einigen Jahren wir Narben zurück, die schweren Maschinen verrotten im Sand. Vor den Küsten findet sich Gas. Sie liefern Steuern ab, die ein ausgeglichenes Budget der regionalen und zentralen Regierungen vorspiegeln. Wenn die Weltkonjunktur einbricht, geht es Australien schlecht. Ausverkauf der Reserven statt nachhaltiger und ausgewogener Finanzierung. Es ist ein Tanz auf dem Vulkan, ein Leben auf Pump, Pump von der Natur.

Die Leute, die in den Mienen arbeiten, verdienen viel Geld – und geben es ebenso schnell wieder aus: für Häuser, Autos, Boote. Der Boom, vor allem im Norden von Western Australia, bringt das Geld direkt in den Umlauf und verteuert alles. Und teuer ist Australien sowieso. Wir dachten immer, die Schweiz und Japan seien die teuersten Länder. Aber Australien überbietet uns. Fleisch ist für uns zwar günstig, aber Früchte, Gemüse, Brot kosten ein Vielfaches. Wie sollen sich die Leute gesund ernähren? Schaut man in die Einkaufswagen, so sieht man Junkfood, weil es billiger ist. Man sieht denn auch recht häufig sehr stark übergewichtige Leute. Die Volksgesundheit ist eben nicht nur von strengen Rauchvorschriften und Alkoholrestriktionen abhängig.

Für uns Weinliebhaber ist Australien ein Paradies. Wir konnten überall günstig guten Wein für unseren kleinen Weinkeller erstehen. Und wir haben fast alle Weingebiete besucht – Barrossa-valley, McLaren Valley, Clare Valley, Langhorn Creek, Margaret River, Hunter Valley, Lime Coast.

Mogelpackungen
Manchmal war Australien eine Mogelpackung. Die Preis- und Mengenangaben in den Supermärkten verwirrend (wenig Konkurrenz und schwache Konsumentenorganisationen); wunderschöne Strände – aber das Wasser zu kalt (an der Südküste), verseucht mit Algen, bewohnt von Haien, Krokodilen oder Quallen (Queensland), zu starker Surf. Nirgends hat es so viel geregnet wie im „sunshine-state“ Queensland. Auch der australische Sommer, den wir vorwiegend im Süden verbrachten, hielt nicht das, was er versprach: die Klimaanlage in unserem Wohnmobil haben wir nie, die Heizung hingegen des öfteren gebraucht.

Die zahlreichen Touristenbroschüren, die in jedem Informationsbüro an jedem Ort erhältlich sind, preisen alles in höchsten Tönen an, geben aber keinerlei Informationen. Läge Sirnach in Australien, so könnte man es als erstklassige Touristendestination verkaufen: Besuchen Sie Sirnach, machen sie einen romantischen Spaziergang an der Murg mit ihrem Wasserfall und versteckten Teichen, beobachten Sie die einmalige Vogelwelt, besteigen Sie den Sirnacher Berg und den Turm auf der Hochwacht, der einen wunderbaren Blick auf den herrlichen Hinterthurgau erlaubt, geniessen Sie einen guten Kaffee oder ein Versperplättli im Garten des Berg-Restaurants. Auf dem Rückweg wandern Sie durch das verwunschene Bachtöbeli. Kehren Sie ein im historischen Pilger-Gasthaus zum „Engel“ und versuchen Sie die lokalen Gerichte zu einem Glas einheimischen Apfelweins …

Ein schönes Land, liebe Menschen – aber nicht für immer
Aber noch sind wir in Australien. Wir haben viel davon gesehen. Wir haben viel erlebt. Das Land haben wir aber auch in fast einem Jahr nur unzureichend und vor allem aus Touristenperspektive kennengelernt. Es hat uns gefallen. Die Menschen sind offen, die Kinder spontan und zutraulich. Wir wurden überall freundlich und hilfsbereit aufgenommen. Aber leben wollten wir hier nicht.

 


Statistik für 10 Monate Jeb

Kosten Bus netto                                                                         23'000 $
Dieselkosten                                                                                  6'786 $
Verkaufskosten                                                                                242 $
Fahrkosten total                                                                          30'028 $

Gefahrene Kilometer                                                                     32’280
Kosten Zeltplätze, Hotels                                                              6'697 $
Kilometerkosten                                                                              0.93 $
Dieselverbrauch total in Litern                                                          4258
Dieselverbrauch/100 km in Litern                                                    13.19

Durchschnittlicher Dieselpreis                                                        1.59 $
Uebernachtungskosten pro Tag (300 Tage)                                22.32 $
Kosten für Fahrt und Uebernachtung pro Tag (300 Tage)         122.42 $

Tipps für Nachahmer
Hier noch einige Tipps für Leser, die eine ähnliche Reise in Australien machen wollen:

-          Generator im Bus erhöht die Unabhängigkeit von Zeltplätzen und eröffnet schöne Möglichkeiten
 
-          Ideal ist ein Kühlschrank, der auf Gas umgestellt werden kann, dito Heizung
 
-          Für den Kauf Anzeigen in Gumtree ansehen (www.gumtree.com.au.). Kauf bei einem Händler ist für Ausländer unkomplizierter, als bei Privaten, aber etwas teurer.
 
-          Auch für den Verkauf ist Gumtree gut. Wenn man die Anzeige alle paar Tage löscht und neu aufsetzt (Text irgendwo ablegen im PC), ist man immer wieder obendran.
-          Eine Adresse in Australien ist wichtig. Das kann ein Bekannter sein, der die Post entgegennimmt usw.  Die Adresse ist nötig für die Anmeldung des Fahrzeugs, die Versicherung, die Mitgliedschaft im Automobilclub (Pannenhilfe) usw. Die Adresse begründet die Identität.

-          Eine australische Telefonnummer ist sehr nützlich. Das eigene Handy mitnehmen und einen Prepaid-Chip lösen, einsetzen, fertig. Gut ist Telstra, deren Abdeckung insgesamt am besten ist.

-          Aufladen kann man den Chip mit Telstra-Vouchers, die bei der Post und in anderen Geschäften erhältlich sind. Gut sind Vouchers für 30 $. Sie geben neben den 30 $ auch noch Zusatzkredit. Grundguthaben und Zusatzkredit sind einen Monat gültig und werden übertragen, wenn man den nächsten Voucher vor dem Ablauf des alten auflädt (kurz vor Ablauf, wegen der 30 Tage Laufzeit). Verfällt der Voucher am Ende, geht auch das angesparte Kapital weg. Aufladen mit Schweizer Kreditkarte hat das Telstra-System nie geschluckt. Vouchers können auf Vorrat gekauft werden.

-          Für das Internet bietet sich ein Telstra WiFi-Modem an (nicht ein USB-Modem zum einstecken, das läuft auf PC mit deutscher Sprache nicht). Es hat einen Chip wie das Handy, läuft analog mit Vouchers. Das Modem bedient auch elektronische Bücher wie Kindle von Amazon.

-          Ein Bankkonto ist hilfreich (Geld überweisen lassen usw., Bankschecks einlösen). Es kann problemlos eingerichtet werden. Seniorenkonten (über 60 Jahre) sind spesenfrei. Gute Banken sind St.George’s/Bank of Melbourne, ANZ, CUA usw.                                                    

Elo und Jürg 11.10.12
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Und hier noch Bilder, die mir besonders gut gefallen haben (JB.):
(Die Legenden finden sich unter "Bilder" bei 3-22)