Regentage / Begegnung am Berg / Vergessene Welt / Ziegenbock als
Präsident Vulkanischer Abschied / Weihnachtszeit / Nichts für meinen Kopf,
nichts für mein Gefühl
Und Viehherden auf der Strasse: Vor uns eine sehr grosse Herde mit Schafen und Kühen, angetrieben durch viele Hunde und ein Vierradmotorrad. Dieses treibt die Tiere im Galopp vor sich her und auf die Seite. Wir halten uns eng an das Auto vor uns, ziehen gleichsam den Kopf ein und drücken uns am Vieh vorbei. Nur ein Rudel Kühe ist hartnäckig und saust vor uns her, die ganze Strasse benutzend, bis dann die angestrebte Weide auf der Seite kommt.
Ziegenbock als Präsident
9.12.2012 / JB.
Regentage
Die Fahrt mit der Fähre auf die
Nordinsel über die Cook Strasse ist recht ruhig, auch wenn es stark windet und
regnet. In Wellington schifft es, und wir hoffen auf Besserung gegen Norden.
Aber entlang der Westküste regnet es immer wieder stark, und erst kurz vor
Wanganui, wo wir übernachten wollen, bessert es. Auckland wurde von einem schweren Sturm heimgesucht, der drei Tote und viele Verletzte forderte. Wir spüren die Ausläufer.
Da aber die Temperatur
wenigstens jetzt etwas über 20 Grad ist, haben wir einen schönen Abend in der
schönen alten Stadt Wanganui: Alt für neuseeländische Verhältnisse, versteht
sich. Wir essen gut, ich nehme eine Portion Schweinebauch, der, mit Gemüse nach
thailändischer Art, ausgezeichnet zubereitet und sehr zart ist.
Am nächsten Tag geht es weiter
wie in Wellington: stürmischer Regen. Von dem grossen Vulkan an der Südwestküste,
dem 2500 Meter hohen Mount Taranaki (maori) / Mount Egmont (englisch) sehen wir
überhaupt nichts, obwohl wir ihn fast vollständig umrunden. Der Nebel geht bis
in die Ebene, bis fast an die Küste.
Aber wir fahren eine der Strassen hoch,
die bis auf knapp 1000 Meter durch Regenwald den Berg hoch geht. An einen
Spaziergang ist nicht zu denken, aber wenigstens einen Tee trinken wollen wir im
Bergcafé an den Dawson Falls. Da gab es eine Ueberraschung.
Begegnung am Berg
Das Café war eigentlich eher eine
Berghütte, mit rustikalen Tischen und Stühlen. Und an der Wand hing ein Tuch
mit allen Kantonswappen der Schweiz, in einer Vase ob dem Buffet steckte eine
Schweizerflagge. Die Wirtin, so stellte sich heraus, hat zwar keinen
Schweizerpass mehr. Dem musste ihr Vater aufgeben, als er vor Jahrzehnten eine
Farm kaufen wollte.
Aber Linda ist reinrassige
Schweizerin, denn auch die Mutter kommt aus dem Gebiet des oberen Zürchersees.
Da fielen im Gespräch Ortsnamen wie Freienbach (Vater) und Hurden („Hörden“ gesprochen,
Mutter), dann Fischenthal ennet des Hörnli, wo die Schwestern noch Ferienhäuser
haben. Und eine Tante, die über 100 Jahre alt wurde, war Anni Hiestand, in den
30er-Jahren eine der besten Schifahrerinnen der Schweiz. Und ein Cousin, den
Linda jeweils in der Schweiz besucht, wohnt in St.Gallen.
Der Vater kam in diese
regengesegnete Gegend, da hier schon andere Schweizer siedelten, und bis heute
sind sie sich ihrer Tradition bewusst. Auf der Fahrt zum Berg war uns schon ein
Briefkasten aufgefallen, rot mit Schweizerkreuz. Schon fühlst Du Dich wieder
etwas zuhause, auch wenn Dir der Patriotismus an sich eher suspekt ist. Aber
das Tösstal (Fischenthal) ist ja wirklich lokale Heimat.
Den Berg haben wir auch hier
mehr geahnt, als gesehen. Die Schauer waren gar zu stürmisch.
