Donnerstag, 10. Januar 2013

4-9 Tahiti 2 - Marquises, Bora Bora

In eine neue Welt / Eine alte Kultur / Tiaohae / Gemütlich bis sehr gemütlich / Henri / Chez Henri / Vorbereitungen / Dorfchefin / Tourismus / Zeugen alter Zeiten / Apprenti pécheur / Tire, petit Suisse, tire: 80 Kilogramm Fisch / Die Gemeinde als Kirchenchor / Kulturprogramm / Musik und Wärme – Neujahr in der Südsee / Neujahrsessen / Seelentausch / Polynesien aus dem Reiseprospekt / Au revoir, Polynésie Française

In eine neue Welt
 
Der Flug auf die Marquisen (Marquesas in der Sprache der ersten europäischen Seefahrer, die hierherkamen, der Spanier also) ist schön, das Wetter wird immer besser. Wir überfliegen Atolle, deren Zentralvulkane völlig abgetragen sind, reine Riffatolle mit einem Kranz flacher Inseln (Motu in Tahitisch).

Nuku Hiva, die Hauptinsel der Inselgruppe, auf der wir acht Tage verbringen werden, präsentiert sich schon im Anflug ganz anders. Keine Korallenriffe, sehr viel Berge. Die Dörfer liegen in den engen, nur zum Meer hin offenen Tälern des Ostens, der Westen ist praktisch unbesiedelt, es hat kein Wasser. Der Flughafen ist erneut einfach, ganz auf das Praktische ausgerichtet, denn er dient weniger den Touristen als der Bevölkerung. Die Insel Tahiti ist 1300 Kilometer weit entfernt, Fliegen ist heute die wichtigste Reiseart für die Marquisiens.


Der Flughafen liegt abgelegen im Nordwesten, an der einzig relativ flachen Stelle der Insel. von dort geht es quer über die Berge 55 Kilometer nach Taiohae. Die Strasse steigt steil an, der Pass ist 1100 Meter hoch. Die Ausblicke sind grossartig, Gräben und Täler, Canyons und immer das Meer in der Ferne. Oben bläst ein kalter Wind. Dann windet sich die Strasse auf 750 Meter hinunter in eine zentrale Hochebene, die stellenweise an den Jura erinnert: mit Föhren bestandene Weiden, Felsgruppen, Flussgräben, Kühe, Pferde.  

 
In den Bergen leben wilde Schweine, Rinder, Hühner, Pferde und Ziegen, die zu Pferd gejagt werden. Die Hühner hier scheinen monogam zu sein. Jede hat ihren eigenen Gockel, meist schön gefärbt. Diese machen einen Saumais, wir hören sie von frühmorgens bis spät abends, vor dem Zimmer, im Dorf, im Wald.
 
Die Marquisiens sind ausgezeichnete Reiter, die kleinen Pferde ausgezeichnete Kletterer. Es ist ein Vergnügen, junge Mädchen ohne Sattel die Strände entlang preschen zu sehen, ein Bild zeitloser Leichtigkeit.

 
 
 
 
 
Eine alte Kultur

Die Marquisen wurde vor 1500 bis 2000 Jahren als erste Inseln von Polynesien besiedelt, und zwar von Westen, von Südostasien her, auch wenn die Inselgruppe ganz im Westen des Archipels liegt. Hier landeten die Seefahrer auf ihren grossen Ausleger-Kanus und Katamaranen, und von hier aus wurden dann Hawaii im Nordwesten, sowie Tahiti und Neuseeland im Westen besiedelt, es ging also wieder zurück. Die Sprache der Marquisen wird in Papeete heute nicht mehr verstanden.

1842 lebten auf der Insel 12'000 Menschen, 60 Jahre später einige Hundert. Die Kolonialisten, ihre Krankheiten, ihre Sklavenzüge haben ganze Arbeit geleistet!

In einem Buch eines deutschen Ethnologen finde ich auch noch die Anwendungsweise des Tätowierinstruments To’a patutiki, das ich in Papeete gekauft habe: die Zähne werden in die Tinte getaucht, dann werden sie auf die Haut aufgesetzt, und der Tätowierer schlägt mit einem Stock auf den Handgriff des To’a patutiiki, wodurch die Zähne in die Haut eindringen und die Tätowierung auslösen. (Karl von den Steinen, L’art de taouage aux îsles des Marquises, Haere Po, Papeete, 2005 (1:1925).

Tiaohae

Ueber eine Kante bricht die Strasse wieder steil nach unten, und wir sehen die Bucht von Taiohae, wie ein Juwel in Mitten von Bergflanken. Taiohae ist der Hauptort der Inselgruppe. Hier wohnen 1800 der 3000 Einwohner von Nuku Hiva. Sie betreiben Fischerei und Gartenbau zur Eigenversorgung, leben etwas vom Tourismus. Es gibt ein Spital mit 20 Betten und einem Operationssaal für kleinere bis mittlere Eingriffe. Die Polizeistation hat wenig zu tun („meist sind sie am Fischen“), und auch das kleine Gefängnis ist meist leer. Im Gegensatz zu den Atollen und in Tahiti, wo wir auch nachts alles abschliessen mussten, ist hier alles offen, wir schliessen das Zimmer schon gar nicht ab. Dann gibt es auch eine kleine Radiostation (Radio des Marquises) – und eine sehr schöne Kathedrale.
 
 
Der noch junge Bischof der Marquisen hat hier seinen Sitz. Er ist Marquisien, worauf die Einwohner stolz sind, und er herrscht über 3 oder 4 Pfarrer, die die verschiedenen Kirchen und Kapellen der anderen Dörfer und Inseln bedienen. Die Kathedrale ist aus Steinen der verschiedenen Inseln gebaut. Sie ist mit Schnitzereien vieler Künstler der Inseln eindrücklich geschmückt. In der Weihnachtskrippe – wir werden überall mit „Joyeux Noël“ begrüsst – sind die Drei Könige durch einen marquisischen Krieger symbolisiert. Die ganze Anlage, deren Eingang vom Portal der alten Kirche dominiert wird, strahlt grosse Ruhe aus.

Die Insel hat 4 Gemeinden, die 4 Bürgermeister bilden die Inselregierung, der Bürgermeister des Hauptorts ist zugleich der Vertreter im Parlament in Papeete. Die Löhne der Staatsangestellten werden zu 20% von der Regierung in Papeete bezahlt, zu 80% von Paris. Das gilt auch für die Strassenarbeiter usw. Papeete steuert die Entwicklung über das Budget. So wurde angeordnet, die Trinkwasserversorgung in ganz Französisch Polynesien bis 2014 auf den Standard Trinkwasser ab Hauswasserleitung zu bringen. Wird das nicht erreicht, wird das Budget der Gemeinde gekürzt.

Gemütlich bis sehr gemütlich

Wenn es auf Maupiti gemütlich her und zu ging, ist es hier sehr gemütlich. Untertags ist es sehr heiss, es regnet wenig. Von 11 oder 12, je nach Gusto des Eigentümers, sind die Läden geschlossen, sie öffnen dann am Nachmittag wieder. Die Strassen sind leer. Gegen Abend kommen die Einwohner zum Hafen, kaufen Fisch, den die Fischer an der Mole reinigen.
 
Wir sind 8 Nächte hier, und wir müssen uns schon etwas an den Rhythmus gewöhnen. Nach zwei Tagen haben wir das meiste gesehen – und dann? Wir lesen auf der Terrasse der Pension, wir machen einen Spaziergang zum Strand, der aber nicht zum Baden einlädt, mit viel schwarzem Sand und Steinen, wir besichtigen die Kathedrale, den Platz mit den Fundamenten der alten Siedlung, wir trinken eine Citronade im am Hang am anderen Ende der Bucht gelegenen Hotel und nehmen einen kleinen Snack (ausgezeichnetes Thonfisch-Sashimi).

 

 
  
 
Wir wollen auch die Hochzeit sehen, diesmal in der Kathedrale. Aber wir sind etwas zu spät, und so erleben wir nur noch den ausgedehnten Fototermin vor der Kirche. Die Braut, die sich in einen jungen Mann verliebt hat, ist stattlich, nicht mehr ganz jung. Aber die Freude ist ihr anzusehen. Alle sind sehr festlich angezogen, auch das Kind der Braut. Es muss eine wichtige Familie sein. 

Am Abend sind wir wieder bei Henri.

Henri

Mit Henri schliessen wir in diesen Tagen Freundschaft. Er ist ein eindrücklicher Mann, wie wir in vielen Gesprächen im Laufe der Zeit feststellen. Auf den ersten Blick trügt er, wenn er breitbeinig und mit gut gefülltem Bauch daherkommt, gemütlich, ein Witzchen reissend, Bauer und Prolet zugleich.
 