Vergessene Welt
Nach einer Umrundung des Bergs
im Nebel übernachten wir in New Plymouth, dessen Klima im schönen lokalen
Museum mit „mild, moist, windy“ (mild, feucht, windig) umschrieben wird. Es war
so. Den Berg haben wir auch am nächsten Tag nicht gesehen und die Besitzerin
des Motels von Turangi am Lake Taupo meinte, sie habe am Fuss des Berges
gewohnt und ihn oft wochenlang nicht
erblickt.
So lange können wir nicht
warten, und daher geht es ins Zentrum der Südinsel, an den Lake Taupo, der
durch einen riesigen Vulkanausbruch vor fast 23'000 Jahren entstand, bei dem
1170 Kubikkilometer Material ausgeschleudert wurde. Ein weiterer grosser
Ausbruch erfolgte mit 120 Kubikkilometern im Jahr 180, und die chinesischen und
römischen Geschichtsschreiber berichten von der Aschewolke. Der See ist 600 km2
gross, 40 Kilometer lang und 28 Kilometer breit und 128 Meter tief – all das
innerhalb des Riesenkraters.
Der Weg an den See führt über
die Strasse Nummer 41, den Forgotten World Highway, die Hauptstrasse der
Vergessenen Welt. Es ist wirklich sehr einsam hier, das Gelände äusserst
ruppig, mit steilen Hügeln, tiefen Tobeln, Schluchten, schmalen Strassen, einem
Tunnel, das gerade so breit ist, wie ein Lastwagen und so hoch, dass
Tiertransporte durchkommen. Es hat stark geregnet, überall sehen wir
Steinschlag. Am Strassenrand Fasane, Schafe, Ziegen und Kaninchen.
Und Viehherden auf der Strasse: Vor uns eine sehr grosse Herde mit Schafen und Kühen, angetrieben durch viele Hunde und ein Vierradmotorrad. Dieses treibt die Tiere im Galopp vor sich her und auf die Seite. Wir halten uns eng an das Auto vor uns, ziehen gleichsam den Kopf ein und drücken uns am Vieh vorbei. Nur ein Rudel Kühe ist hartnäckig und saust vor uns her, die ganze Strasse benutzend, bis dann die angestrebte Weide auf der Seite kommt.
Ziegenbock als Präsident
Mitten in der Vergessenen Welt
gibt es die einzige Republik Neuseelands: Whangamomona. Sie wurde in Rebellion
gegen die Regionalpolitiker 1989 ausgerufen. Diese wollten die Gemeindegrenzen
ändern, und das hätte zur Folge gehabt, dass die Dorfjugend und auch die
Senioren nun für eine Rugby(New Zealand Football)-Mannschaft hätten spielen
müssen, mit der sie seit Generationen verfeindet waren. Das ging dann doch zu
weit. Präsident der Republik war mal ein Ziegenbock, mal ein Pudel. Und jedes
zweite Jahr findet ein Republikfest statt: das nächste Mal am 26.1.2013 - für alle, die dahin gehen wollen. (Das Hotel,
die Heimat der Republik, steht übrigens zum Verkauf!)
Vulkanischer Abschied
In Taupo am gleichnamigen See
kommen wir mitten in einen Halb-Ironman. Diesmal jagen wir statt Schafen und
Kühen Velofahrer.
In der Stadt ist auch der Abfluss des Sees. Nach wenigen
Kilometern fällt der Fluss über eine Stufe von einigen Metern Höhe. Davor gräbt
er sich im harten Vulkangestein einen 10 Meter breiten tiefen Graben, durch den
sich die grossen Wassermassen durchzwängen. Sehr eindrücklich.
Weiter unten am Waikato-Fluss
liegt das Hidden Valley, das Verborgene Tal, eine der schönsten
Geysirlandschaften Neuseelands. Eine Motorfähre bringt uns über den gestauten
Fluss, und über eine Stunde wandern wir in einer Regenwaldlandschaft an
Sinterterrassen vorbei und bestaunen die Ablagerungsformationen, die qualmenden
Schlunde, Geysire und vor allem die Farbspiele in Weiss (Kalkablagerungen),
Gold (Schwefel), blau (Thermalwasser), grau-schwarz (Tonerdeschlamm gelöst
durch heisses Wasser) und Grün (Algen).