Henri ist ein Mann nach unserem Geschmack: Um die 40 („Ich bin mit dem Bischof zur Schule gegangen“), kräftig bis fest mit mächtigem Bauch, schwarzem Bart, lebendigen Augen, einem offenen bis hintergründigen Lächeln, immer mit einem kleinen Witzchen, bauernschlau und hochintelligent, weltoffen mit klaren Vorstellungen. Er liebt es, mit uns zu plaudern, zu philosophieren.

Er ist eben auch Intellektueller, wenn auch mit viel Bodenhaftung.  Er war der zweite Marquisien, der – in den 80er-Jahren – das französische Abitur, das Bacalaureat, geschafft hat. Seinen Studienplatz in Bordeaux konnte er nicht einnehmen, es war kein Geld da in der grossen Familie. Das Bac in Papeete ist bis heute das Gleiche, wie in Paris, auch in Geografie und Geschichte. Also europäische Geografie und Geschichte, nichts von Französisch Polynesien. Dafür lernen die Schüler dass ihre vorfahren Gallier gewesen seinen („nos ancêtres, les Gaulois…“)

Henri  war dann unter anderem Lehrer, Schulinspektor, erfolgreicher Trainer von marquisischen Jugendsportgruppen (Gewinn der französischen Meisterschaft im Volleyball), Politiker (aktuell Mitglied des Gemeinderats und des Rats der Vertreter der Marquisen auf der Ebene von Französisch Polynesien). Er ist u.a. zuständig für das Projekt der Gemeinde, alle Haushalte mit Trinkwasser zu versorgen.

Aktuell betreibt er ein offenes Restaurant am Hafen, er fischt professionell, züchtet Bienen usw. usf.

Und er ist ein unterhaltsamer und tiefgründiger Causeur, wissbegierig und voller Wissen zugleich, offen für die notwendigen Veränderungen auf allen Gebieten. Er sorgt sich um die Zukunft der Marquisen und ihrer Bewohner: ob sie es schaffen werden, in der Entwicklung der Zeit? Denn er weiss, dass sich alles ändern muss, wenn alles so bleiben soll, wie es ist (Lampedusa, Der Leopard). Die Gespräche mit ihm bringen uns viel Informationen, viel Neues und viel zum Nachdenken.

Chez Henri

Henri betreibt sein Restaurant unter einem Zelt mit Schweizerfarben (Oesterreicher oder Polen sehen das wohl anders). Er hat keine Alkohollizenz, aber wir können Wein oder Bier mitbringen. Wir sagen, das heisse in Australien BYO (Bring your own, bring dein Eigenes), und er hat Freude an dem Ausdruck. Er hat eine Gruppe von Freunden, die immer anzutreffen sind, und die eine grosse Kiste mit BYO-Material dabei haben.

Sein Fisch ist ausgezeichnet, roh oder gegrillt, wir essen auch Langusten, und er hat sehr guten Rauchfisch. Am Abend wird die traditionelle Paste aus Brotfrucht zubereitet: Die Früchte werden im offenen Feuer gebacken, geschält und dann mit einem schweren Steinstössel weichgeklopft, unter Zugabe von Wasser. Uns ist es etwas zu klebrig.

Bei Henri kommen abends jeweils zwei, drei Ukulele- und Gitarrenspieler zusammen. Sie sind gut eingespielt, ihre Melodien schön. Dazu singen sie, oft auch begleitet von Frauen mit schönen Stimmen. Die Melodien sind eingängig, oft melancholisch. Die traurigen Erfahrungen der letzten 200 Jahre wirken nach. Wir schauen auf den Hafen hinaus, hören zu, plaudern. Bilderbuchsüdsee.

Vorbereitungen

Wir melden uns bei Henri für den Sylvesterabend an, da wird im Hafen eine Party steigen. Nicht nur im Hafen, überall auf der Insel. Die Einwohner bauen an allen Stränden feste Zelte auf, in denen sie schon einige Tage vorher zu übernachten beginnen. Die Familienclans kommen zusammen. Die Grosseltern bereiten in der Regel vor. Sie jagen einige Schweine in den Bergen, schlachten und präparieren sie, kochen Gemüse, bereiten rohen Fisch – und sehen zu, dass die Getränke für die Tage nicht ausgehen.

Unterhalb unserer Pension wird in der offenen Halle des Dorfes ein Fest mit Musik steigen. Eine solide Bar wird zurechtgezimmert. Da werden wir wohl wenig Schlaf finden.

Wir müssen uns mit Wein eindecken, denn am 1.1. sind dann alle Geschäfte geschlossen, und wir haben nichts für das BYO.

An Sylvester findet in der Kathedrale eine Célébration statt, die werden wir uns ansehen.

Dorfchefin

Vorab: Das in allen Reiseführern hochgelobte Restaurant Chez Yvonne auf der anderen Seite der Insel in Haiteuh war eher enttäuschend. Henri ist besser, der Fisch frischer. Aber der Ausflug über die Insel war lohnenswert. Es geht hoch an die einzige Strassenkreuzung der Insel, dann hinunter in ein Tal mit Kokosplantagen, dessen Copra getrocknet und in Papeete zu Oel verarbeitet wird.

Hier wohnt auch der Steinschneider Bernard (in marquisisch: Bena), bei dem ich mein selbstgemachtes Brissago-Etui verzieren lasse. Henri hat mir geraten, ein Croix marquisien einritzen zu lassen. Bena arbeitet mit Zahnarztwerkzeug, und er hat das Kreuz im Nu. Es ist wirklich sehr schön, und ich schenke ihm die Brissago, die ich im Etui dabei habe. Er raucht nicht, aber er will einen Ständer aus zwei Steinen bauen, einen Brissagoaltar sozusagen. Elo kauft einen weissen Anhänger mit dem Marquisenkreuz.

Yvonne wohnt im nächsten Tal, hinter dem nächsten Pass, hinter dem nächsten sehr rauen Strassenstück. Sie ist Dorfboss: Ihr gehört das Restaurant, die dazu gehörende Pension, der Dorfladen, und sie ist Bürgermeisterin. Yvonne ist um die 60, trägt eine Goldrolex, aber sie hat von Elephantitis aufgedunsene Beine. Als wir ankommen, speist sie mit dem Bürgermeister unseres Ortes, dem Inselchef also. (Henri wusste von dem Gipfeltreffen, als wir ihm davon erzählen.)

Auf der Fahrt mit unserem Guide Teva pflücken wir reife Cajou (Cashew)-Früchte vom Baum. Die Nuss ist nicht in sondern an der Frucht. Wenn sie gekocht und getrocknet ist, kommt sie als Apéro-Geknabber nach Europa. Wir werfen sie weg und essen die sehr saftige, etwas saure und einen trockenen Gaumen hinterlassene gelbe Frucht.










 
Tourismus

Abseits der grösseren Touristenströme sucht sich der lokale Tourismus noch seinen Weg. Neben den Hotels gibt es viele Pensionen. Deren Preise richten sich oft an den internationalen Einrichtungen aus, nicht immer aber an deren Service. In Maupiti und Mo’orea hatten wir Gglück, hier weniger. Die Pension ist schön gelegen, hat aber Eigenheiten, an die wir uns nicht so recht gewöhnen können.

Dass das Zimmer klein ist, stört uns weniger, wir können auf der Terrasse sitzen (was ich im Moment tue, wodurch ich einen wunderbaren Ausblick auf den Hafen habe beim Schreiben). Dass nur geputzt wird, dass die Wäsche nur gewechselt wird, wenn wir reklamieren, stört mehr. Und ab Mittag ist keiner und keine mehr hier, wenn wir etwas brauchen. Das Wasser aus der Leitung ist hier nicht trinkbar, aber wir müssen immer fragen, wenn wir Wasser brauchen (im Mo’orea mussten wir sogar bezahlen). Und die Toilettenspülung hat so ihre Eigenheiten. Sie stellt nicht ab, aber ich habe es geschafft, und wir wissen jetzt, wie wir sie überlisten können. Heute haben sie nach 4 Tagen und meiner Reklamation erstmals das Bad geputzt. Dass das Lavabo auch zum Bad gehört, scheint ihnen fremd zu sein.

Drittweltservice (was uns an sich nicht stört) bei Erstweltpreisen (was uns in diesem Zusammenhang eher stört). Doch die Leute sind sehr freundlich, was zwar nicht immer hilft, es aber erträglicher macht.

Zeugen alter Zeiten

Yvonne unterhält mit ihrem Dorf Hathieu auch eine wichtige archäologische Stätte: einen 1000 Jahre alten Siedlungsplatz. Von den Häusern und den Gemeinschaftsanlagen stehen nur noch die Fundamente, aber diese sind eindrücklich, und die Atmosphäre im tropischen Regenwald erinnert uns an Tempelanlagen der Ureinwohner von Mexico, am Uebergang vom Bergland nach Yucatan.