Einem Geysir schauen wir eine Viertelstunde lang zu, wie er kommt, wie er
spritzt, dampft und sprudelt, und wie er sich wieder zur Ruhe legt.
Im Regenwald bewundern wir die
Palmfarne von 10 und mehr Metern Höhe, die der Landschaft einen eigentümlich
archaischen Charakter geben, der natürlich durch die Dämpfe, das Qualmen und
Sprudeln direkt aus dem Erdinnern noch verstärkt wird.
Weihnachtszeit
In Hamilton, wo wir übernachten
und endlich mal wieder den Apéro im Freien an der Sonne geniessen können, gibt
es einen Riesen-Christbaum zu bewundern, mit Hunderten von Kugeln. Nachts, das
sehen wir aus dem Zimmer, leuchtet und blinkt er wie verrückt. Ueberhaupt hat
das Bemühen mit Minichristbäumen in Kneipen und Läden, mit
Weihnachtsdekorationen in den Schaufenstern im Sommer etwas Pathetisches an
sich, etwas Komisches. Aber wir haben ja in Australien gesehen, dass die
Familien und vor allem die Kinder da nicht wählerisch sind: Es geht auch in
Shorts und Gummisandalen sehr gut!
Hamilton, das als viertgrösste
Stadt Neuseelands keine Touristenstadt ist, hat am Waikaot-Ufer eine sehr
grosse Gartenanlage. Der Kern sind Themengärten. Zum einen Gärten der Maori,
Gemüsegarten, Hausgarten usw.
Dann aber auch einen japanischen Garten (17. Jahrhundert),
einen chinesischen südliche Song-Dynastie 12. Jahrhundert), einen modernen
amerikanischen, einen englischen Ende 19. Jahrhundert), einen indischen (Mogulzeit
17. Jahrhundert) und einen italienischen (Renaissance). Diese Gärten allein lohnen den
Besuch der Stadt.
Von Hamilton fahren wir in
starkem Sonntagsverkehr nach Auckland, wo wir in Flughafennähe ein Motel haben,
damit wir morgen früh nicht weit zur Abgabe des Autos fahren müssen.
Hier
nehmen wir das letzte Picknick in Neuseeland im Motelgarten, dann wird gepackt,
denn ab jetzt geht es wieder weiter mit nur zwei Reisetaschen als Gepäck. (Und
zu Hause haben wir dann wieder alle Kästen voller Kleider und Schuhe. Hier bescheiden
wir uns in dieser Hinsicht sehr.)
Nichts für meinen Kopf,
nichts für mein Gefühl
Morgen, am 10. Dezember, fliegen wir
morgens um 10 nach Tahiti ab. Und wir kommen nach einigen Stunden Flug einen
Tag früher dort an, als wir abgeflogen sind: heute, am 9. 12, um 16 Uhr, also zu der Zeit, zu der ich dieses schreibe!!! Das verstehe wer will.
Es hat nichts mit Reisen mit
Lichtgeschwindigkeit zu tun, sondern mit der Datumsgrenze, die wir überfliegen. An dieser bist Du mit einem
Schritt von Westen nach Osten einen Tag zurück (also auch jünger), umgekehrt einen Tag weiter (also auch älter),
geanu gleiche Zeit. Elo versucht mir das seit Jahren zu erklären, aber das ist nichts
für einen hinterthurgauer Quadratschädel, und für mein Gefühl schon gar nicht.
Aber da das ja alle so machen, wird es seine Richtigkeit haben.
Elo meint, wir würden alle
Stunden, die wir auf der Reise bisher jeweils an einer neuen Zeitzone verloren
haben (Uhr vorstellen), mit einem Schlag wieder gewinnen, und sogar noch mehr,
da es ja bisher nur 12 Stunden waren. Das Konto hat dann plötzlich eine
Positivbilanz von 12 Stunden, die wir dann bis zu hause wieder verputzt haben.
So weit so gut, aber begreifen tue ich es doch nicht recht. Nullsummenspiel
also, was soll der Mist? Vielleicht ist es mir dann in Tahiti klarer – obwohl
ich da meine Zweifel habe.
(Es ist noch anzufügen, dass
für uns das Jahr 2011 einen Tag kürzer war, während das Jahr 2012 – nicht nur
wegen des Schaltjahrs – für uns einen Tag länger dauern wird.)
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