 
Auch hier im Hauptort gibt es zwei solche Stätten (es lebten zehn Stämme hier). Eine liegt am Strand, und das Kreuz am Weg zur Kirche markiert den Platz, an dem Menschenopfer gebracht wurden. Koueva liegt oben am Berg. Wir wandern hinauf, zuerst ein bis zwei Kilometer auf der Hauptstrasse zum Flughafen. Es ist saumässig heiss, kein Schatten, nur der Beton der Strasse. Wir ruhen jeweils etwas unter einem Baum. Dann geht es in den Wald, zuerst durch ein Wohngebiet. Die Einwohner haben Gärten, in denen wir ihre Pferde und Ziegen sehen. Ueberall Blüten, insbesondere Hibiskusarten, kleine bis sehr grosse, weisse, gelbliche, rote, gemischte.

 

Der Siedlungsplatz liegt weit oben im Wald. Er hat eine eigenartig friedliche, schattige, ruhige Stimmung. Auf den grossen Steinfundamenten stehen Nachbauten der Häuser. Riesige Tropenbäume wie Bayan haben ihre Wurzeln geschlagen, und Luftwurzeln aus der Höhe bilden Vorhänge. Hahnengekrähe ohne Ende auch hier. Ein junger Mann kommt mit einem Hahn unter dem Arm, den er gefangen hat. Der wird die Festtage kaum überleben. Mangobäume liefern uns ein erstes Mittagsmahl: eine Mango finde ich am Boden, die andere muss ich mit einer Astgabel zu mir ziehen.

Die etwa eineinhalbstündige Wanderung schafft uns ganz schön. Knoblauchcrevetten mit Pommes und eineinhalb Liter Wasser in einer der typischen Garküchen am Strassenrand (keine Bierlizenz!) entschädigen uns.

Unten in der Dorfhalle macht die Bar Fortschritte. Die Erbauerinnen und Erbauer versprechen uns Wein und Bier – und Musik bis vier Uhr morgens.

 

 
 
 
 
 
 
Apprenti pécheur

Ich bin ganz schön geschafft!

Heute früh, am letzten Tag des Jahres, hat mich Henri mit raus aufs Meer genommen, quasi als apprenti de pécheur, Berufsfischerstift.  Er macht Jagd auf Bonitos, eine Art kleiner Thonfische, etwa 1,5 Kilogramm schwer, farblich ähnlich den Makrelen. Ich muss um 5 Uhr am Hafen sein. Henri und sein Gehilfe Sigi (im Hauptberuf Chef der Flugzeug-Auftank-Truppe auf dem Flughafen) sind schon im Boot. Es scheint mir mit 2 Metern Breite und 7 Metern Länge etwas klein, denn Henri hat mich vorbereitet: draussen auf dem Meer seien die Wellen dann grösser und das Schiff schlage auch beim Eintauchen. Das Boot ist aber sehr solide und liegt gut im Wasser, und es ist ganz auf das Praktische ausgerichtet. Zwei 60-PS-Motoren, ein Steuerstand, eine Sitzbank in der Mitte – und fertig.

Es ist dunkel, als wir ablegen. Wir fahren aus der Bucht und verlassen sie durch eine Enge zwischen Küste und vorgelagerter Insel, die nur etwa drei Schiffsbreiten misst, wie mir scheint. Vielleicht ist es auch etwas mehr, aber ich muss mich ja erst eingewöhnen. Und draussen kommen sie dann, die Wellen. Erst sind sie gut einen Meter hoch, dann werden es ohne weiteres zwei Meter. Wenn wir ins Wellental eintauchen, verschwindet der Horizont. Ich halte mich fest, und ich fühle mich ganz wohl, nur wenn ich nach vorn auf das offene Meer schaue, kommt ein leichtes Kribbeln im Bauch. Ich drehe mich zur Küste, und es ist gut.

Zuerst fahren wir der Küste entlang nach Osten, auf die Wellen zu, die wir ausreiten müssen. Das Licht kommt langsam, die Konturen werden klarer, am Horizont kündigt sich die Sonne an. Henri, der von sich sagt, er habe das Fischen in den Genen, fischt nicht mit Echolot und solchem Schnickschnack. Sein Hilfsmittel sind die Vögel. Diese schlafen auf dem Meer, und nun erwachen sie. Wo sie sich in Schwärmen sammeln, hat es Krill, ihr Futter. Dort hat es auch Plankton, das Futter der Krevetten. Und diese sind das Futter der Bonitos, die an der Oberfläche in Schwärmen jagen.

Tire, petit Suisse, tire: 80 Kilogramm Fisch

Wir fischen mit Handleinen, dicken Plastikschnüren, an denen am Ende und seitlich drei Plastikköder mit Doppelhaken befestigt sind. Leinen und Köder sind sehr gut gepflegt, denn Henri sagt „le succès de la pèche dépend du travail à la terre“, der Erfolg der Fischer hängt von der Arbeit an Land ab, gute Vorbereitung, gut gepflegtes Material und Boot sind die halbe Miete.

Als wir zu den Vogelschwärmen kommen, lassen wir die Leinen etwa 15 Meter hinaus, Henri verlangsamt das Boot, und Sigi und ich halten die Schnur in unseren von Handschuhen geschützten Händen. Henri steht mit dem gespannten Blick eines erfahrenen Jägers am Steuer. Er erinnert mich an einen Jagdhund der Beute wittert: Alle Sinne angespannt, Augen, Nase und Ohren offen.

Plötzlich ein Ruck, meist bei beiden zugleich, Henri geht vom Gas, und wir beginnen, die Fische einzuziehen. Das geht bei mir etwas länger, als bei Sigi, aber ich bringe den Fisch herein. Henri nimmt meinen vom Haken und sie werden in eine grosse Box von ca. 100x40x40 cm geworfen, wo sie mit den Schwänzen wie wild auf den Boden trommeln und uns mit Blut vollspritzen. Dann gehen die Leinen erneut über Bord. Berufsfischerei.

Mein zweiter Fang wird von einem grossen Haifisch abgefressen, dafür habe ich dann gleich zwei dran. Einen weiteren verliere ich, er hat nicht richtig angebissen, ebenso wie später eine Dorade. Aber dann geht es Schlag auf Schlag. Ich komme kaum nach mit Zählen, und nach einem Dutzend gebe ich es auf. Oft sind es zwei, Sigi hat einmal drei. Mit der Zeit werde ich etwas müde und Henri hilft mir beim einziehen, das nicht so einfach ist, denn die Leine rutscht leicht durch die Hände.

„Tire, petit Suisse, tire!“, ruft mir Henri immer wieder zu. „Oui mon capitaine“, meine Antwort. Wir fangen etwa 50 bis 60 Stück, rund 80 Kilogramm Fisch im Wert von 300 bis 350 Franken, was hier ganz schön ist. Die Kiste wird auf jeden Fall voll. „C’est bon“, meint Sigi, Henri scheint auch zufrieden zu sein.

 

 

Nach einer guten Stunde geht es zurück in den Hafen. Wir (auch ich, der irgendwie in diesem Moment einfach zum Mobiliar gehört,) werden mit Handschlag begrüsst. Die ersten Käufer warten, sie nehmen ihre Fische gleich auch aus.
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Für mich ist war das ein ganz spezielles Erlebnis. Ich bin zufrieden. Heute beim Sylvestermahl bei Henri werden wir wohl Bonito bekommen.
 
Die Gemeinde als Kirchenchor

Am Spätnachmittag besuchen wir die Kirche, wo die Célébration stattfindet. Das ist ein Gottesdienst ohne Priester. Es wird viel und vielstimmig gesungen, mit guten Stimmen, Männer und Frauen. Eine Frau gibt den Ton an, und alle fallen ein. Auch hier herrschen melancholische Grundtöne vor, die aber oft zu musikalischem Jubel aufsteigen. Der Kirchenchor besteht aus der ganzen Gemeinde.

Zwischen den Liedern beten Einzelne spontan, was uns an einen Quäker-Gottesdienst erinnert, bei der Beerdigung von Vaters Cousine Annie Pflüger, die eine Rolle gespielt hat bei der Adoption der Pflugerzwillinge in Brisbane (s. Blogspot 3-21).
 
Elo geht dann nochmals hoch in die Pension, ich gehe zu Henri, wo ich ein Zitronenwasser trinke (non sucrée), mit seinen Freunden am Hafen rumsitze, zuschaue, wie ein Hinterteil eines Rindes gebraten wird, und wie Sigi Streifen unseres Bonitofangs vom Morgen an einer Wäscheleine zum Trocknen aufhängt. Diese sind dann morgen Mittag getrocknet und bereit. Ich verstehe nicht, was sie reden, Radio Tahiti im Hintergrund bringt eine Mischung von Tahitisch und Französisch. Aber ich geniesse die Atmosphäre, es ist friedlich.

Kulturprogramm

Bevor wir in die Dorfhalle zum Kulturprogramm des Dorfvereins gehen, essen wir noch eine Portion rohen Fisch und trinken etwas Rosé. Wir haben zwei Flaschen bei Henri deponiert. In der Halle hat es noch nicht begonnen: „Venez, ça va pas tarder, pas de soucis“, beruhigen sie uns, „Kommt rein, es geht gleich los, keine Sorge“. Wir warten draussen an der Wärme mit Ausblick aufs Meer, und nach einer kleinen halben Stunde geht es dann los, so wie es sich gehört, mit einer Ansprache.

Die Gäste, von denen die meisten hier essen, sitzen an schön geordneten Tischen, sind gut gekleidet. Es ist wie zuhause in der Turnhalle, oder mehr noch, wie in unserer Partnergemeinde Helvécia in Ungarn. Es gibt Wettbewerbe für das Tanzen verschiedner Rhythmen, für das schönste Paar usw. Die Preise sind Pokale von seltener Schönheit, Champagner, Vin Mousseux, Parfums.

Dann kommen doch noch kulturelle Darbietungen. Zuerst ein Tanz junger Frauen, sehr harmonisch und schön. Die nächste Runde ist der Walzerwettbewerb. Allerdings hören wir wenig Walzer, und getanzt wird Englischwalzer. Sehr präzise ausgeführt. Dann wird es uns langweilig, wir gehen wieder zu Henri an den Hafen, wo wir die Rhythmen der Trommel des Männertanzes von Weitem hören.

Musik und Wärme – Neujahr in der Südsee

Bei Henri ist das Fleisch jetzt gut (sehr gut) und wir essen vom Rind am Spiess und einen Spiess mit Rinderherz vom Grill (für mich, auch sehr gut). Dann rauchen wir eine Brissago (Henri raucht mit, es schmeckt ihm so gut, dass er vergisst, mir den Glimmstengel zurückzugeben…) Wir verplaudern die Zeit mit Tischnachbarn, geniessen den warmen Sylvesterabend, ich telefonieren mit meiner Mutter (bei ihr ist es halb zehn Uhr morgens am Neujahrstag)), von überall klingt Musik, oft nur die Bässe bum, bum, bum, die Zeit verrinnt, und schon ist es Mitternacht. Jetzt wird wie wild geküsst: „Bonne année!“ mit allen Anwesenden.
 

Wir sind uns einig: Es war ein gutes Jahr!


 

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Als wir um halb Eins zur Pension zurückkehren, küssen wir alles, was wir vom Dorf auf den Beinen finden: Bonne année. Die Musik,  aus Boxen in Autos, läuft jetzt überall auf Hochtouren. direkt unter unserer Pension hält einer bis morgens um sechs durch (dann wird er endlich von der Gendarmerie vertrieben), und er verstört nicht nur uns, sondern auch die Kühe der Nachbarschaft, die die ganze Nacht muhen.

Neujahrsessen

Am Neujahrstag hat sich der Rummel an die Strände verzogen, wo die Leute noch tagelang campieren. Dafür ist bei Henri Musik, einer seiner Freunde spielt mit Ausdauer, elektronischer Unterstützung und gar nicht mal so schlecht. Das Mittagessen am 1.1. ist die Hauptfestmahlzeit. Henri macht uns das Menue.

Zuerst hole ich die Wäsche von der Leine, den getrockneten Bonito, für mich natürlich ganz etwas Spezielles, haben mich doch die Kerle ganz schön Kraft gekostet. Dann gibt es vom Ochs am Spiess, der ein Kalb war, dann gegrillten Thazar-Fisch, dazu Brotfrucht in Form von Paste und gekocht, aber nicht weiter verarbeitet, dann einen Auflauf aus getrockneten Bananen (eingeweicht, gekocht, mit Stärke versehen, mit geraffelter Melone, wie uns die Köchin, die Leiterin einer Schule, erklärt), dazu die halbe Flasche Rosé, die von gestern Abend übrig geblieben ist, und bei der Hitze ganz schön einfährt.
 
Die Freunde Henris sind versammelt, auch Sigi kommt vom Flughafen und holt erst mal vom Bonito von der Leine. Sie essen, trinken, singen, tanzen (die Frauen), und einige schlafen sich die Müdigkeit der letzten Nacht am Tisch sitzend aus den Knochen. In letzterer Tätigkeit scheinen sie Uebung zu haben, denn sie sitzen aufrecht, ohne sich aufzustützen, der Schwerpunkt ist tief, und sie fallen nicht vom Hocker.

 Seelentausch

Wir verabschieden uns von unseren Freunden. Wir werden sie aller Wahrscheinlichkeit nach nie wieder sehen, was mich melancholisch stimmt. Ich habe einen Teil meiner Seele am Hafen von Tiaohae zurückgelassen. Dafür nehme ich einen Teil ihrer Seelen mit mir auf den weiteren Lebensweg – ein guter Tausch.

Ueber Papeete fliegen wir nach Bora Bora, wo wir einen schönen Abschluss unserer Polynesienzeit haben werden. Auf dem Flughafen besuche ich Sigi, der die ankommende Maschine auftanken muss. Mein Besuch freut ihn sichtlich, er strahlt wie ein Schneekönig und erzählt mir, dass er am Morgen wieder eine Kiste Fisch gefangen hat. Er ist bei Shell angestellt, musste eine Ausbildung machen und wird jedes Jahr einmal von einem Inspektor aus Australien kontrolliert. Wir plaudern und ich erfahre, dass er kirchliche Jugendarbeit gemacht hat und mit katholischen Jugendgruppen mehrmals in Europa an den grossen Zusammentreffen teilgenommen hat. Von Johannes Paul II wurde er in einer Audienz empfangen, was ihn sehr beeindruckte.

Polynesien aus dem Reiseprospekt

In Bora Bora werden wir vom Schiff des Pearl Beach Resorts (http://www.spmhotels.com/resort/bora-bora) abgeholt, das auf einem Motu liegt und sehr luxuriös ist.
 
 

 
 
 


Wir haben ein Häuschen am Strand mit einem grossen Schlafzimmer, einen eben so grossen vorelagerten Wohnraum, der ins Haus integriert ist und dessen breites Fenster auf den Strand und die Lagune geht, eine hinter dem Schlafzimmer liegende Nasszone mit Dusche und Lavabos im Freien (unter Dach!!), einem grossen Whirlpool und zwei Liegebetten (unter Palmen), und vor dem Haus direkt der Sandstrand mit Palmen, dann  das Wasser der Lagune, dahinter der Berg der Hauptinsel des Atolls.
 
 
 
 
 














Vor dem Abendessen (wir haben Halbpension) sitzen wir am Fenster des Wohnraums und geniessen die nächtliche Aussicht. Nach Polynesien wie im Bilderbuch auf Maupiti und den Marquises nun Polynesien wie im Ferienprospekt. Wir geniessen auch dieses und lassen uns verwöhnen.

 
Am Morgen hat sich ein grosser Krebs in den Whirlpool verirrt. Ich lasse mir von einem Arbeiter zeigen, wie man die Dinger anfassen muss, damit sie dich nicht kneifen.











Die erste Zeit ist es eher regnerisch.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Tropenguss
 
 
 
 
Aber jetzt haben wir auch noch einige sehr schöne Tage. Die Sonne scheint, es ist heiss, das Wasser ist in der flachen Lagune sehr warm, was uns gut tut. Wir lernen Kanadier, Norweger und Schweizer kennen, plaudern mit ihnen, besuchen sie im Bungalow. Das Internet ist teuer, ich habe es nur zwei Tage an.


Die Tage sehen so aus: Aufwachen, baden und schnorcheln, frühstücken, Hängematte und Liegestuhl, Buch, schwimmen und schnorcheln, schlafen, Hängematte und Liegestuhl, Apéro, Abendessen, schlafen – wir haben gar kein Bedürfnis, auf die Hauptinsel zu fahren und den auf die reichen Touristen zugeschnittenen Hauptort zu besuchen.
Meine Hängematte
 
Au revoir, Polynésie Française
 
Es waren schöne fünf Wochen, Wetter hin oder her. Wir haben es genossen, einmal länger Französisch sprechen zu können, denn wir waren noch nie so lange in einer frankophonen Region. Die Kultur, der Mix zwischen Frankreich und der südsee ist bezaubernd, im eigentlichen Sinne des Wortes. Wir sahen beides: das einfachere Leben, nahe am Ursprung, den Luxux der Fremdenreseorts. Beides war eine schöne Erfahrung.
 
Uebermorgen geht es (zum letzten Mal) via Papeete  nach Hawaii, der abschliessenden exotischen Destination.

10.1.13 / JB.

 


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